Kritik | Podcast-Geplapper: Wie Wolfgang Kemps Buch hilft, diesen Sound zu ertragen
Superlative ohne Ende, Podcast-Gelaber überall: Der Sprachkritiker Wolfgang Kemp führt uns durch den Alltagssprech einer Epoche, die sich einfach nicht festlegen will und alles „irgendwie so total spannend“ findet
Dem ständigen Diskursgeplapper fehlt jede Anstrengung, einen Gedanken einmal auszuformulieren
Montage: der Freitag; Material: Getty Images
Dass die heute zu Unrecht so oft für altbacken gehaltene Disziplin der Sprachkritik mehr sein kann als Rumnörgeln über problematische Begriffe, Gendersterne, „einfache Sprache“, Jugendslang oder elitären Fachjargon, zeigt der Kunsthistoriker Wolfgang Kemp in seinem Buch Irgendwie so total spannend. Unser schöner neuer Sprachgebrauch.
Im Gegenwartsdeutsch sieht er zwei sich auf den ersten Blick widerstreitende Tendenzen am Werk: das Umgehungsdeutsch, welches jeden Satz mit Füllwörtern („irgendwie“, „ein bisschen“, „sozusagen“) vollstopft und bewusst diffus bleibt, sowie das sogenannte Totaldeutsch, das sich in jedem Satz wieder und wieder mit Superlativen versichert („genau“, „absolut“, „auf jeden Fall“, „ganz, alles“). Dieses „gleichzeitige Auftreten von Spracherweichung und Spracherhärtung“, das sich durch den „Zwang, nicht zwanghaft sein zu wollen“ auszeichnet, hört Wolfgang Kemp insbesondere im Kommunikationston der Podcasts heraus.
Am Ende auch alles egal
Hier ersetzt rumlavierendes Diskursgeplapper jede Anstrengung, einen Gedanken einmal ganz auszuformulieren – stattdessen ist alles betont beiläufig und leger. Sollte man einmal weghören, hat man nichts verpasst: Es kommt, wie es kommt – alles locker, alles nebenbei, alles gut, am Ende aber auch alles egal. Der Sprachfluss ist ähnlich end- und sinnlos wie das Doomscrollen am Smartphone. Urteile fällt man allenfalls noch mit substanzlos-lakonischen Trendtermini wie „schwierig“, „spannend“ oder „interessant“.
Zwar darf auch in Kemps Buch das obligatorische Kapitel über die Gendersprache und ihre mitunter bizarr anmutenden Einfälle, die sich der bürokratischen Administrationssprache immer stärker anähneln, nicht fehlen; im Mittelpunkt des Buches steht aber das Unterfangen, den Alltagssprech der Jetztzeit zu sezieren. Kemp geht dabei ausgesprochen locker und anekdotenreich vor und analysiert anhand von Podcasts sowie Texten beispielhaft ohne Anspruch auf systematische Vollständigkeit.
Nicht zuletzt sein unterschwelliger Humor bewahrt Irgendwie so total spannend davor, selbst in jene populäre Falle der kulturkritischen Verfallsphraseologie zu tappen, die weniger an die essayistische Sprachkritik gemahnt als an den „Jargon der Eigentlichkeit“ Martin Heideggers, auf den sich Theodor W. Adorno in der gleichnamigen Schrift bezog, die 1964 erschien.
Wolfgang Kemp gelingen triftige Beispiele
Wolfgang Kemp gelingen dabei wesentlich triftigere Ansichten als so manchem feuilletonistischen Großtheoriker: „Formprinzip der Epoche“ sei die Fluidität, der nie endende Prozess, die hybride Offenheit, die alles dahingleiten lässt und die Dinge im Fluss hält. Richtigerweise erkennt Kemp auch, dass diese Reibungslosigkeits-Manie einen Zeitgeist vorantreibt, der bei aller Gegenwartsflüchtigkeit seine Kompensation sucht: „Es reicht nicht, schnell, leicht und ubiquitär zu sein, auf der Agenda stehen auch Werte wie authentisch, echt, nah, Werte, die zumindest markiert werden wollen.“
Eine der wenigen Schwächen des Buchs ist am Ende höchstens, dass der Bogen nicht doch noch etwas weiter gespannt wird. Denn was folgt schließlich daraus, wenn der Sprachfluss immer am Laufen gehalten werden muss, wenn jede Aussage beständig ihre eigene Rücknahme andeutet und alles in einem Zustand der angedeuteten Paraphrase belassen wird? Schlägt diese Stilmaxime, die alles im Schwung halten will und sich nie festlegt, nicht letztendlich in jene glatte Erstarrung um, welche die rasende Gegenwart paradoxerweise auszeichnet?
Was bleibt, ist dann der Dauervollzug von dem, was ohnehin ist: Wie im Podcast kann man über alles reden, sanfte, achtsame Einwände anbringen, einen Austausch pflegen, der am Ende nichts übrig lässt als das Einverstandensein in Form von „schön, dass wir mal darüber geredet haben“.
Der fluide und inklusive Sprachduktus mag sich also noch so smart und transparent geben – auffallend ist, dass er die Alltagssprache zu einem reinen, sphärenübergreifend angeglichenen Verwaltungsorgan verkommen lässt, wodurch in Vergessenheit gerät, was Sprache im besten Fall auch sein könnte: Voraussetzung vernünftigen Denkens, um die Welt zu erfassen, zu beschreiben und zu kritisieren.
Irgendwie so total spannend. Unser schöner neuer Sprachgebrauch Wolfgang Kemp zu Klampen 2025, 144 S., 14,99 €