Krieg in der Ukraine: „Russische Diplomaten fliehen genauso schlimm wie russische Soldaten“
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- Russische oder ukrainische Angaben zum Kriegsverlauf sowie zur Zahl Verletzter und Getöteter lassen sich derzeit nicht unabhängig verifizieren.
- Neben eigenen Recherchen verwenden wir auch Material der Nachrichtenagenturen dpa, AP, AFP, KNA und Reuters.
Wichtige Beiträge
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Nancy Faeser offen für Aufnahme russischer Deserteure
Russische Männer, die nach der angekündigten Mobilisierung den Kriegsdienst verweigern wollen, könnten Schutz in Deutschland erhalten. Darüber zeigte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung offen: Deserteure, die von schweren Repressionen betroffen sind, erhielten normalerweise internationalen Schutz, sagte die SPD-Politikerin.
Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenstellt und deshalb in größte Gefahr begibt, kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen.Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Ob der Asylstatus auch erteilt werde, sei jedoch eine Einzelfallentscheidung. In deren Rahmen erfolge auch eine Sicherheitsüberprüfung, sagte Faeser. Zuvor hatte Lettlands Außenminister Edgars Rinkēvičs gewarnt, die Aufnahme von russischen Kriegsdienstverweigerern berge Sicherheitsrisiken. Die EU-Kommission hat die Mitgliedsländer zu einem einheitlichen Kurs bei der Aufnahme aufgerufen. -
Russland meldet 10.000 Freiwillige für Kampf in UkraineIn den ersten 24 Stunden der Teilmobilisierung sollen sich in Russland etwa 10.000 Freiwillige für den Kampf in der Ukraine gemeldet haben. Das berichteten staatliche Nachrichtenagenturen unter Berufung auf den russischen Generalstab. Die Menschen hätten sich gemeldet, ohne auf Einberufungspapiere zu warten.
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Nur kurzer Auftritt von Lawrow im UN-Sicherheitsrat
Der russische Außenminister hat seinen Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat mit einer knapp 90-minütigen Verspätung begonnen – und das Treffen unmittelbar nach seiner Rede wieder verlassen. Dazwischen warf Sergej Lawrow dem Westen vor, mit den Waffenlieferungen an die Ukraine Russland „zermürben und schwächen“ zu wollen. Staaten, die das angegriffene Land „mit Waffen vollpumpen“, agierten besonders zynisch, da sie die Kämpfe verlängerten.
Gleichzeitig wiederholte Lawrow die beleglosen Behauptungen seines Präsidenten, die Ukraine sei zu einem „totalitären Nazi-ähnlichen Staat geworden (…), in dem die Normen des humanitären Völkerrechts mit Füßen getreten werden“.
Die Ukraine sei eine Bedrohung für die Sicherheit Russlands, nutze die „Taktik von Terroristen“ und müsse dafür bestraft werden. Die „militärische Spezialoperation“ gegen das Land sei unausweichlich gewesen, das „Narrativ“ einer russischen Aggression bezeichnete Lawrow als „Tragödie“.
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Kuleba: Putin hat mit Teilmobilisierung Niederlage eingestanden
Für den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba hat Russland den Krieg gegen sein Land schon verloren. Vor dem UN-Sicherheitsrat sagte er über den russischen Präsidenten:
Putin hat die Mobilisierung angekündigt, aber was er wirklich vor der ganzen Welt angekündigt hat, war die Niederlage.Dmytro Kuleba in New York
Jeder einzelne Ukrainer stünde bereit, sein Land zu verteidigen, sagte Kuleba. Und wieder mit Blick auf die Teilmobilmachung:Du kannst 300.000 oder 500.000 Menschen einziehen, aber du wirst diesen Krieg nie gewinnen.Dmytro Kuleba in New York
Mit Blick auf den russischen Außenminister Sergej Lawrow, der den Saal bei dem Treffen zur Ukraine rund 90 Minuten zu spät betreten und dann direkt nach seiner Rede wieder verlassen hatte, sagte Kuleba:Ich habe heute auch bemerkt, dass russische Diplomaten genau so schlimm fliehen wie russische Soldaten.Dmytro Kuleba in New York
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Weltstrafgericht schickt weitere Vertreter zu Ermittlungen in die Ukraine
Der Chefankläger des Weltstrafgerichtes Karim Khan will in der kommenden Woche weitere Mitglieder seines Büros in die Ukraine entsenden. Dort sollen sie Vorwürfen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen im Osten des Landes nachgehen, wie Khan in einer Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York sagte. Im Mai habe der Internationale Strafgerichtshof in der Ukraine den größten Vor-Ort-Einsatz in seiner Geschichte durchgeführt. Seither gebe es dort eine ständige Präsenz.Wir befinden uns jetzt in der Phase der forensischen, objektiven und unparteiischen, manchmal sehr mühsamen Arbeit, um die Fakten zu erfassen und die Wahrheit von der Fiktion zu trennen.Karim Khan
Was er bisher gesehen habe, sei sehr beunruhigend. „Ich war dreimal in der Ukraine und habe eine Vielzahl von Zerstörung, von Leid und Schäden gesehen“, sagte Khan. Diese hätten ihn darin bestärkt, „dass es hinreichende Gründe für die Annahme gibt, dass die Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Gerichts fallen, begangen worden sind.“ -
Stadt Moskau zahlt eingezogenen Reservisten 50.000 Rubel im Monat
Die russische Hauptstadt Moskau will die bei der Teilmobilisierung eingezogenen Reservisten mit Sonderzahlungen belohnen. Jedem eingezogenen Bewohner Moskaus zahle die Hauptstadt monatlich 50.000 Rubel (etwa 830 Euro) auf den Sold obendrauf, teilte Bürgermeister Sergej Sobjanin mit. Im Fall einer schweren Verwundung solle eine Million Rubel gezahlt werden, bei einer leichten Verwundung die Hälfte. Beim Tod eines Soldaten erhalte die Familie drei Millionen Rubel, also knapp 50.000 Euro.
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500.000 Russen seit Kriegsbeginn emigriert
Während sich an den Grenzen zu Finnland und Georgien Ausreisebewegungen von Russen nach der Ankündigung einer Teilmobilmachung verstärken, fordert die EU-Kommission eine einheitliche Linie unter den Mitgliedsstaaten für den Umgang mit Geflüchteten. Seit dem russischen Einmarsch in der Ukraine haben nach Angaben von Kommissionssprecher Peter Stano bereits eine halbe Million Russinnen und Russen ihre Heimat verlassen.
- Oliver Morin/AFP/Getty ImagesAutos vor einem Grenzübergang zwischen Russland und Finnland am 22. September
Ihre Anträge müssen demnach von den Mitgliedsstaaten von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der Grundrechte und Vorschriften für Asylverfahren geprüft werden. Unter den EU-Ländern ist die Einreise stark umstritten, vor allem die östlichen Mitgliedsländer sowie Finnland hatten zuletzt schon die Vergabe von Touristenvisa stark eingeschränkt. Lettland hatte bereits mitgeteilt, es wolle den nun ausreisenden russischen Staatsbürgern die Einreise verweigern.So schrieb Lettlands Außenminister Edgars Rinkēvičs auf Twitter, es sei ein „erhebliches Sicherheitsrisiko“, nun vor der Mobilisierung fliehende Russen aufzunehmen: „Viele der Russen, die jetzt wegen der Mobilmachung fliehen, waren mit der Tötung von Ukrainern einverstanden“, teilte er mit. „Sie haben damals nicht protestiert, es ist falsch, sie als bewusste (Kriegsdienst-)Verweigerer zu betrachten.“
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Ukrainischer Außenminister will „Sicherheitsabstand“ zu Lawrow einhalten
Vor einem mit Spannung erwarteten Zusammentreffen der Außenminister Russlands und der Ukraine im UN-Sicherheitsrat hat der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba angekündigt, dass er sich von seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow fernhalten wolle. „Ich werde einen sicheren Abstand zu ihm einhalten“, sagte Kuleba vor Journalistinnen und Journalisten am Rande der UN-Generaldebatte.
- Bryan R. Smith/AFP/Getty ImagesUkrainischer Außenminister Dmytro Kuleba am 22. September in New York
Der UN-Sicherheitsrat befasst sich am Rande der 77. Generaldebatte der UN-Vollversammlung mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Außenminister beider Kriegsparteien wurden dazu eingeladen. Russland hat Lawrows Teilnahme zwar im Vorhinein bestätigt, bisher tauchte dieser aber nicht auf. Es ist unklar, ob Lawrow noch erscheinen wird. -
Baerbock würdigt Mut der Protestierenden in Russland
Außenministerin Annalena Baerbock hat sich beeindruckt gezeigt vom Mut der Menschen, die in Russland gegen die angekündigte Teilmobilmachung demonstrieren. Nach den Ankündigungen sei nun jedem in Russland klar: „Russland führt Krieg gegen seinen Nachbarn und es wird jeden in Russland betreffen„, sagte die Grünenpolitikerin am Rande der UN-Generalversammlung in New York.
- Michael Kappeler/dpaAußenministerin Annalena Baerbock am Rande der UN-Generalvollversammlung
So wie Menschen in Russland keine Angst hätten, gegen diesen völkerrechtswidrigen Krieg zu protestieren, müsse deutlich werden, „dass wir keine Angst haben (…), sondern dass wir weiterhin die Ukraine unterstützen“, sagte Baerbock. Der Mut der Menschen in der Ukraine, jeden Tag für Frieden und Freiheit zu kämpfen, müsse unterstützt werden „mit humanitärer Hilfe, mit ziviler Hilfe, mit (einem) Maßnahmenpaket für den Winter zum Wiederaufbau, aber eben auch mit Waffenlieferungen“. -
Kreml streitet Mobilmachung von einer Million Soldaten ab
Das russische Präsidialamt dementiert einen Medienbericht, wonach eine verheimlichte Klausel im russischen Mobilisierungsdekret die Einberufung von einer Million Reservisten vorsieht. Der Bericht der Investigativzeitung Nowaja Gaseta Europa sei „eine Lüge“, zitiert die staatliche Nachrichtenagentur RIA den Kremlsprecher Dmitri Peskow. Das Blatt beruft sich auf eine anonyme Quelle in der Präsidialverwaltung.
- Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty ImagesBlick auf den Moskauer Kreml am 31. August
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Russland erwägt Anhebung von Öl- und Gassteuern
Angesichts der erwarteten Lücken im Staatshaushalt prüft Russland höhere Steuern auf Öl und Gas. Im Raum stünden höhere Ausfuhrzölle für Pipeline-Gasexporte und Steuern auf verflüssigtes Erdgas, sagte Finanzminister Anton Siluanow in einer im Fernsehen übertragenen Regierungssitzung. Auch die Einführung von Ausfuhrzöllen für Düngemittel und Kohle sei denkbar.
Wie das Wirtschaftsblatt Kommersant zuvor berichtet hatte, sei vor allem eine Erhöhung der Gasausfuhrsteuer auf bis zu 50 Prozent im Gespräch.
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Polen verteilt Jodtabletten aus Sorge vor Nuklearkatastrophe
Polen hat Jodtabletten an die Feuerwehr verteilt, die im Fall einer Atomkatastrophe im ukrainischen AKW Saporischschja an die Bevölkerung ausgegeben werden sollen. Die polnische Regierung habe die Entscheidung nach den Medienberichten über die Kämpfe in der Nähe des AKW getroffen, sagte der stellvertretende Innenminister Błażej Poboży einem polnischen Radiosender. Sehr hoch dosierte Jodtabletten dienen als Schutz vor Schilddrüsenkrebs bei einem nuklearen Unfall.
- Miguel Medina/AFP/Getty ImagesPlatz vor dem Königsschloss in Warschau am 23. Juli
Es handelt sich um Routine- und Präventivmaßnahmen im Falle einer Situation, die … wie ich hoffe, nicht eintreten wird.Błażej Poboży
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Ukrainische Bahn trotzt russischen Angriffen
Die Beschäftigten der ukrainischen Eisenbahn sind in den Monaten seit Beginn des russischen Angriffskriegs Spezialisten in der Expressreparatur zerbombter Gleise geworden. „Wir haben herausgefunden, wie man alles repariert, sodass der Service niemals für mehr als zwei Stunden stillsteht“, sagte Alexander Kamyschin, Chef der ukrainischen Eisenbahn, auf der Bahntechnikmesse Innotrans in Berlin.
Die Eisenbahn in der Ukraine – Ukrsalisnyzja – ist mit 231.000 Beschäftigten der größte Staatskonzern. Rund 8.000 Angestellte kämpfen derzeit in der ukrainischen Armee, sagte Kamyschin. Seit Beginn des Kriegs am 24. Februar seien 244 Beschäftigte getötet und 425 weitere verletzt worden. „Das ist der höchste Preis“, sagte er. „Zerstörte Infrastruktur kann man wieder reparieren.“
Wir sind bei Tag 210 des Kriegs. Egal wie heftig sie uns bombardieren, wir fahren weiter.Alexander Kamyschin
- Vyacheslav Madiyevskyy/ReutersZerstörter Waggon nach einem Raketenangriff in Charkiw am 21. September
Die Eisenbahn sei eine Lebensader für das Land, so der Unternehmenschef: „An manchen Tagen war sie der einzige Weg durch das Land.“ Sobald sich die russischen Truppen irgendwo zurückziehen, machten sich die Reparaturtrupps an die Arbeit. So sei bereits eine Woche nach der Rückeroberung von Charkiw ein Zug nach Balaklija im Osten gefahren. Das ukrainische Schienennetz umfasst 23.000 Kilometer und ist damit das drittgrößte nach dem deutschen und dem französischen.Die Zukunft sieht der Konzernchef in Europa. Mit dem nötigen Umbau habe die ukrainische Bahn bereits begonnen, sagte er. Noch ist die Spurweite größtenteils breiter als in Mitteleuropa. „Für uns gibt es keinen anderen Weg als den Wechsel zum europäischen Standard.“
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Russland will weiter nicht von Krieg sprechen
Auch nach der angeordneten Mobilisierung von Hunderttausenden Reservisten betrachtet die russische Regierung den Krieg gegen die Ukraine weiter nicht als solchen. Es sei weiterhin eine „militärische Spezialoperation“, sagte Wladimir Putins Sprecher Dmitri Peskow, woran die Teilmobilisierung nichts ändere.
Putin hat die Mobilmachung gestern angekündigt, dabei aber nicht den Kriegszustand ausgerufen. Das ermöglicht ihm unter anderen, Kritiker des Krieges, die ihn als solchen bezeichnen, politisch zu verfolgen.
Zudem setzt der Präsident weniger auf Kriegsbefürworter in der Bevölkerung als auf Indifferenz, solange der Krieg nicht den Alltag der Menschen in großen Metropolen betrifft. Beobachter halten die Mobilisierung daher für einen riskanten Schritt für den Präsidenten selbst.
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Explosionen in Melitopol und Donezk
Einen Tag vor dem geplanten Beginn der Scheinreferenden in besetzten ukrainischen Gebieten haben Explosionen die Städte Melitopol und Donezk erschüttert. Dem ukrainischen Exilbürgermeister des seit Februar besetzten Melitopol zufolge starben sechs Soldaten bei einer Explosion auf dem Marktplatz der Stadt. Die Zahl der zivilen Opfer sei noch nicht bekannt, schrieb Iwan Fedorow auf Telegram.
Der Exilbürgermeister machte die russischen Besatzungskräfte dafür verantwortlich: „Die Besatzer haben einen Terroranschlag an einem Ort voller Menschen verübt, um vor dem Pseudoreferendum die Ukraine des Terrorismus zu bezichtigen„, schrieb Fedorow. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden, die russische Besatzungsverwaltung spricht ihrerseits von einem Terrorangriff ukrainischer Spezialkräfte, um die Bevölkerung vor der Scheinabstimmung einzuschüchtern.
- Ria Novosti/imago imagesWerbung für die Teilnahme am Scheinreferendum über den Anschluss an Russland in Melitopol am 21. September
Auch in der Donbass-Metropole Donezk, seit acht Jahren von kremltreuen Milizen besetzt, kam es zu Explosionen auf einem Marktplatz. Sechs Menschen seien dabei getötet und sechs verletzt worden, schrieb der von Russland eingesetzte Bürgermeister Alexej Kulemsin auf Telegram. Die Explosion führte er auf einen ukrainischen Artillerieangriff zurück.