Kräftiges Lohnplus und mehr Freizeit im Staatsdienst
Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wollen in der kommenden Tarifrunde für 2,5 Millionen Beschäftigte der Kommunen und des Bundes Gehaltserhöhungen und mehr Freizeitansprüche durchsetzen, die sich zu einer Forderungshöhe von mehr als acht Prozent summieren. Die laufenden Monatsgehälter sollen dabei um mindestens 350 Euro steigen. Hinzukommt die Forderung nach einen neuartigen Gewerkschaftsbonus – die öffentlichen Arbeitgeber soll Beschäftigten einen zusätzlichen freien Tag gewähren, wenn diese Mitglied einer Gewerkschaft sind. Das haben die Tarifgremien der Gewerkschaften Verdi und DBB Beamtenbund am Mittwoch beschlossen.
Die neue Tarifforderung, über die von Januar an verhandelt werden soll, liegt damit über der aktuellen Forderung der IG Metall, die seit September ihre Tarifverhandlungen für insgesamt knapp vier Millionen Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie führt und dort mit einer Forderung von sieben Prozent angetreten ist. Überschattet werden die Tarifrunden von der fortgesetzt schlechten Wirtschaftslage, die am Mittwoch durch die neue Konjunkturprojektion der Bundesregierung bestätigt wurde.
Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke begründete die Höhe der Forderung im öffentlichen Dienst indes wirtschaftspolitisch: Es gehe „insbesondere darum, die Kaufkraft und damit die Binnennachfrage zu stärken“, erklärte er nach dem Beschluss der Verdi-Bundestarifkommission: „Das ist wichtig für das Wirtschaftswachstum in Deutschland“. Die Tarifverträge für Bund und Kommunen laufen zum Jahresende aus.
Kritik am „teuersten Tarifabschluss“ vor 18 Monaten
Mit dem vorangegangenen Tarifabschluss von April 2023 hatten die Beschäftigten 3000 Euro steuer- und abgabenfreie Inflationsprämie erhalten sowie eine Erhöhung der Monatsgehälter um einheitlich 200 Euro und um weitere 5,5 Prozent. Die kommunalen Arbeitgeber nannten dies damals den „teuersten Tarifabschluss aller Zeiten“. Für Pflegefachkräfte habe er ein Plus von 18 Prozent gebracht. Die IG Metall hatte Ende 2022 neben 3000 Euro Inflationsprämie Tariferhöhungen in zwei Stufen von 5,2 und 3,3 Prozent durchgesetzt.
Als neues Instrument zur Entlastung der Beschäftigten sieht die aktuelle Tarifforderung ein „Meine-Zeit-Konto“ vor. Beschäftigte sollen damit Gehaltsansprüche in Freizeitansprüche umwanden können. Sie sollen so „eigenständig verfügen und entscheiden können, ob die erzielte Entgelterhöhung oder weitere Vergütungsbestandteile wie Überstunden inklusive Zuschlägen ausgezahlt oder auf das Konto gebucht werden sollen“, erläuterte Verdi.
Guthaben könnten dann „für eine Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit, zusätzliche freie Tage oder auch längere Freistellungsphasen genutzt werden“. Für besonders belastende Tätigkeiten, wozu Verdi etwa die Arbeit in Kindertagesstätten zählt, soll es zudem höhere Gehaltszuschläge geben. Für Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeheimen sieht die Forderung eine neue bezahlte Pause in der Wechselschicht vor.
Attraktivität des öffentlichen Dienstes ist ein Thema
Zur Begründung des Gesamtpaketes führte Werneke die Belastung der Beschäftigten durch Personalknappheit und unbesetzte Stellen an: „Daher muss alles getan werden, um den öffentlichen Dienst wieder attraktiver zu machen.“ Dies erfordere „neben mehr Geld vor allem mehr Zeitsouveränität und mehr Entlastung“.
Im Vergleich zu der Privatwirtschaft hat der öffentliche Dienst allerdings in Sachen Personalaufbau schon jetzt die Führungsrolle übernommen. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der Erwerbstätigen im verarbeitenden Gewerbe, also in den Kernbereichen der Industrie, seit 2019 um mehr als 300.000 auf 7,8 Millionen gesunken. Der öffentliche Sektor – Verwaltung sowie Gesundheits- und Erziehungswesen – legte seither dagegen um eine Million auf 12,2 Millionen Beschäftigte zu. Die stärksten Personalzuwächse gab es dabei in dem Bereich zentrale Verwaltung und politische Führung.
Einen Bonus für Gewerkschaftsmitglieder, wie ihn nun auch Verdi und DBB fordern, hatte Ende Juni die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) den Arbeitgebern in ihrer Tarifrunde für 585.000 Beschäftigte der Chemieindustrie abgerungen. Dort ging sie allerdings Absprachen zur Stärkung der Sozialpartnerschaft ein, gestützt durch eine Schlichtungsvereinbarung, die einem Streikverzicht gleichkommt. Dies machte den Arbeitgebern die Zustimmung zu einem solchen Förderinstrument für Gewerkschaften leichter. Einen derartigen Interessenausgleich haben Verdi und DBB aber nicht im Sinn.
„Das werden sicher wieder lange Nächte“, kündigte DBB-Chef Ulrich Silberbach bei der Vorstellung der Forderungen an: „Uns fehlen jetzt schon 570.000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst, und die demographische Krise beginnt gerade erst“, begründete er das Paket.