Kulturpolitik | Der Cancel-Minister: Erste Bilanz zu Wolfram Weimer
Der Staatsminister hat sich verdoppelt. Der eine Wolfram Weimer spricht gerade auf der Buchmesse in Frankfurt. Darüber, wie die Künstliche Intelligenz „einen Raubzug“ gegen die Literatur führt, wie der „geistige Vampirismus“ die Literatur „zerfetzen“ könnte. Weimer ist Journalist, geschult bei Axel Springer: Er weiß um die Wirkung starker Verben.
Der andere Wolfram Weimer tritt zur gleichen Zeit auf Instagram auf: Noch gestriegelter als das Original (obwohl das kaum geht) und in seiner Sprache längst nicht so markig. Dafür aber multilingual. Das ist Wolfram Weimers KI-Alter-Ego. Es hört auf den Namen „Weimertar“ und sagt, dass er gerade leider nicht mit dem Original-Kulturstaatsminister unterwegs sein könne, weil das „vielleicht Ärger“ geben könnte. Die Wahrheit ist: Der vom Computer animierte Minister hat seit Amtsantritt für weitaus weniger Ärger gesorgt als sein Original.
Wolfram Weimer war bei der Kabinettsvorstellung Ende April der Überraschungskandidat von Friedrich Merz. Die Personalie sorgte zunächst für Aufatmen: Immerhin zog Berlins radikaler Kultur-Abholzer Joe Chialo nicht ins Kanzleramt, wo der Kulturstaatsminister traditionell sein Büro hat. Doch dann sorgten markige Passagen aus früheren Büchern für einiges Aufsehen, manche befürchteten einen Kahlschlag in der Kultur – andere erhofften ihn. Weimer wiegelte ab, betonte, die Kultur nicht zu politisieren, vielmehr wolle er die „deutsche Kulturlandschaft vor allem stärken und unterstützen in ihrer wunderbaren Vielfalt“.
Für kurze Zeit bestand die Hoffnung, dass Wolfram Weimer wirklich jener bürgerliche Geist ist, als den er sich gern inszeniert. Ein moderner Freidenker im Sinne von Thomas Mann, auf den er sich so gern beruft. Dass er im Amt keinen Revanchismus, sondern Ausgleich betreiben wird. Dass er die Kulturpolitik, die seine Vorgängerin Claudia Roth zum Politikum erhoben hatte, wieder von politischer Ideologie befreit. Dass er versteht, dass die beste Kulturpolitik in der Entpolitisierung der Kultur besteht.
Wolfram Weimer gibt sich bürgerlich: Pöbeln ohne Pöbelei
Doch diese Hoffnungen wurden schnell enttäuscht, und der selbsternannte Thomas Mann entpuppte sich als wild umherballernder Karl May. Er lackierte Claudia Roths kunterbunt-chaotischen Kulturspielplatz kurzerhand einfach schwarz um.
Der alte Duzfreund von Kanzler Friedrich Merz ist heute genau jener Polit-Ideologe, den einige befürchtet hatten. Das Bekenntnis zur „bürgerlichen Renaissance“ bedeutet bei Weimer vor allen Dingen das Setzen von populistischen Zeichen (der Genderstern ist hier explizit ausgenommen).
Eine der ersten Amtshandlungen des neuen Kulturstaatssekretärs war es, dass er das Gendern in Bundesbehörden verbieten wollte, ebenso wie in Kulturinstitutionen und beim Rundfunk. Danach arbeitete er sich an den „Zwangsbeiträgen“ für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ab, die „politisch links geneigt“ seien. Und in einem Essay in der Süddeutschen Zeitung palaverte er von einer „radikal-feministischen, postkolonialen ökosozialistischen Empörungskultur“. Mehr Nius-Bingo geht nicht! Weimer stellte Bücherverbote in den Schulen der USA und Chinas Kultur-Zensur in einen Kontext mit öffentlicher Kritik an Kabarettisten wie Dieter Nuhr in Deutschland. Für einen demokratischen Staatsrepräsentanten eigentlich alles No-Gos.
Während Friedrich Merz in der Realpolitik der Großen Koalition Kompromisse schließen und den rechten Flügel seiner Partei immer wieder enttäuschen muss, richtet Wolfram Weimer im Kulturtrakt des Kanzleramtes eine Art Wohlfühlecke der Rechten ein. Hier wird das konservative Kultur-Mantra von Gender-Gaga bis Nationalkultur heruntergebetet.
Wolfram Weimer war Journalist, Gründer von Cicero und ist Betreiber eines kleinen Medien-Unternehmens mit Titeln wie Business Punk oder Markt und Mittelstand. Eine Zeit lang schienen die Talkshow-Stühle bei Markus Lanz sein Wohnzimmer zu sein. Er gab den brav gescheitelten, kompromisslosen Konservativen und kultivierte das Pöbeln ohne Pöbelei. Dabei blieb er stets Journalist. Und das ist bis heute so: Es fällt Wolfram Weimer schwer, Politiker zu werden.
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer: Erschreckend oft in den Nachrichten
Am liebsten wäre er wahrscheinlich Philosoph. Aber sein verunglückter Essay in der SZ zeigte, dass sein Denken nicht in die Tiefe geht, sondern die Oberfläche poliert. Selbst aus den eigenen Reihen wurde der Text als populistisch, inkonsistent und argumentativ willkürlich gelesen. Vielleicht wäre Wolfram Weimer gern wie der erste deutsche Kulturstaatsminister, wie Julian Nida-Rümelin, der zum intellektuellen Philosophen von Bratwurst-Kanzler Gerhard Schröder wurde.
Und es gelingt dem Staatsminister irgendwie erschreckend oft, in die Nachrichten zu kommen. Meist, wenn mal wieder aus einer Kabinettssitzung gefilmt wird und er in verblüffender Nähe zu Friedrich Merz steht: tuschelnd, nickend, zuhörend – wie ein Kanzler-Flüsterer. Manchmal scheint es in den Bildern so, dass in der Regierung nichts ohne den Kulturstaatsminister läuft. Dabei leitet Weimer nicht einmal ein Ministerium, sondern nur eine Behörde.
In Wahrheit aber ist Wolfram Weimer eher das für die CDU, was Claudia Roth für die Grünen war: Ein etwas zu geltungssüchtiges Maskottchen. Weimer ähnelt seiner Vorgängerin auch im Drang zur Selbstdarstellung, zum Teil mit ähnlichem Fremdschäm-Faktor. Wolfram Weimer liebt den großen Monolog, der meist nicht kleiner ausfällt als „Sein oder Nichtsein“. Da tut er etwa kund, „Google zerschlagen“ zu wollen. Und für seinen „Plattform Soli“, also eine Abgabe großer Tech-Konzerne, erntet er tatsächlich parteiübergreifend Applaus. Einziger Haken: Es wird ein langer Weg zum EU-Gesetz werden.
Nun könnte man meinen, wenn Weimer schon kein Politiker ist, kann er politisch auch nicht viel versemmeln. Und das stimmt sicherlich auch, was konkrete, nationale und rechte Kulturpolitik betrifft. Aber auch ein Politiker, der unpolitisch agiert, kann Schaden anrichten. Bei Weimer sind das immer wieder die Tücken des Konkreten. Das Kleingedruckte ist Weimers Sache nicht. Er ist eher ein Mann der Headline.
Da steht er hemdsärmelig auf dem Grünen Wagner-Hügel in Bayreuth und erklärt lässig in die Kamera, dass die Bayreuther Festspiele „das coolste Opernfestival der Welt“ seien, aber konkrete Finanzierungszusagen macht er nicht. Während das Land Bayern bereit ist, die Tarifsteigerungen auszugleichen, bleibt Weimers Behörde zurückhaltend. Die Crux: Das Land kann seinen Zuschuss nur im Schulterschluss mit dem Bund erhöhen. Weimers Unverbindlichkeit stellt die Festspiele vor Planungsunsicherheit, Intendantin Katharina Wagner befürchtet 2028 zahlungsunfähig zu sein. Aber der Kulturstaatssekretär schüttelt lieber Hände auf dem Festspielempfang.
Bei Antisemitismus ist Wolfram Weimer konsequent
Was er besser macht als seine Vorgängerin? In Sachen Antisemitismus gibt es bei Wolfram Weimer keinen Wankelmut. Egal, ob bei der Ausladung des Dirigenten Lahav Shani von einem belgischen Festival oder an anderen Stellen: Der Kulturstaatsminister ist konsequent in seiner Haltung. Auch, wenn er dem Dialog durch sein forsches Auftreten zuweilen im Wege steht. Beispiel: Chefket.
Wolfram Weimer fühlte sich berufen, den Rapper per Brief an das Haus der Kulturen der Welt gleich mit Kopie an die dpa zu canceln. „Chefket hat auf seinem Instagram-Kanal ein Foto von sich in einem T-Shirt mit einem Motiv veröffentlicht, das das Existenzrecht Israels infrage stellt“, schrieb Weimer, „da der gewünschte Staat Palästina auf israelischem Staatsgebiet entsteht und kein Platz für Israel vorgesehen ist.“
Erhellend war danach eine Passage im Dialog, den der Bundeskulturminister mit dem Veranstalter des abgesagten Konzertes, Jan Böhmermann, geführt hat. Böhmermann stellte dem Kulturstaatsminister die Frage: „Warum haben Sie mich nicht angerufen?“. Weimer hatte keine Antwort. Die gab wenig später die FAZ, indem sie Weimers Politik-Stil so beschrieb: Der Kulturminister „kommuniziert nicht, sondern ordnet an“.
Tatsächlich ist das vielleicht, was von den ersten Monaten im Amt von Wolfram Weimer bislang bleibt. Er ist kein Politiker, der für den Dialog antritt, er ist keiner, der Kultur als schöpferischen Freiraum begreift. Und er denkt gar nicht daran, den Fehler rückgängig zu machen, den Claudia Roth begangen hat: die Kultur zu politisieren. Im Gegenteil, Kultur ist für den neuen Staatsminister ein rhetorisches Kampffeld. Kultur ist bei Wolfram Weimer ein Ort des konservativen Purismus in Zeiten, in denen die CDU Realpolitik aus Koalitions-Kompromissen machen muss.
Aber es gibt ja noch den anderen Kulturstaatsminister. Vielleicht sollten wir unsere Hoffnungen auf den „Weimertar“ setzen. Der lernt möglicherweise aus der Kakophonie des Netzes und aus der Geschichte der Kulturpolitik, dass es klüger wäre, die Freiräume der Kultur zu managen, anstatt die Kultur als Bühne der eigenen Inszenierung zu bespielen.