„Kulturlos“, „grotesk“ – Lindenberg-Zensur stößt hinauf massives Unverständnis
Berliner Chöre wollen Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ ohne das „I-Wort“ zur Aufführung bringen. Die Reaktionen reichen von Überraschung bis hin zu totalem Unverständnis. Auch der Veranstalter, das Berliner Humboldt-Forum, und Kulturstaatsministerin Claudia Roth stehen in der Kritik.
Eine Chorveranstaltung im Berliner Humboldt Forum sorgt bundesweit für Schlagzeilen, und eine Debatte über Sprachregelungen, ethnische Minderheiten sowie vermeintliche Diskriminierungserfahrungen.
„Vielstimmig 2024“ heißt die Veranstaltung, zur Aufführung gebracht werden soll dort auch Udo Lindenbergs Hit „Sonderzug nach Pankow“, allerdings ohne das Wort „Oberindianer“, mit dem der Sänger in dem Titel aus dem Jahr 1983 den DDR-Staatschef Erich Honecker fast schon liebevoll karikiert hatte. Stattdessen werden die Mitglieder von insgesamt acht Chören bei ihrem Auftritt auf das Wort „Ober-I“ (mit langer Intonation auf dem „I“) ausweichen, wie das Humboldt Forum WELT am Mittwoch bestätigt hatte. Die Entscheidung sei nach einer internen Debatte und auf ausdrücklichen Wunsch der Sängerinnen und Sänger erfolgt, hieß es weiter.
Die Meldung stieß deutschlandweit auf viel Resonanz, mehrheitlich aber auf Unverständnis. Mittlerweile haben sich auch erste Politiker zu Wort gemeldet, darunter FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. Er zeigte sich gegenüber „Bild“ verärgert: „Wie kulturlos ist es eigentlich, einen über vier Jahrzehnte alten Liedtext eigenmächtig zu zensieren und damit Udo Lindenbergs Kunst in eine Reihe mit schweren Verbrechen in der amerikanischen Kolonialgeschichte zu stellen?“ Gerade eine „üppig mit staatlichen Mitteln finanzierte Einrichtung wie das Humboldt Forum“ müsse, so Kubicki weiter, doch ein eigenes Interesse haben, dass die Kunstfreiheit des Grundgesetzes „unter Schutz steht und alles bekämpft werden muss, was diesen ehernen Grundsatz zu beeinträchtigen sucht“.
Des Weiteren fordert Kubicki auch politische Konsequenzen. Er verwies darauf, dass das Humboldt Forum öffentliche Gelder von Bund und dem Land Berlin bekommt und zudem in der Verantwortung von Kulturstaatsministerin Claudia Roth liegt. „Ich erwarte von Kulturstaatsministerin Roth eine eindeutige Reaktion, dass in unserem Land immer noch die Freiheit der Kunst verteidigt wird“, so Wolfgang Kubicki. Die Grünen-Politikerin wollte sich gegenüber „Bild“ zu dem Thema zunächst nicht äußern.
Berliner CDU findet den Vorgang „geschichtsvergessen“
Die Berliner CDU bezeichnete den Vorgang in der „Bild“ als „grotesk“ und „geschichtsvergessen“. Generalsekretärin Ottilie Klein äußerte sich so: „Am ehemaligen Standort des Palasts der Republik wird nun ein Lied zensiert, dessen Text das diktatorische SED-Regime auf die Schippe genommen hat. Ein Lied, das Udo Lindenberg schon 1983 nicht in der DDR singen durfte“.
DDR-Historiker Hubertus Knabe wiederum wurde gegenüber „Bild“ ganz grundsätzlich: „Das Humboldt Forum entwickelt sich immer mehr zur linksradikalen Sekte. Es wird Zeit, dass diejenigen, die diese Ausrichtung befördern und bezahlen, aus dem Amt gewählt werden“, so der langjährige Direktor der Berliner Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.
1983 hatte Lindenberg mit seinem „Sonderzug nach Pankow“ an „Oberindianer“ DDR-Staatschef Erich Honecker appelliert, ihn in der DDR auftreten zu lassen. Der Rockstar singt in seinem Song unter anderem: „Ich muss da was klären, mit eurem Oberindianer. Ich bin ein Jodeltalent und will da spielen mit ‘ner Band.“
Den klaren Zeitbezug haben die Veranstalter in ihrer Stellungnahme auch durchaus eingeräumt. „Auch wenn das Wort in dem Lied ‚Sonderzug nach Pankow‘ in seiner Entstehungszeit 1983 eine metaphorische Konnotation hatte – und es sich damals satirisch-kritisch auf Erich Honecker bezog – sind wir uns auch bewusst, dass in dem Wort die Gewaltgeschichte der Kolonisierung indigener Bevölkerungsgruppen nachklingt“, so die Stiftung Humboldt Forum. Das Wort werde von vielen indigenen Menschen und von vielen Besuchern als diskriminierend und rassistisch wahrgenommen, hieß es weiter.
Udo Lindenberg selbst hat sich bisher nicht öffentlich zu dem Streit geäußert, eine WELT-Anfrage blieb unbeantwortet.
Für die Auftrittsreihe „Vielstimmig 2024“ waren die Chöre aufgefordert worden, sich mit dem Humboldt-Forum auseinanderzusetzen. Im Fokus steht die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“. Die Auftritte sind am 16. und 17. November geplant, der Eintritt ist frei.
krott
Source: welt.de