Krise im Zusammenhang Bosch, ZF und Mahle: „Ein hartes Verbrenner-Aus wäre fahrlässig“

Die Gesamtbetriebsratsvor­sit­zen­den der drei großen baden-württembergischen Autozulieferer Bosch, ZF und Mahle wenden sich mit einer eindring­lichen Mahnung an die deutsche Bundesregierung: Sie fordern die Abkehr vom Verbrenner-Aus im Jahr 2035 und rufen die Verantwortlichen in Berlin dazu auf, dieser Forderung bei EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mit einer Stimme Nachdruck zu verleihen. „Wir stellen die CO2-Neutralität nicht infrage, aber wir brauchen mehr Zeit, um diesen Wandel hinzubekommen“, sagt Frank Sell, oberster Arbeitnehmervertreter bei Bosch.

Wie Achim Dietrich, Gesamtbetriebsratsvorsitzender von ZF, und sein Mahle-Kollege Boris Schwürz plädiert Sell dafür, Autos mit Plug-in-Hybrid-Antrieben und Range Extendern auch nach 2035 auf Europas Straßen fahren zu lassen. Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge haben so­wohl einen Verbrennungsmotor als auch einen Elektroantrieb, bei Range Extendern lädt ein Verbrennungsmotor die Batterie eines Elektroautos auf und vergrößert so die Reichweite. „Wir brauchen eine Öffnung für alle CO2-neutralen Technologien, dazu gehören Plug-in-Hybride, Range Extender und erneuerbare Kraftstoffe“, erklärt Sell weiter. „Ein hartes Verbrenner-Aus wäre für die europäische Automobilindustrie fahr­lässig.“

Eine flexiblere Regulierung, so die Idee der Arbeitnehmervertreter, könnte den Übergang zur Elektromobilität fließender gestalten und einen Bruch verhindern, indem zögernde Kunden sich für Range Extender und Plug-in-Hybride entscheiden, die anfangs vor allem mit Benzin und im Laufe der Zeit – und mit steigendem CO2-Preis – mehr und mehr elektrisch an­getrieben werden. „Es geht nicht um ein Zurückdrehen, nicht um eine Renaissance des Verbrenners. Es geht um eine Flexi­bilisierung des Verbrenner-Verbots – und zwar mit Technologien, die helfen, die notwendigen Klimaziele schneller zu erreichen“, sagt Schwürz. Vor allem hätten die „Verbotsdiskussionen die Vorbehalte gegenüber E-Fahrzeugen verstärkt“, erklärt ZF-Gesamtbetriebsratschef Dietrich. „Und die Unsicherheit hat zu einer Kaufzurückhaltung geführt, auch bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor.“

„Nicht ideologisch, sondern verantwortungsvoll“

Auf Unverständnis stößt bei den Gesamtbetriebsratsvorsitzenden die zögernde und nicht einheitliche Haltung der Bundesregierung. „Mich ärgert maßlos, dass wir in Deutschland nicht mit einer Stimme in Brüssel sprechen, dass die Politiker nicht sehen, dass da eine ganze Industrie dranhängt“, sagt Schwürz. „Die Koalitionsparteien der Bundesregierung haben hier eine besondere Verantwortung, die wichtig ist nicht nur für eine Industriebranche, sondern für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft insgesamt.“ Wie wahrscheinlich ein Einlenken der EU-Kommission um Ursula von der Leyen ist, dazu will Achim Dietrich keine Prognose wagen. „Ich hoffe, dass die Politik in dieser Frage nicht ideologisch, sondern verantwortungsvoll handelt und entscheidet.“

DSGVO Platzhalter

Sollte Brüssel sich nicht überzeugen lassen und weiter an der Linie festhalten, dass von 2035 an der CO2-Ausstoß von Neufahrzeugen auf null sinken muss, werde sich die Krise der euro­päischen und vor allem deutsche Autoindustrie verschärfen. „Wenn wir wirklich nur auf rein batterieelektrische Fahrzeuge setzen, bedeutet das einen weiteren massiven Stellenabbau in Deutschland – zusätzlich zu all den Sparprogrammen, die jetzt schon auf dem Tisch liegen. Und an jedem Industriearbeitsplatz hängen noch mindestens zwei bis drei weitere Arbeitsplätze dran“, sagt Schwürz mit Blick auf die tiefe Krise, in der vor allem die Zulieferer stecken.

Weil sich Investitionen in Zukunftsfelder wie die Elektromobilität oder das autonome Fahren nicht oder noch nicht ausgezahlt haben, aber auch wegen fehlender Wett­bewerbsfähigkeit im globalen Automo­bilgeschäft und der aktuellen geopolitischen Verwerfungen im Welthandel gehen die Gewinne der Unternehmen zurück, und die Profita­bilität ihrer Fa­briken in Deutschland sinkt. Vor diesem Hintergrund hat Bosch an deutschen Standorten der Autosparte den Abbau von 22.000 Stellen angekündigt, ZF will bis zu 14.000 Arbeitsplätze streichen. Der Zulieferer Mahle, der als Spezialist für Kolben von Verbrennungsmotoren von der Wende bei den Antrieben besonders betroffen war, hat seine Mitarbeiterzahl in Deutschland in den vergangenen fünf Jahren bereits um mehrere Tausend re­duziert und vor zwei Wochen neue Sparmaß­nahmen angekündigt. Insgesamt geht es um 1000 Stellen weltweit, davon eine mittlere dreistellige Zahl in Deutschland.

Elektroautoanteil von 70 Prozent bis 2035 – maximal

Nach Ansicht von Dietrich würde ein Verbrenner-Verbot mit gleichzeitiger Nachfrageschwäche bei E-Autos „viele Unternehmen finanziell überfordern, weil die hohen Investitionen in E-Mobilität eben immer noch nicht ausgelastet sind.“ Bosch-Betriebsratschef Sell macht eine weitere Rechnung auf. Wenn alles optimal laufe, die Infrastruktur aufgebaut werde, die Kunden sich durch Kaufanreize überzeugen ließen, komme man 2035 maximal auf einen Elektroauto­anteil von 70 Prozent. „Und was passiert dann? Die Unternehmen würden in der ersten Hälfte der nächsten Dekade beginnen, die Produktionskapazitäten für die restlichen 30 Prozent einfach abzubauen, weil es für sie keinen Markt mehr gäbe“, sagt Sell – und diese Produktionskapazitäten und Arbeitsplätze seien dann unwiederbringlich verloren.

Auch im Hinblick auf die Innovationen plädieren Sell, Dietrich und Schwürz für eine größere Offenheit bei den Technologien und verweisen auf das Beispiel China. Die Volksrepublik sei mit der Entwicklung der CO2-Neutralität im Verkehr wesentlich weiter, weil sie auf alle Technologien setze. „Wir dagegen haben die Technologieführerschaft in bestimmten Feldern verloren“, sagt Sell. „Wenn das Verbrenner-Aus bestehen bleibt, schwinden die Chancen, die Führerschaft zurückzugewinnen. Und ich muss da immer alle Antriebsarten im Auge behalten.“ Zwei Beispiele führt der Bosch-Arbeitnehmervertreter dafür an. Der chinesische Autohersteller BYD habe in Brasilien mit großem Erfolg ein Hybridauto auf den Markt gebracht, das mit Kraftstoffen aus Zuckerrohr fahren könne. Und im Hafen von Shanghai seien nur Brennstoffzellen-Lastwagen unterwegs – ohne CO2-Emissionen und ohne die langen Ladezeiten von batterieelek­trischen Fahrzeugen.

Sell ärgert sich, wenn der Autoindus­trie unterstellt wird, dass sie eine Neu­regelung nur deshalb fordern würden, um den notwendigen Veränderungen aus dem Weg zu gehen. „Die größte Sorge der Politik ist, so scheint es, dass die Anstrengungen der Unternehmen zur CO2-Neu­tralität nachlassen, wenn sie vom Verbrenner-Verbot abrückt. Ich teile die Sorge nicht – im Gegenteil: Eine Rolle rückwärts will niemand“, erklärt Sell. „Viele Unternehmen haben hohe Investitionen getätigt, darunter auch Bosch, um alternative Antriebe marktfähig zu machen.“

Natürlich hängt bei den Zulieferern die Beschäftigung vieler Menschen noch immer am Verbrennungsgeschäft: Bei Bosch sind es europaweit 40.000 Beschäftigte, bei Mahle 6000 und bei ZF 28.000, die in der Antriebssparte arbeiten und neben Elektromotoren vor allem auch Hybridgetriebe und Range Extender herstellen. Und noch gehört das Verbrenner-Geschäft bei allen drei Zulieferern zu den Bereichen, die im Gegensatz zu vielen Zukunftsfeldern Gewinne erwirtschaften.

Klar ist für Sell, Dietrich und Schwürz bei allem Nachdruck, mit dem sie ihre Forderung erheben, eines. „Die Abkehr vom Verbrenner-Aus löst nicht alle Pro­bleme der Autoindustrie, aber der Übergang in die neue Welt des CO2-freien Verkehrs wird einfacher und für die betroffenen Menschen sozialer“, sagt Schwürz. Nur eine flexible Regelung schafft die Möglichkeit, „dass wir Beschäftigung und Innovationskraft in Deutschland halten können“, fügt Dietrich an. Nötig dazu sind allerdings auch „politische Rahmenbe­din­gungen, die nicht dazu führen, dass wir uns in Europa vollständig von anderen abhängig machen und wir am Ende ohne China nicht einmal mehr einen Kühlschrank oder wichtige Medizin eigenständig herstellen können“, sagt Dietrich.

Bosch-Gesamtbetriebsratschef Sell geht einen Schritt weiter: Er fordert ein neues „Bündnis für Arbeit“, einen Zukunftspakt als Schulterschluss zwischen Unternehmen, Arbeitnehmern und Politik. „Rohstoffunabhängigkeit, Regeln zur lokalen Wertschöpfung, Technologieführerschaft – da hilft es nicht, dass man sich ab und an zu Konferenzen zusammensetzt und ein Papier unterschreibt. Das sind komplexe Themen, die man kontinuierlich und langfristig bearbeiten muss“, sagt Sell. „Die Gipfelpolitik der vergangenen Monate reicht dafür nicht aus.“ Gipfel wie der Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg, zu dem am Mittwoch Bundeskanzler Friedrich Merz nach Stuttgart eingeladen war.