Koalitionskrach droht: Regierung wagt sich an die Reparatur des Heizungsgesetzes
Seit der Nacht von vorigem Mittwoch auf Donnerstag hat Wirtschaftsministerin Katherina Reiche gute Aussichten, die neue Bärbel Bas zu werden, wenn auch unter etwas anderen Vorzeichen.
Wie bitte?
Nun ja: Bis vor ein paar Tagen hatte die Regierungskoalition aus Union und SPD über die Rentenpolitik gestritten, mit der knappen Kanzlermehrheit im Bundestag ist die Bewährungsprobe erst einmal überstanden, Wiedervorlage im nächsten Sommer, sofern die innen- und außenpolitische Lage dann noch Rentendebatten zulässt.
Damit ist die Bühne frei für einen neuen Kampf, einen politisch vielleicht noch gewichtigeren. Der Abstieg der Ampelkoalition hatte ja nicht erst mit dem Haushaltsurteil des Verfassungsgerichts im Herbst 2023 begonnen, sondern schon mit dem Streit um Gasheizungen und Wärmepumpen ein halbes Jahr zuvor. Weshalb die Unionsparteien im Wahlkampf die sogenannte Abschaffung des sogenannten Heizungsgesetzes versprachen. Für die Kampagne war das ähnlich zentral wie die Rente für die SPD.
Und genauso wie die sozialdemokratische Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas für ihre Partei die Rentengarantie durchfocht, hat jetzt die christdemokratische Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche die Aufgabe, einen Kompromiss zu verhandeln, der als Heizungsgesetzabschaffung durchgehen kann.
Es klafft eine erhebliche Lücke
Man kann nicht sagen, dass das seit der vergangenen Woche einfacher geworden ist. Bevor die SPD-Bauministerin Verena Hubertz kürzlich ihren Mutterschutz antrat, hatten die beiden Politikerinnen monatelang vergeblich versucht, einen Kompromiss zu finden. Dass das nicht ohne Weiteres gelang, überraschte niemanden wirklich. Zwischen dem Wunsch der Union, die Vorgaben des grünen Reiche-Vorgängers Robert Habeck komplett rückgängig zu machen, und dem Wunsch des Koalitionspartners, die klimapolitische Flanke gegenüber dem grünen Konkurrenten abzudichten, klafft eine erhebliche Lücke.
Jetzt bekommt es Reiche mit mächtigeren Gegnern zu tun. Nun sollen „die Fraktionsvorsitzenden gemeinsam mit den Fachpolitikern der Fraktionen und den beiden Ministerinnen“ bis Ende Januar eine Lösung finden, so steht es im Beschlusspapier des Koalitionsausschusses, der in jener Nacht von Mittwoch auf Donnerstag tagte. Das bedeutet: Auf SPD-Seite verhandelt fortan Fraktionschef Matthias Miersch, ein langjähriger Umweltpolitiker, der für seine Partei schon die schwierigen Gespräche über das alte Gesetz führte und insofern heizungspolitisch mit allen Wassern gewaschen ist. Allerdings hätte er unter den Umweltpolitikern seiner Partei gegebenenfalls das Gewicht, einen Kompromiss nach innen glaubwürdig zu vertreten.
Die Bedenken des Umweltministers
Von den Schwierigkeiten konnten sich schon die Teilnehmer des Koalitionsausschusses ein Bild machen, auch wenn übers Heizungsgesetz dort offiziell gar nicht lange gesprochen wurde. Die Wirtschaftsministerin war wegen der Kraftwerksstrategie und des Industriestrompreises geladen, der Umweltminister Carsten Schneider sprach zum Klimaschutzprogramm der Bundesregierung.
Die Koinzidenz war insofern von einer gewissen Pikanterie, als beide die Nachfolger von Habeck sind: Reiche in ihrer Zuständigkeit für die Energie, Schneider in seiner Kompetenz für den Klimaschutz. Persönlich haben die beiden einige Gemeinsamkeiten, nicht bloß weil sie neben der Entwicklungsministerin die einzigen Ostdeutschen im Kabinett sind. Beide sind pragmatisch orientiert, treiben viel Sport und ernähren sich tagsüber vor allem von Nüssen, was sofort auffällt, wenn man sie auf Reisen begleitet. Wer auch mal ein vollwertiges Mittagessen konsumiert, fühlt sich in ihrer Gegenwart schnell unwohl.
Das heißt allerdings nicht, dass sie in der Heizungsfrage zusammenkämen. Schneider nutzte seinen Klima-Vortrag im Koalitionsausschuss für den mehr oder weniger dezenten Hinweis, dass die Heizungsnovelle nicht hinter dem alten Gesetz zurückbleiben dürfe, was die Wirkung für den CO2-Ausstoß betrifft. Sonst drohten Probleme mit den Klimavorgaben der Europäischen Union und mit dem deutschen Verfassungsgericht, das in einem viel diskutierten Urteil die Freiheitsrechte künftiger Generationen in Gefahr sah, sollte die Politik nicht geeignete Maßnahmen gegen die Erderwärmung ergreifen. Der Verweis auf höhere Instanzen war insofern recht tricky, als der Klimaminister in die Gespräche zur Heizungsnovelle gar nicht involviert ist.
In einem halben Jahr wird es ernst
Wenn man die Wirtschaftsministerin am Morgen nach der Sitzung darauf anspricht, gibt sie sich naturgemäß zuversichtlich. „Ich habe seit dem Sommer intensiv mit allen Beteiligten gesprochen und bin mir sicher, dass wir in der Koalition eine vernünftige Lösung finden werden.“ Das ist allerdings auch dringend nötig, weil es nach geltender Rechtslage spätestens in einem halben Jahr ernst wird mit den Bestimmungen des habeckschen Heizungsgesetz: Bis dahin müssen die Großstädte eine Wärmeplanung erarbeitet haben, und wer demnach keine Aussicht auf einen Fernwärmeanschluss hat, dem bliebe bei einer Verschrottung seines fossilen Verbrenners oft nur die Wärmepumpe.
Für Reiches Gegenspieler in der SPD ist das in den Gesprächen ein taktischer Vorteil, zumal sie anders als die Union beim Rentengesetz keine eigenen Änderungswünsche hegt. Wäre die sozialdemokratische Rentengarantie gescheitert, hätte auch die CSU ihre Mütterrente vergessen können und die CDU ihre Aktivrente. Ein ähnliches Gegengeschäft gibt es beim Heizungsgesetz nicht.
Das macht die Sache für Reiche nicht einfacher, ebenso wenig wie das Erwartungsmanagement des einstigen Oppositionsführers und jetzigen Kanzlers Friedrich Merz. Die Wahlkampfparole, man wolle „das Heizungsgesetz abschaffen“, war in doppelter Hinsicht missverständlich. Zum einen gab es nie ein Gesetz dieses Namens, sondern ein Gebäudeenergiegesetz aus der Zeit der christdemokratischen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Die gänzliche Abschaffung stand nie zur Debatte
Zum anderen stand eine gänzliche Abschaffung dieser Norm nie zur Debatte. Unter „Habecks Heizungsgesetz“ war insofern nur die Ampel-Novelle aus dem Jahr 2023 zu verstehen, also das Verbot neuer Gasheizungen in bestehenden Wohngebäuden. Die Vorschriften für Neubauten oder der schon zuvor beschlossene Abschied von der Ölheizung waren nicht gemeint, auch wenn gelegentlich ein anderer Eindruck entstand. Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann war dementsprechend irgendwann dazu übergegangen, bloß noch von einer Abschaffung des Heizungsgesetzes „in seiner jetzigen Form“ zu sprechen.
Lustigerweise war der Namenswechsel dann auch das Einzige, worauf sich die Unterhändler im Koalitionsausschuss bereits einigen konnten. Das Gebäudeenergiegesetz soll künftig „Gebäudemodernisierungsgesetz“ heißen, in der Hoffnung, dass damit auch der umgangssprachliche Begriff des „Heizungsgesetzes“ ein für alle Mal getilgt ist. Das erinnert stark an die Debatte ums Bürgergeld: Auch dort ist die Rückverwandlung in eine spartanischer klingende „Grundsicherung“ so ungefähr der einzige gemeinsame Nenner, auf den sich die Koalitionspartner immer verständigen konnten. Über die Einzelheiten gibt es trotz einer angeblichen Einigung immer noch Streit, ein Schicksal, das auch dem von Reiche zu verhandelnden „Gebäudemodernisierungsgesetz“ droht. Auch hier ist es wiederum Bärbel Bas, diesmal in ihrer Funktion als Bürgergeld-Ministerin, auf die Reiche schauen sollte, wenn sie künftiges Konfliktpotential abschätzen will.
„Machen wir es mit Zwang, oder machen wir es mit Anreizen?“
Inhaltlich ist auch in der Heizungsfrage nicht absehbar, wie die Positionen der Koalitionspartner zusammengehen sollen. Reiche und die Union wollen die Vorschriften, welche neuen Heizungen in bestehende Gebäude eingebaut werden dürfen, nach Möglichkeit komplett schleifen. „Es geht um die Frage: Machen wir es mit Zwang, oder machen wir es mit Anreizen durch den CO2-Preis und einer angemessenen Förderung?“, sagt Reiche dazu. Sie verweist auf die stetig steigende Nachfrage nach Wärmepumpen in den Vorjahren, die erst mit Habecks Gesetz eingebrochen sei. Allerdings stiegen die Absatzzahlen zuletzt wieder, ob trotz oder wegen des Gesetzes, ist unklar. Die Installateure warnen schon, eine Abschaffung des Gesetzes könne genauso verunsichernd wirken wie seinerzeit dessen Einführung.
Interessanterweise ist Reiche mit ihrer Position gar nicht so weit von dem Gottseibeiuns der Heizungsdebatte entfernt, dem früheren Habeck-Staatssekretär Patrick Graichen. Den Gegnern des Gesetzes galt er stets als der Ideologe im Hintergrund, der dem sonst doch recht flexiblen Grünen-Minister die starren Regeln untergeschoben hatte. „Die Leute machen lassen“, sagte er in der „Süddeutschen Zeitung“ jüngst auf die Frage, was er heute anders machen würde. „Je billiger es wird, desto mehr läuft es von alleine. Der Job der Politik ist es dann, Blockaden aufzulösen und Kosten zu senken.“
Da hapert es allerdings noch, die im Koalitionsvertrag vereinbarte Stromsteuersenkung für Privathaushalte scheitert bislang am Finanzminister. Reiche will die Kosten lieber über einen verlangsamten Netzausbau senken, weil die Kosten über die Netzentgelte das Heizen mit Strom ebenfalls teurer machen. Schaffen sich deshalb wirklich viele Leute eine Wärmepumpe an, würde die verlangsamte Kapazitätsausweitung allerdings zum Problem.
Zuschüsse nur noch für Geringverdiener
Wichtig ist in Reiches Plädoyer für die staatliche Förderung allerdings das Wort „angemessen“. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass sie die jetzigen Subventionen für überdimensioniert hält. „Der Einbau einer Wärmepumpe ist in Deutschland deutlich teurer als woanders auf der Welt“, sagt sie. „Die Zuschüsse sollten zielgerichteter bei Haushalten mit geringem Einkommen ankommen.“ Das allerdings ist ein Punkt, über den sie sich mit der SPD wohl einigen kann. Gegen Staatsgeld für höhere Einkommensgruppen, manche würden von „Staatsknete für Reiche“ sprechen, hatten sich die Sozialdemokraten zuletzt auch auf anderen Feldern positioniert, etwa wenn es um Kaufprämien für Elektroautos ging.
Das Heizungsthema, das zeitweise als das heikelste überhaupt in der deutschen Politik galt, liegt damit in den Händen einer Ministerin, die sich in der vordersten Reihe erst noch beweisen muss. Nach einer ersten Politkarriere als Parlamentarische Staatssekretärin im Umwelt- und Verkehrsministerium wechselte die studierte Chemikerin erst zum Stadtwerke-Verband VKU, dann zum Stromnetzbetreiber Westenergie. In ihren vorherigen Verwendungen wie auch im aktuellen Job wird sie oft als unsicher und kontrollsüchtig beschrieben, es gilt als herausfordernd, für sie zu arbeiten. Auf Termine bereitet sie sich meist akribisch vor, wirkt dann aber bei Auftritten wenig spontan.
Ihr bislang umstrittenstes politisches Projekt ist die immer noch erfolgte Ausschreibung neuer Gaskraftwerke als Rückversicherung für die Erneuerbaren, die sie erheblich großzügiger dimensionieren wollte als vom Vorgänger Habeck geplant. Das trug ihr die Kritik von Umweltverbänden ein und scheiterte am Einspruch der Subventionswächter aus Brüssel. Sie selbst hält sich aber zugute, die Kosten im Vergleich zu den Habeck-Plänen erheblich gesenkt zu haben.
Mit den großen Worten von der Abschaffung des Heizungsgesetzes haben ihr die Spitzen der eigenen Partei nun allerdings eine Aufgabe vor die Tür gelegt, die ungleich publikumsträchtiger ist als Fragen des Strommarktdesigns: Betroffen sind nicht nur ein paar Hundert Versorger und Stadtwerke, sondern Millionen von Hauseigentümern und Mietern. Auch sie verhandelt auf Unionsseite jetzt nicht mehr allein, Fraktionschef Jens Spahn und dessen Fachpolitiker reden mit, weil die zuständigen Ministerinnen die Lösung nicht fanden. Für Reiche macht das die Lage noch anspruchsvoller. Viel leichter als für Bärbel Bas mit der Rente wird es nicht werden.