Kunstdiebstahl: Unser Krimi im Louvre

Eben
war noch alles da. Und dann, nur drei, vier Minuten später, sind die Vitrinen
aufgebrochen und niemand weiß, ob all die Kostbarkeiten, der Ohrring, die
Perlen, die Diamantenbrosche, je zurückkehren werden. Doch nicht nur sie sind
es, die seit dem großen Einbruch im Louvre am Sonntagmorgen fehlen. Zusammen
mit dem Schmuck ist auch das Vertrauen ins Selbstverständliche verschwunden.

Alle, bei denen je eingebrochen
wurde, kennen es: dieses Gefühl, in den eigenen vier Wänden nicht länger
geborgen zu sein. Eben noch schloss man die Haustür ab und die Welt blieb
draußen. Jetzt sitzt sie mit auf dem Sofa, bedrohlich, egal, wie viele Schlösser man
anbringt. 

Der Louvre, Stolz einer Nation

Eine ähnliche Psychodynamik lässt
sich nach dem Einbruch im Louvre beobachten. Denn das Museum zeigt ja nicht nur
Gemälde, Skulpturen, Schmuckstücke von unschätzbarem Wert. Es beherbergt
zugleich den Stolz und den Eigensinn dieser Nation. Einst Palast der
französischen Herrscher, wurde der Louvre kurz nach der Revolution fürs Volk
geöffnet: Alles sollte künftig allen gehören, und alle sollten sich daran
erfreuen. Bis heute, egal, wie zerstritten die Franzosen sonst auch sind, weiß
die Nation sich im Louvre verbunden. 

Jetzt aber der Einbruch, den
Emmanuel Macron nicht zufällig einen „Anschlag“ aufs kulturelle Erbe nennt. Was
für eine Schmach, dass da ein paar Diebe mir nichts, dir nichts hereinspazieren
und ohne großes Geschrei einige der schönsten Kostbarkeiten entwenden, einen
Teil der Kronjuwelen des Landes. Umstandslos wurde der Diebstahl denn auch
politisch ausgebeutet, vor allem von ultrarechten Hetzern, die von
„unerträglicher Demütigung“ sprachen. Frankreich, das Opfer.

True Crime mit Glitzerfaktor

Zugleich ist da ein anderes, ein
widerstreitendes Gefühl: Denn der Raubzug löst ja nicht allein Entsetzen aus,
er wird zugleich mit wachsender Faszination betrachtet. Man fühlt sich beraubt
und doch auf ungute Weise gut unterhalten. Die Schlagzeilen jedenfalls könnten
größer nicht sein, alle wollen wissen: Wie haben sie’s gemacht? Wie konnte es
gelingen, so schnell, so cool, so effektiv? Man kennt das aus der Netflix-Serie Lupin oder aus Spielfilmen wie Ocean’s Eleven – und in der Wirklichkeit, da gibt’s das auch? True Crime mit hohem Glitzerfaktor. 

Aus der Ferne erinnert die Chuzpe der
Einbrecher, ihre Unverfrorenheit sogar an die Avantgarde, die im 20.
Jahrhundert nichts unversucht ließ, das eitle Bürgertum aufzuschrecken. Immerzu
wurden Grenzen überschritten, wurde das Unantastbare in den Dreck der Skandale
gezogen. Sogar ein Kunstdiebstahl wurde zur Performance erklärt, so als Frank
Uwe Laysiepen, genannt Ulay, im Dezember 1976 den Armen Poeten von Carl Spitzweg
stahl. Das Bild hing in Berlin, in der Neuen Nationalgalerie, dort nahm es Ulay
von der Wand und floh auf langen Beinen, verfolgt von mehreren Wärtern. Doch
stahl er das Bild nicht aus Gier, sondern sah darin eine soziale Tat: Er brachte
den Spitzweg in die Wohnung einer türkischen Gastarbeiterfamilie, auch sie
sollten in den Genuss der Kunst gelangen.

Erst die Abwesenheit macht die Juwelen allgegenwärtig

Nein, beim Louvre-Einbruch spielen
idealistische Motive keine Rolle, es geht allein um materielle Bereicherung.
Und doch kommen hier ebenfalls – wie immer im Reich der Kunst – auch
immaterielle Rückwirkungen ins Spiel. Ähnlich wie der Künstler Ulay verändern
auch die Diebe den kollektiven Blick auf die entwendeten Objekte. Bislang waren
die erbeuteten Schmuckstücke, ihre historische Relevanz, ihr
kunsthandwerklicher Reiz, vor allem Kennern geläufig. Die allerwenigsten
Besucher verirren sich in die Galerie d’Apollon, den prunkvollen Saal, in dem
die Kronjuwelen aus dem Nachlass Napoleons und anderer Könige und Kaiser
verwahrt werden. Jetzt aber, nach dem Diebstahl, stehen sie allen vor Augen.
Erst ihre Abwesenheit macht sie allgegenwärtig. Erst dank des Verbrechens
werden sie geschätzt und vermisst. Was für eine Beschämung.  

Wie groß die symbolische Macht der
Diebe sein kann, zeigte sich schon vor gut hundert Jahren, als dem Louvre die
Mona Lisa gestohlen wurde. Denn erst der Diebstahl verhalf dem Bild von
Leonardo da Vinci zu globalem Ruhm. Nicht das Gemälde selbst, sondern der
Beutezug sorgte für reißerische Geschichten und einprägsame Schlagzeilen. Als
es nach zwei Jahren wieder zurück war im Louvre, wollten sich zahllose Menschen
selbst ein Bild vom Bild machen – eine Begeisterung, die seither nicht
abgeklungen ist.

Ob sich der Mona-Lisa-Effekt
allerdings bei den jetzt gestohlenen Ketten und Broschen in gleichem Ausmaß
wiederholen wird, erscheint eher unwahrscheinlich. Selbst wenn sie unversehrt
zurückkehren sollten, wird sich die Neugier wohl in Grenzen halten. In Dresden
zumindest, wo vor ein paar Jahren im Grünen Gewölbe ebenfalls Vitrinen
aufgebrochen und kostbare Schmuckstücke entwendet wurden, will man für die
glücklich zurückerhaltenen Stücke keinen eigenen Ausstellungssaal errichten,
anders als jetzt für die Mona Lisa im Louvre. Der mediale Wirbel ist
vorbei, das Interesse an den einst arg vermissten Stücken nun eher
übersichtlich. Als wäre besonders kostbar nur, was fehlt und nicht zu haben ist.