Kolumbien – Präsident Gustavo Petro: „Wir feiern jedes Leben, dasjenige gerettet werden kann“
Nunmehr knapp zwei Jahre im Amt, gerät Präsident Gustavo Petro zusehends an die Grenzen seines Reformkonzepts. Er muss sich stets von Neuem gegen eine rechte Parlamentsmehrheit durchsetzen, was nicht folgenlos bleibt. Angesichts nur geringer Fortschritte bei der traditionell katastrophalen Lage für Menschenrechtsaktivisten zeigen sich erste Frustrationen auch bei wohlgesinnten Gruppen, die von einem linken Staatschef mehr erwartet hätten. Bisher macht es sich zudem nicht bezahlt, dass Mitglieder der Zivilgesellschaft in öffentliche Ämter gerückt sind.
Dennoch sprechen die meisten sozialen Bewegungen Kolumbiens bis heute von einer „Regierung des Wandels“. „Gustavo Petro verfolgt eine progressive Politik, die sich zum Recht auf Bildung und Gesundheit bekennt, einen freien Zugang zum Boden und zu den Wasserressourcen unseres Land befürwortet“, meint Astrid Torres, Koordinatorin des vor 25 Jahren gegründeten größten Menschenrechtsnetzwerks „Somos Defensores“, das mit etwa 500 lokalen Organisationen verbunden ist. „Er definiert, dass die Zukunft der Menschheit in Zeiten des Klimawandels eine Herausforderung ist, und erkennt die vorhandenen Defizite des kolumbianischen Staates an.“ Das sei ein gravierender Unterschied zu vorherigen Regierungen, „die den Rechtsanspruch auf ein Leben in Würde nie formuliert haben“.
Nur wie dem gerecht werden? Gerade eine Reform des Arbeitsrechts und der weitgehend privatisierten Gesundheitsversorgung wird von den Rechtsparteien blockiert, auch wenn eine Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen dafür ist. Eine extreme soziale Ungleichheit gab in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder den Anstoß für gewalttätige Konflikte. Da diesbezüglich kaum Fortschritte zu verzeichnen sind, kann es nicht verwundern, dass die Friedensverhandlungen, die Petro mit bewaffneten Gruppen nach der Maxime „Paz total“ führt, bisher kaum zu konkreten Resultaten führten.
Die Konsequenzen für die Menschenrechtslage gerade im ländlichen Raum sind fatal. „Im Vorjahr haben wir weniger Menschenrechtsverletzungen registriert als 2022. Wir feiern jedes Leben, das gerettet werden kann, aber die Zahl der Toten ist nach wie vor viel zu hoch, als dass wir von einem tatsächlichen Wandel oder auch nur einer positiven Tendenz sprechen können“, urteilt Torres. Bei politischen Morden sank die Quote zwar um 15 Prozent, aber ungeachtet dessen wurden im Vorjahr 168 Menschen – überwiegend lokale und indigene Führer – umgebracht. Die Zahl der spurlos Verschwundenen stieg ebenfalls wieder an. So bieten die Zahlen wenig oder keinen Anlass zum Optimismus. Kolumbien bleibt das Land mit den weltweit meisten Opfern unter den Verteidigern der Menschenrechte.
Es gab viel Austausch der Regierung mit Menschenrechtsgruppen zu Maßnahmen und Plänen. Doch kümmert sich die Bürokratie bestenfalls halbherzig darum. Ein Ansatz, um das zu ändern, ist die Berufung von Aktivisten in staatliche Ämter im Umfeld des Präsidenten. So wurde die Vorgängerin von Astrid Torres im Oktober 2023 zur Beraterin für Menschenrechte berufen. „Wir sehen das nicht als ein Kooptieren. Es braucht Fachleute, denen genau bekannt ist, wofür sie dann verantwortlich sind. Aber natürlich muss in erster Linie der Staat seine Aufgaben erledigen“, so Torres. „Menschenrechtsverbände müssen die Regierung kritisieren, wenn wir sehen, dass deren Maßnahmen nicht die erforderlichen Ergebnisse bringen. Das macht uns noch nicht zu Handlangern der rechten Gegner Gustavo Petros.“
Ungesühnte Morde
Etwas zögerlich fügt Torres hinzu, die Zeit des Lernens sei für eine nicht mehr ganz so neue Regierung irgendwann vorbei. Viele Gruppen seien unzufrieden, sie würden sich besonders daran stören, dass nach wie vor 87 Prozent aller politischen Morde in Kolumbien ungesühnt bleiben. Angesichts dieser Situation kann es nur erstaunen, dass von der Bundesregierung in Berlin erwogen wird, Kolumbien als sicheren Herkunftsstaat einzustufen. „Eigentlich ist das schwer vorstellbar“, meint Astrid Torres. „Wir sprechen regelmäßig mit der Deutschen Botschaft in Bogotá, die unsere Zahlen kennt. Es gibt bis heute immer wieder Fälle, in denen Menschen um ihrer Sicherheit willen Kolumbien verlassen müssen.“
Beunruhigt sind Menschenrechtsgruppen auch über die 2021 begonnene deutsche Unterstützung der kolumbianischen Polizei und des Militärs. „Die Weiterführung dieser Sicherheitskooperationen muss vertraglich strikt an messbare Fortschritte hinsichtlich struktureller menschenrechtskonformer Reformen geknüpft und unabhängig überprüft werden“, fordert Matthias Schreiber von der Deutschen Menschenrechtskoordination Kolumbien. „Die entsprechenden Ergebnisse sollten der Zivilgesellschaft beider Länder zugänglich sein.“ Transparenz war bislang nicht unbedingt eine Stärke dieser Kooperation. Präsident Petro hat es weder geschafft, die Polizei einem militärischen Kommando zu entziehen, noch die berüchtigte Sondereinheit Escuadrón Móvil Antidisturbios (ESMAD) aufzulösen, wie er es versprochen hatte. Sie erhielt nur einen neuen Namen.