Kompost: Ein großer Haufen Hoffnung

Nein, es ist nicht übertrieben. Und wenn es übertrieben ist, dann nur ein ganz klein wenig. Denn was sich dort draußen gerade abspielt, in dem, was man den kulturellen Diskursraum nennt, darf man getrost als radikale Neubesinnung werten. Weil die gewohnten Leitwerte nicht länger tragen. Und dringend eine andere Idee von Fortschritt, ein anderes Bild des guten Lebens entstehen soll.

Der Kompost, ausgerechnet, ist dieses Bild. Ein großer Haufen Hoffnung, könnte man sagen. Und für viele – nicht übertrieben – ein neuer Ort der Sehnsucht.

Schon dass sich hier alles mit allem vermengt, unterschiedslos, der Kompost also ein großer Gleichmacher ist, eine hierarchiefreie Sphäre, schon das darf man als Gesellschaftsmetapher verstehen. Hier verliert die Rose ihre Schönheit, ihre Dornen, ihren Duft. Dafür vereint sie sich mit Eierschalen, den Apfelbutzen, dem giftigen Eisenhut, den Resten der Melone. Wird unkenntlich, wird braun und dunkel. Und ist doch nicht verloren.

Denn nichts, rein gar nichts kommt dem Kompost abhanden. Im Gegenteil, er ist ja ein Ort des Anreicherns, einer hochaktiven Transformation. Und schon deshalb für viele Forscher, Künstler und sonst wie politische Köpfe eine Verheißung.

Es gibt Kompostfestivals (wie in Münster), composting-Lesegruppen (wie in Sydney), es gibt auch in der Kunst zahlreiche Komposthaufen, die von Metamorphose erzählen, von gemeinschaftsstiftender Erhitzung, einer ungeahnten Energie. Ob Lois Weinberger auf der Biennale in Venedig oder Pierre Huyghe auf der Documenta in Kassel – Rotten wird zur ästhetischen Erfahrung: Da ist Zersetzung, da ist Verwandlung, es gärt und dampft, es kommt etwas in Gang, anstrengungslos und ohne dass man immer wüsste, wie und warum.

Der Kompost entzieht sich unseren Sinnen, das Geheimnis seiner Hitze steckt tief in ihm drin, gewissermaßen im Erdinneren, wo andere Mächte, nicht die menschlichen, ihr Werk beginnen. Und dabei ganz von allein, das ist das erdige Wunder, etwas entstehen lassen, das kostbarer nicht sein könnte. Kompost, ein Überlebensmittel.

Gerade beschleicht ja viele Menschen das Gefühl, dass sie sich selbst und der Welt zum Feind geworden sind. Als wäre die Zukunft verloren, noch bevor sie begonnen hat. „Gletscher schmelzen, Arbeitswelten verschwinden, Ordnungen zerfallen“, heißt es beim Soziologen Andreas Reckwitz, der im Oktober ein Buch mit dem schwermütigen Titel Verlust herausbringt und der wissen möchte, was noch werden kann, wenn die alten Ideen des Aufstiegs und des Vorankommens nicht mehr verfangen.

Den Kompost kümmern solche Fragen nicht, er kennt ja die Antwort: Bei ihm ist das Ende der Anfang. Hier sind Verlust, Absterben, Niedergang geradezu die Voraussetzung dafür, dass Milliarden, nein, eigentlich Billionen und Billiarden von Kleinstlebewesen produktiv werden können und noch aus dem größten Gammel etwas entsteht, das neues Gedeihen erst ermöglicht.

Eigentlich weiß man ja, dass in ein paar Handvoll Gartenerde mehr Rädertiere, Borsten- und Fadenwürmer, Pilze, Springschwänze, Spinnen, Asseln und Bakterien unterwegs sind als Menschen auf der Erde. Doch ist es ein abstraktes Wissen, ein Reichtum, der sich kaum sehen, nicht fühlen lässt. Und von dem man eine ferne Ahnung erst bekommt, wenn einem der Kompost zwischen den Fingern klebt und das Wissen zur leiblichen Erfahrung wird, weil die Erde sich unter den Fingernägeln festsetzt und alles Schrubben nicht hilft, da die Kleinst- und Miniwesen ihr neues Habitat offenbar nicht widerstandslos verlassen mögen.

Sie sind in der Überzahl, das sowieso. Außerdem gibt es sie auf Erden weit länger als den Homo sapiens. Und sie werden ihn, das ist absehbar, lässig überleben, weil das ja, wie gesagt, ihre Existenzgrundlage ist: dass sich Leben überlebt, dass es stirbt und vergeht. Weil nur so der kostbare Humus entstehen kann, ohne den es keine Nährstoffe gibt und also nichts Natürliches, das sich essen und genießen lässt.

Lauter Selbstverständlichkeiten, sollte man denken. Doch die stählerne Moderne ging barsch darüber hinweg (bis heute ist das Mikroleben des Bodens ähnlich unerforscht wie die Tiefsee). Undenkbar, der Mensch könne vom Wohlergehen der Spinnen und Asseln abhängen. Nein, diese Moderne träumte von Autonomie, von einer rundum naturfernen Existenz ohne Gewürm, keimfrei und bakterienarm. Schließlich stand man auf dem Boden der Tatsachen, und das hieß: weit über allen Kompostwundern.