Konsum: Warum wir möglichst sparen wie shoppen

Gute 60 Jahre ist es her, dass eine Idee nach Deutschland kam, die jetzt ihrem Ende entgegenzugehen scheint. 1964 eröffnete in Frankfurt am Main das erste Einkaufszentrum der Bundesrepublik, das Main-Taunus-Zentrum. Es folgten Hunderte weitere Malls, wie man sie inzwischen nennt, nur haben es diese heute immer schwerer, ihre Läden mit Leben zu füllen.

Fast zwölf Prozent der Flächen stehen durchschnittlich in Shoppingcentern leer, ergab eine aktuelle Erhebung der Savills Immobilienberatung. In 17 Prozent aller Malls ist die Lage noch deutlich dramatischer, dort liegt der Leerstand sogar bei mehr als 20 Prozent. In Deutschlands größter Mall, dem Centro Oberhausen, schloss im Frühjahr sogar eine gesamte Etage, weil der Modehändler Sinn seine Fläche fast halbierte.

Das triste Bild setzt sich auch in vielen Innenstädten fort. Schaufenster sind zugeklebt, Eingänge verbarrikadiert, die Leerstände in den Fußgängerzonen anhaltend hoch. Es schließen vor allem Modegeschäfte, kleinere Einrichtungshäuser oder Schuhläden. Obwohl die Branche nach der Coronakrise auf eine Wiederbelebung gehofft hatte, schleppt sie sich nun wieder durch ein schwieriges Jahr. Darauf deuten neben den Leerständen eine Reihe von Indikatoren hin.

Wachstum nicht zu erwarten

Den ganzen Sommer über war die Konsumlaune der Menschen eher mäßig bis schlecht. Anfang der Woche ließ der Handelsverband Deutschland wissen, dass der private Konsum „in den kommenden Monaten kein signifikantes Wachstum“ erreichen werde. Ähnlich negativ schätzt die Gesellschaft für Konsumforschung GfK die Lage ein, die Kauflust der Bürgerinnen und Bürger werde im September wohl noch geringer ausfallen als im August. Selbst die Fußballeuropameisterschaft zu Beginn des Sommers habe keinen nachhaltigen Effekt auf die Verbraucherstimmung gehabt, die Euphorie sei „nach Ende des Turniers verflogen“, erklärt die GfK.

Der Shoppingboykott spiegelt sich auch in den jüngsten Insolvenzzahlen in Deutschland wider. Insgesamt sind diese im Juli um mehr als 13 Prozent gegenüber Juli 2023 gestiegen – wie schon im Juni und Mai lag das Wachstum im zweistelligen Bereich. Bricht man diese Zahlen auf die einzelnen Branchen herunter, liegt gleich hinter dem Baugewerbe der Handel auf Platz zwei, und das seit Monaten. Das Statistische Bundesamt weist zwar darauf hin, dass andere Branchen stärker betroffen sind, wenn man die Insolvenzen ins Verhältnis zur Anzahl der Unternehmen der jeweiligen Branchen setzt. Die Geschäftsaufgaben im Handel sind aber genau die, die den Menschen auffallen, weil sie im Stadtbild sichtbar sind.

Auf den ersten Blick weniger offensichtlich ist jedoch, warum die Shoppinglaune sich weiterhin so negativ entwickelt, obwohl die Kaufkraft der Menschen in Deutschland wieder wächst. Die Verbraucherpreise sind im August so langsam gestiegen wie seit mehr als drei Jahren nicht. Die Inflationsrate lag bei 1,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Auch hat die Entwicklung der Bruttolöhne im zweiten Quartal das fünfte Mal in Folge die Inflation abgehängt. Das bedeutet, dass den Menschen in Deutschland real wieder mehr Geld für ihre Ausgaben zur Verfügung steht. Warum aber geben sie weniger aus?

Handelsexperten und Wirtschaftswissenschaftlerinnen haben dafür eine Erklärung. Die Hoffnung, dass die sinkende Inflationsrate jetzt den Konsum anfache, dürfte trügen, sagt etwa der Ökonom Friedrich Heinemann vom Wirtschaftsinstitut ZEW in Mannheim. Die Teuerung sei gerade bei Dienstleistungen „für viele Menschen sehr stark sichtbar“ und verunsichere sie weiterhin. „Die neuen Zahlen signalisieren einen Zwischenerfolg“, sagt Heinemann, „aber noch keinen Durchbruch in Richtung Preisstabilität.“   

Verluste noch nicht aufgeholt

Deutschland steckt also in einer Art Übergangsphase. In den Jahren 2022 und 2023 sind die Preise so schnell und stark gestiegen, dass die Kaufkraft der Verbraucher zunächst sehr geschwächt wurde. Diese Verluste jedoch „sind noch nicht wieder aufgeholt“, heißt es dazu auch vom Handelsverband.

Dazu kommt die Psychologie, genauer gesagt: die Massenpsychologie. Die schwache Konjunkturentwicklung – erste Prognosen gehen inzwischen sogar von einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts dieses Jahr aus – trägt zum allgemeinen Pessimismus bei. Auch der Arbeitsmarkt scheint sich mehr abzuschwächen als in früheren Jahren, im August ist die Arbeitslosenquote stärker als vergangenes Jahr gestiegen, auch wenn sie insgesamt bei lediglich 6,1 Prozent liegt. Und auch wenn man selbst nicht die Arbeit verliert oder dies befürchten muss, führt die allgemeine Lage zu mehr Vorsicht und Zurückhaltung bei neuen Anschaffungen.

Die privaten Haushalte in Deutschland schätzen vor allem ihre Finanzen in den nächsten zwölf Monaten deutlich weniger positiv ein als zuletzt. Die Einkommenserwartung ist laut der Gesellschaft für Konsumforschung so stark gesunken wie seit zwei Jahren nicht mehr, als die Bevölkerung noch unter dem Eindruck von Coronalockdowns stand. Diese allgemeine Verunsicherung führte in den vergangenen Monaten auch dazu, dass die Sparneigung in Deutschland wieder zugenommen hat. Die Menschen legen also mehr Geld zur Seite.

Die große Sorge von Politikerinnen und Ökonomen ist, in eine Abwärtsspirale zu geraten: Die schlechte Stimmung unter den Verbrauchern wirkt sich schließlich auf die Konjunkturentwicklung insgesamt aus, weil etwas mehr als die Hälfte der deutschen Wirtschaftsleistung auf dem Konsum der privaten Haushalte basiert. Viele Ökonomen hoffen nun, dass die Europäische Zentralbank in ihrer kommenden Sitzung Mitte September den Leitzins wieder senkt, sodass es mehr Investitionen in Deutschland gibt und dies die allgemeine Konjunktur belebt. Den Niedergang der in die Jahre gekommenen Idee der Shoppingcenter dürfte dies aber kaum aufhalten.