Krisenpolitik: Die Bazooka ist wieder da

Der 13. März 2020 war ein Tag, den man im Berliner Regierungsviertel nicht vergessen wird. Vor der blauen Wand der Bundespressekonferenz stellten Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) an jenem Tag wegen des sich ausbreitenden Coronavirus ihr „Schutzschild für Beschäftigte und Unternehmen“ vor. Zu diesem Zeitpunkt war das gesellschaft­liche und wirtschaftliche Leben in Deutschland noch nicht auf ein Minimum zurückgefahren. Der erste Corona-Lockdown sollte erst gut eine Woche später beginnen. Aber die Dramatik der Lage klang in den Aussagen der beiden Minister schon durch. Einen Kreditrahmen „ohne Begrenzung“ versprachen sie. „Es wird nicht gekleckert, es wird geklotzt.“ Und: „Es ist genug Geld vorhanden.“

CDU-Chef Friedrich Merz benutzte vor wenigen Tagen wahrscheinlich nicht zufällig einen Satz, wie er schon in früheren Krisen fiel. „Whatever it takes“, was auch immer nötig ist, will die sich formierende schwarz-rote Koalition der Zeitenwende in Washington und der bröckelnden In­frastruktur in Deutschland entgegen­setzen. Dies erinnert an die Worte von Finanzminister Scholz zu Beginn der Co­rona-Zeit: „Wir wollen alles Mögliche tun, um die Krise zu meistern.“ Und natürlich an den früheren EZB-Präsidenten Mario Draghi. „Whatever it takes“ lautete das Versprechen des Notenbankchefs im Jahr 2012, als es um die Rettung des Euro ging. Auch eine Querverbindung zu Angela Merkel (CDU) gibt es. In der Bankenkrise 2008 sicherte sie als Kanzlerin den deutschen Sparern zu, dass die Regierung für alle Einlagen in unbegrenzter Höhe einstehe. Jetzt also ein weiteres „Whatever it takes“: Verteidigungsaus­gaben auf Kredit in unbeschränkter Höhe und ein 500 Milliarden Euro schweres Sonderschuldenprogramm zur Ertüchtigung von allem, was sich unter den Begriff Infrastruktur fassen lässt. Funktioniert Politik nur, wenn sie Maximallösungen verspricht?

Im Schaufenster der Politik

Ganz offenkundig liebt es die Politik zumindest, große Summen ins Schaufenster zu stellen. Das zeugt von Entschlossenheit, macht Eindruck. Olaf Scholz griff bei der Ankündigung der Corona-Hilfen auf das Sprachbild der „Bazooka“ zurück, ei­ner Waffe mit großer Durchschlagskraft. Der im März 2020 geschaffene Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) wurde mit 600 Milliarden Euro aufgeladen. Gebraucht wurde davon letztlich deutlich weniger: „Nur“ rund neun Milliarden Euro für Eigenkapitalhilfen und rund 60 Milliarden Euro für Darlehen an Unternehmen flossen tatsächlich ab. Ergänzend gab es Liquiditätshilfen für Unternehmen, die in der Pandemie schließen mussten. Die diversen Überbrückungshilfen sowie die November- und Dezemberhilfe aus dem Haushalt addierten sich auf mehr als 76 Milliarden Euro.

Zu diesen Summen aus den Kassen des Bundes kamen weitere Milliardenbeträge der Bundesagentur für Arbeit hinzu. Allein für Kurzarbeitergeld gab sie in den Jahren 2020 und 2021 rund 42 Milliarden Euro aus sowie weitere zehn Milliarden Euro für zusätzliches Arbeitslosengeld. Schon im April 2020, einen Monat nach Beginn des ersten Lockdowns, waren sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit, ein Fünftel aller Beschäftigten. Wenn Betriebe keine Arbeit für ihre Angestellten mehr haben und diese zur Rettung ihrer Stelle auf Lohn verzichten, gleicht das Kurzarbeitergeld etwa zwei Drittel dieser Einbuße aus. In Not geratenen Betriebe können auf diese Weise schnell und relativ unbürokratisch ihre Kosten senken.

Faktisch wirkte das Kurzarbeitergeld in der Pandemie damit wie eine allgemeine Wirtschaftshilfe. Während im Wirtschaftsministerium Peter Altmaier noch mit den Ländern darum rang, das Antragsverfahren für die Corona-Hilfen aufzubauen, konnte die Bundesagentur für Arbeit ihre Hilfe mit der bestehenden Struktur auf Knopfdruck an betroffene Betriebe zahlen, bis hin zum kleinen Landgasthof. Ende 2020 waren 56 Prozent der Beschäftigten im Gastgewerbe in Kurzarbeit; es war die wohl wichtigste Staatshilfe für die Branche.

In der Kasse der Arbeitslosenversicherung hinterließ das alles aber Spuren, die bis heute nachwirken. Denn ihre aus Sozialbeiträgen aufgebaute Finanzreserve, damals 26 Milliarden Euro, ist jetzt weg. Noch einmal so viel schoss der Bund an Steuermitteln zu. Und da seither Rezession und steigende Arbeitslosigkeit die Ausgaben der Arbeitslosenkasse hochtreiben, konnte sie auch kein neues Polster aufbauen. In der nächsten Krise steht sie ohne eigenen finanziellen Puffer da.

Jeder Vierte muss Hilfe zurückzahlen

Die Corona-Hilfen des Bundes sind zum 30. Juni 2022 ausgelaufen. Aber sie beschäftigen die Bundesregierung noch immer und werden das wohl auch noch bis 2027 tun – weil erst jetzt abgerechnet wird. Um Hilfen zu beantragen, mussten Unternehmen und Selbständige je nach Programm entweder ihre Fixkosten angeben, oder die wegen der Corona-Beschränkungen erwarteten Umsatzeinbußen. Die Angaben von damals werden jetzt mit der Realität abgeglichen. Waren die angegeben Fixkosten tatsächlich „förderfähig“? Für vor Corona abgeschlossene Leasingverträge für Dienstwagen oder auch typische Instandhaltungsarbeiten galt das zum Beispiel nicht. Und traten die erwarteten Umsatzeinbußen tatsächlich ein? Etliche Male verlängerte der Bund nach Protesten der Steuerberater die Frist für die sogenannte Schlussabrechnung. Am 30. September 2024 lief schließlich auch die letzte ab.

Nach Angaben des Wirtschaftsminis­teriums wurden rund 95 Prozent der zu erwartenden Schlussabrechnungen eingereicht. Für einige der bewilligten Hilfsanträge liegt aber weiter keine Abrechnung vor. Wenn das so bleibt, heißt das für die Betroffenen, dass sie die erhaltene Hilfe in voller Höhe zurückzahlen müssen. Von den eingereichten Schlussabrechnungen ist mittlerweile nach Angaben des Ministeriums etwa die Hälfte geprüft und beschieden. In 31 Prozent der Fälle sei die vorläufig gewährte Förderung bestätigt worden, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. In 41 Prozent der Fälle bekämen die Antragsteller eine Nachzahlung, in einer durchschnittlichen Höhe von rund 4000 Euro. In 28 Prozent der Fälle gebe es Rückforderungen. Durchschnittlich müssten die Antragsteller in diesen Fällen rund 8700 Euro zurückzahlen. „Größere Rückforderungen beziehen sich nur auf wenige Einzelfälle“, betont der Sprecher. In weniger als fünf Prozent der abgeschlossenen Prüfungen gebe es eine Rückforderung von mehr als 10.000 Euro. Die Rückzahlungsfrist beträgt grundsätzlich sechs Monate, Stundungs- und Ratenzahlungsvereinbarungen über bis zu drei Jahre seien aber möglich. Insgesamt ist die Politik zufrieden mit den Hilfen. 130.000 Unternehmensschließungen seien verhindert und 150.000 Ar­beits­plätze erhalten worden, heißt es in Ministeriumskreisen. Eine genaue Analyse dazu soll im Sommer vorliegen.

Der hohe Preis der Notlagenkredite

Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds ist mittlerweile Geschichte, er musste nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2023 aufgelöst werden. Zuvor war der Schuldentopf aus der Corona-Zeit in der Energiekrise noch einmal reaktiviert worden. 200 Milliarden Euro stellte der Bund im Herbst 2022 für die Gas- und Strompreisbremsen sowie andere Maßnahmen gegen die hohen Energiepreise bereit. Benötigt wurde auch in diesem Fall deutlich weniger. Das erste Sondervermögen für die Bundeswehr von 100 Milliarden Euro ist dage­gen längst vollständig verplant.

Solche Notlagenkredite haben ihren Preis. Sie steigern nicht nur die Zinskosten, die auf dem Bundeshaushalt lasten, sondern sind auch nach dem Grund­gesetz „binnen eines angemessenen Zeitraums“ zurückzuführen. Nach den geltenden Plänen soll das im Jahr 2028 beginnen mit etwa 9 Milliarden Euro, 2031 dürften daraus 14 Milliarden Euro werden – die bis 2058 jährlich aus dem Bundeshaushalt abgezweigt werden müssen. Die nachfolgenden drei Jahre mit Tilgungen von jeweils 5 Milliarden Euro wirken da schon fast vernachlässigbar.

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Die Corona-Krise ist mit ihren Gesundheitsrisiken, Unsicherheiten und wirtschaftlichen Folgen sicherlich einzigartig gewesen. Und doch ist sie nur ein Glied einer ganzen Krisenkette. Deutschland konnte jedes Mal große Finanzpakte zur Stabilisierung der Lage stemmen – dank seiner geringen Staatsschuld. In anderen europäischen Ländern, die diese finanziellen Möglichkeiten nicht hatten, sorgte das für Verstimmungen. Mit dem nun geplanten Aufbohren der Schuldenbremse könnte ein besonderer Punkt erreicht sein, der die nächsten Krisen von der heutigen und früheren unterscheiden kann: Wenn die deutsche Staatsschuldenquote jetzt spürbar steigen wird, sind künftig andere Lösungen gefragt. Dann können nachfolgende Koalitionen nicht mehr so leicht mit gigantischen Extrakrediten auf außergewöhnliche Umstände antworten.