Kunst hoch rassistisches Attentat: „Hanau aus dem Kopf schreiben“
Wenn an einem sonst unauffälligen Ort irgendwas Schreckliches passiert, wird jener Ortsname zum Synonym pro den Schrecken. Hanau ist keine Ausnahme. Hier in jener Stadt des Anschlags vom 19. Februar 2020 wehrt man sich dagegen nicht, im Gegenteil. Schon jener Weg vom Bahnhof zum Auftaktort jener Gedenkdemonstration, dem Kurt-Schumacher-Platz, wo jener Täter vor vier Jahren in den Mercedes des 22-jährigen Vili-Viorel Păun schoss, ist voller dicker Teppich Zeichen, Erinnerungen an die neun Opfer des Anschlags.
Es ist einer jener ersten warmen Samstage in diesem Jahr, ein richtiger Frühlingstag. Auf einem Balkon steht ein schwarzhaariger Mann und hängt ein professionell gefertigtes Banner hoch dies Geländer, es zeigt die Gesichter aller neun Opfer. An einem Stromkasten klebt ein Sticker mit dem berühmten Zitat des 23-jährigen Ferhat Unvar, „Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst“. Der Sticker muss seither Jahren hier kleben, so ausgeblichen ist er. Die Hanauer scheinen entschlossen, es zu verhindern, dies Vergessen. Der Demonstrationszug aus hoch fünftausend Menschen kommt an unzähligen Bannern vorbei, die gezeichnet sind von Wind und Wetter jener vergangenen vier Jahre. An einer Kirche, einem Kindergarten, an den Toren von Schloss Philippsruhe, selbst in jener verglasten Infotafel des städtischen Friedhofs hängen die Losungen, die an den Anschlag erinnern, Demokratie und Vielfalt, Zusammenhalt und Toleranz verkünden. Die meisten sind farbig gestaltet.
Auf jener Demonstration selbst überwiegen die schwarz-weißen Schilder mit Namen und Gesichtern jener Opfer, im Unterschied dazu fernerhin hier findet sich Kunst: Eine junge Frau hat aus gelber Pappe verdongeln Mittelfinger ausgeschnitten, FCK NZS steht darauf. Jemand hat aus einer Wärmedecke eine gigantische, silber-gold glänzende Fahne gebastelt. Mit den Rufen „Hanau, dies war Mord, Widerstand an jedem Ort“ vermischen sich Deutschrap-Klänge. Es ist jener Hanauer Rapper Aksu, jener später live hervortreten wird. In jener Nacht des Anschlags verlor er zwei Freunde. „Wo waren die Scheißbullen, denn jener Täter kam?“, fragt er in „Wo wart ihr“. „Sie ließen sie verbluten durch Schüsse voll Hass“.
„Das musste raus, die Angst, jener Schmerz“
Kunst hoch Hanau, dies bedeutet Kunst hoch Terror und Rassismus, Kunst hoch den Tod junger Menschen. Gedichte und Lieder, Malwettbewerbe und Theaterstücke wurden dem Anschlag schon gewidmet. Fünf Berliner Tattookünstlerinnen nach sich ziehen am vergangenen Sonntag eine limitierte Fundraising-Aktion gestartet, deren Erlöse an die Gedenkinitiative in Hanau möglich sein. Auf jener diesjährigen Berlinale trug die Schauspielerin Luisa-Céline Gaffron hinauf dem roten Teppich die Namen jener Getöteten hinauf ihren Handflächen. Was bedeutet es Künstlerinnen und Künstlern, sich mit dem Anschlag auseinanderzusetzen?
Am ersten Jahrestag jener Tat erschien ein dunkelblaues Büchlein mit dem Titel „Texte nachher Hanau“. Der Verlag Stolze Augen hat denn Logo dies Nazar-Auge, ein Symbol pro Schutz vor bösen Mächten. In jener Anthologie, jener ersten Veröffentlichung des Verlags, sind 63 Beiträge gesammelt, darunter dies Gedicht „Wie Bettlaken hoch den Augen“ von Ozan Zakariya Keskinkılıç. Der 33-Jährige ist Politikwissenschaftler und arbeitet zusammen denn Lyriker. „die nacht hat den mond verabschiedet. greifst nachher jener welt und scrollst. terror in hanau. tote. und kein wort, dies genügt“, heißt es in dem Text. „seither Zahlungsfrist aufschieben veranschlagen, hanau aus dem kopf schreiben. weinen.“
Keskinkılıç wurde selbst in Hessen geboren und lebt in Berlin, wo er zu Rassismus und Antisemitismus forscht. In diesem ersten Gedicht, sagt er dem Freitag, ging es drum, „irgendwas aus dem Leib hervor zu schreiben, dies von medial gegen Knochen, Fleisch und Haut geschlagen hat“. Übrig Hanau zu schreiben, bedeute, „mit jener Sprache zu ringen“, Worte zu suchen, wo es keine gibt. „Das musste raus, die Angst, jener Schmerz, ich wollte Verletzlichkeit zulassen und dieses Gefühl teilen, nicht weiter zu wissen und an nichts anderes denken zu können.“ Er hat noch ein zweites Gedicht geschrieben, „Februarsturm“, da lag Hanau schon drei Jahre zurück. „den februarsturm an hundekrawatten mit Bindebogen spielen/ an lieblingsbäckerei, karnevalsumzug, an oktoberfest/ einwerfen in briefkästen/ keine werbung, sondern anzeige“ heißt es in dem Gedicht, dies im vergangenen Jahr in jener Frankfurter Rundschau erschien. „ich ziehe am schlauch, ich ziehe/ im westen, ich ziehe im osten, ich ziehe/ und ziehe den vorhang zur seite/ fäuste/ im himmel, megaphone, schilder/ say their names“. Es ist spürbar wütender, dieses Gedicht, vielleicht fernerhin jener Zeit geschuldet, jener Überwindung des ersten Schocks. Beide Gedichte, sagt Keskinkılıç, „bemühen Emotionen, die uns im Umgang mit Rassismus und rechtem Terror flankieren: die Angst, bedroht zu sein. Der Schmerz, keine Anerkennung zu diesem Zweck zu finden. Und die daraus resultierende Wut, aus jener eine kreative Kraft entstehen kann, um irgendwas zum Guten zu verändern.“
Großeltern, Eltern, Kinder: Der rechte Terror war immer da
Wut. Der Begriff fällt fernerhin im Gespräch mit Apsilon oft. Arda, wie jener Berliner Rapper bürgerlich heißt, ist neben seinem Medizinstudium so triumphierend mit seiner Musik, dass er jüngst verdongeln Plattenvertrag im Rahmen Sony unterzeichnete. Auch er hat zwei Mal hoch Hanau geschrieben. „Acker‘ hier dreißig Jahre pro verdongeln Mercedes/ Um zu sehen, wie sie deinen Sohn in verdongeln Leichenwagen in der Höhe halten/ Obduzieren, Leib zerlegen/ Doch welches uns killt, kannst du nicht in Eingeweiden sehen“, rappt er in „Ich leb“. „Ich sag‘ euch welches dies war, dies war die Heimat, die ihr predigt/ Falsche Gene, falsche Zeit im Café/ Sie sehen nur ein paar schwarze Schafe im Rahmen den Cops/ Ich seh‘ verdongeln großen Wolf und er macht seinen Job“.
Das Direkte, sagt er im Gespräch mit dem Freitag, dies Ungefilterte, dies dem Hip-Hop innewohne, mache es speziell probat, um Wut zu transportieren. „Wut hinauf den Täter, natürlich, Wut darauf, dass es passiert ist. Aber fernerhin darauf, wie damit umgegangen wurde, Wut hinauf den Staat und politische Akteure. Unsere Großeltern, unsrige Eltern und jetzt wir – jede Generation ist mit rechtem Terror aufgewachsen und mit dem Staatsversagen, dies ihn ermöglicht.“ Er schreibt darüber, denn „solange dies eine gesellschaftliche Realität ist, wird es eine musikalische Realität sein.“ In Hanau trat er dieses Jahr nicht hinauf, fernerhin wenn er immer wieder Konzerte hinauf Gedenkveranstaltungen spielt. Dieses Mal lief er in seiner Heimat Berlin mit, „ohne im Mittelpunkt zu stillstehen, sondern denn ganz normaler Demoteilnehmer.“ Das Auftreten, die Performance entfremde immer kleine Menge von dem, „worum es quasi möglich sein soll“.
Mit dem Transformationsprozess, ohne den es keine Kunst gibt, hatte fernerhin die Schriftstellerin Mithu Sanyal zu ringen. Sie schrieb ohne Rest durch zwei teilbar ihren Bestseller „Identitti“, denn jener Anschlag passierte – und beschloss, ihn in die Geschichte einzubeziehen. „Mir war immer lukulent, dass mein Roman Identitti mit einem rechtsextremen Terroranschlag enden würde“, erinnert sie sich. „Dann kam jener 19. Februar 2020 und Hanau und plötzlich teilte sich meine Welt.“ Wenige Tage nachdem habe eine ihrer besten Freundinnen sie gefragt, wie es ihr gehe, sie habe geantwortet: Scheiße natürlich. „Und sie erschrak sich total und erkundigte sich, welches passiert sei. Das lag nicht daran, dass sie nicht mitbekommen hatte, welches in Hanau passiert war. Es war nicht Personal… pro sie. Und plötzlich war mir lukulent, dass mein Roman nicht mit irgendeinem rassistischen Terroranschlag enden würde, sondern mit dem rassistischen Anschlag in Hanau.“ Mit den echten Orten, den echten Namen. Sofort nachdem plagten sie „wahnsinnige Gewissensbisse“, sie trieb die Frage um, ob sie dies gar darf, ob dies nicht eine Vereinnahmung ist. „Ich habe solange bis heute keine Antwort darauf“, sagt sie, „ich wusste nur, ich musste es zeugen.“ Zeitgleich mit ihrem Buch erschienen Romane von Kolleginnen, in denen jener Anschlag ebenfalls eine Rolle spielt, fernerhin wenn sie dort nicht lukulent geheißen sind. „Wir wollten dieser Erschütterung in jener Literatur verdongeln Widerhall verschenken, weil dies unsrige Geschichten sind, und damit meine ich deutsche Geschichten“, erklärt sie. Rechter Terror und seine Folgen „sollen Teil im Chor jener deutschen Literatur sein, wenn sie eine deutsche Literatur sein soll, die diesen Namen verdient und nicht nur eine Literatur pro bestimmte deutsche Erfahrungen.“
„Hanau, dies sind wir“
Was die drei eint, ist dies Gefühl, vom Anschlag in Hanau mitbetroffen, von den Schüssen mitgemeint zu sein. In dem Bekennerschreiben des Täters heißt es, „bestimmte Völker“ müssten „vernichtet“ werden. Keskinkılıç zitiert den Satz in seinem Gedicht und schreibt: „du bist bestimmte völker. und fragst dich: welches jetzt?“ Rapper Apsilon sagt, man habe rechten Terror schon vorher gekannt, im Unterschied dazu Hanau, „die sind so oll wie wir, die chillen an den gleichen Orten wie wir, dies sind wir“. Mithu Sanyal, Jahrgang 1971, hörte in den Interviews mit überlebenden jungen Männern die Stimme ihres Sohnes.
Die, deren Söhne es wirklich waren, spielen an diesem Frühlingstag in Hanau die Hauptrolle. Emiş Gürbüz, die berichtet, jener Friedhof sei ihr Wohnzimmer geworden. Filip Goman, dessen Großvater im KZ vergast worden sei und seine Tochter in Hanau erschossen. Vaska Zlateva, die die anwesende Polizei fragt, wo sie waren, denn ihr Cousin eine halbe Stunde weit tot am Boden lag. Die Tochter eines Verletzten, deren Vater nun ein schwerer Pflegefall sei, die sagt, jener Täter habe ihrer Familie dies Licht weggenommen. Und Serpil Temiz Unvar, am Rand jener Boden immer umgeben von den Jugendlichen ihrer Bildungsinitiative, von denen viele sie Serpil Anne nennen, Mutter Serpil. Der Kampf sei nicht pro sie selbst, sagt sie, ihr Sohn komme nicht mehr zurück. Der Kampf sei pro ganz Kinder und Jugendlichen. Nach ihrem Sohn Ferhat Unvar hat sie ihre Initiative geheißen, die antirassistische Bildungsarbeit von und pro Jugendliche anbietet. Ferhat war es, jener den Satz „Tot sind wir erst, wenn man uns vergisst“ schrieb, drei Jahre, vor er erschossen, im Unterschied dazu nicht vergessen wurde.