Klimagipfel von Belém: Die Spielarten des Leugnens

Die erkennbar wachsenden Zweifel an der deutschen Vorreiterrolle beim Klimaschutz auszuräumen, gehört inzwischen zur vornehmsten Aufgabe der Regierungspolitik. Deshalb war Deutschland auch unter den acht Erstunterzeichnern einer Deklaration, die zum Ende der ersten Klimagipfelwoche von Belém in der üblichen Flut an Klimainformationen fast unterzugehen drohte: Die „Deklaration zur Klimainformationsintegrität“ ist, so sperrig der von der UNESCO formulierte Titel sein mag, ein klares Bekenntnis zum Kampf gegen Desinformation und Fehlinformation in der Klimapolitik. Die Botschaft lautet: Klimawandel leugnen geht gar nicht. Man hört leise das Echo der „Fridays for Future“-Parolen: Hört nicht auf die Skeptiker, hört auf die Wissenschaft. Ein offener Brief mit 350 Unterzeichnern, in dem von den fast 200 Teilnehmerstaaten gefordert wird, das Leugnen der Gefahren der Krise selbst oder deren Folgen aktiv zu verhindern, geht in dieselbe Richtung, nämlich hauptsächlich gegen Donald Trumps hochoffizielle Haltung in der Klimafrage.

Die unfassbare Dynamik des Vorgangs

Diesem latenten, aber auch nicht auszuräumenden Problem der Klimawandelleugnung wird inzwischen eine Bedeutung beigemessen, die möglicherweise dem Klimaschutz selbst kaum mehr dient. Denn sie lenkt ab. Von „der Konferenz der Wahrheit“ sprach Brasiliens Präsident Lula da Silva in seiner Eröffnungsrede, und auch das wurde immer wieder als unverhohlene Des­avouierung der Trump-Haltung gedeutet. Man könnte es aber auch anders interpretieren, im Sinne von der Stunde der Wahrheit. Jetzt gilt es. Und da kommt man zu dem, was neuerdings als „Klimarealismus“ gefordert wird. Tatsächlich ist die Frage, ob über den Klimawandel Unwahrheiten verbreitet werden, ob Wahrheiten wie die vom menschengemachten Anteil maßlos verbogen werden, längst nicht mehr Gegenstand der Klimadiplomatie. Die ehemalige deutsche Klimaverhandlungsführerin Jennifer Morgan hat die Leugner zum offiziellen „Tag der Klimaintegrität“ an diesem Freitag als „Brandbeschleuniger der Polarisierung“ bezeichnet. Als Extremisten, die zu isolieren sind.

Die erste Konferenzwoche endete am Freitag mit handfesten Auseinandersetzungen der Sicherheitskräfte und Protestierern, die „Blue Zone“ rund um den Kongresscenter war teils unzugänglich für die Teilnehmer.
Die erste Konferenzwoche endete am Freitag mit handfesten Auseinandersetzungen der Sicherheitskräfte und Protestierern, die „Blue Zone“ rund um den Kongresscenter war teils unzugänglich für die Teilnehmer.dpa

Viel entscheidender jedoch als der klimapolitische Radikalismus wird die Frage an alle: Wie viel Ignoranz erlauben wir uns? Ist der Klimawandel wirklich hinzunehmen als eine Art anthropogenes Naturgesetz, unabwendbar, aber vielleicht mit „Technologieoffenheit“ noch beherrschbar – und deshalb zu akzeptieren als eine neue Normalität, so wie der Hunger in der Welt zwar als moralisch inakzeptabel, aber letztlich als nicht eliminierbar gilt? Die neuen Klimarealisten sind hier fast so weit weg von den Realitäten des Klimawandels wie die extremen „Finsterlinge“ (da Silva). Jedenfalls insoweit, wie auch sie sich weigern, die unfassbare Dynamik des Vorgangs zu berücksichtigen.

Die neuen Realitäten im Energiesektor

Immer wieder und auch in Belém verfängt sich die Debatte in der Frage, ob das 1,5-Grad-Ziel von Paris schon überschritten ist. Temperaturwerte, und dazu zählen auch die fast drei Grad plus weltweit, die bei einem „Weiter so“ unseren Enkeln und Urenkeln drohen, werden als Orientierungsmarken genannt.

Solche Angaben mögen politisch sinnvoll sein, weil sie Anreize schaffen für politisches Handeln, also für die globale Energiewende. In Wirklichkeit aber entsteht die Dringlichkeit nicht durch irgendwelche Temperaturlimits, sondern allein aus der Beschleunigung des Wandels, die neue Gefahren nach sich zieht. Und hier grätscht zielsicher nicht nur die Umweltbewegung in die Klimapolitik hinein, sondern mehr denn je auch die Wissenschaft. Ihre Wahrnehmung und ihre Erkenntnisse darüber, was mit dem Klimawandel wirklich, und zwar schon in der unmittelbaren Gegenwart, für die Staaten oder den Wohlstand auf dem Spiel steht, ist kaum mit dem neuen Klimarealismus vereinbar. Johan Rockström nennt es „die sichere Landezone der Menschheit“. Wer dem Potsdamer Klimaforscher zuhört, wie er das „Totalversagen“ angesichts weiterer Emissionsrekorde und die Perspektive einer „sich selbst verstärkenden Katastrophe“ ausmalt, kann nicht verstehen, wie er zugleich weiter an einen Erfolg der Klimapolitik glauben will.

Indigene Aktivisten protestieren auf dem COP30-Gelände in Belém.
Indigene Aktivisten protestieren auf dem COP30-Gelände in Belém.dpa

Ein Grund für ihn ist die Einstellung der Bevölkerung. Regelmäßig geben mehr als vier Fünftel der Menschen, im Süden wie im reichen Norden, ein starkes Interesse an mehr Klimaschutz an. In einer weltweiten Umfrage vor anderthalb Jahren in „Nature“ zeigten mehr als zwei Drittel ihre Bereitschaft, auf ein Prozent ihres Einkommens für die konkrete Abwehr von Klimagefahren verzichten zu wollen. Solche normativen Realitäten sind auch durch Extremisten kaum zu leugnen. Was den Optimismus auf lange Sicht außerdem befördert, sind die neuen Realitäten im Energiesektor.

Verzögerungstaktiken hinter Klimarealismus

Inzwischen schönt der Siegeszug der nachweislich günstigsten und saubersten regenerativen Energiequellen Wind und Sonne nicht nur die Klimabilanz der Erneuerbaren-Großmacht China. Der Preisverfall dieser Technologien beginnt auch schon tatsächlich, den fatalen Beschleunigungsprozessen beim Klima entgegenzuwirken. Für die Klimaexperten hat das absolute Priorität: den Klimawandel zu entschleunigen und vor allem selbstverstärkende Effekte zu verhindern, die das System Erde in kürzester Zeit destabilisieren. Von diesen potentiell gefährlichen Kippelementen und Rückkoppelungen sind inzwischen mehr als ein Dutzend physikalisch so gut bekannt, dass es fatal wäre, sie in der trügerischen Hoffnung aus den Augen zu verlieren, dass der Klimawandel schon nicht so schlimm werden wird.

Der Klimarealismus der Experten prallt an dieser Stelle auf einen politischen Klimarealismus, der in erster Linie von Interessen geleitet ist. Mehr als anderthalbtausend „Klimaschutz“-Delegierte in Belém (von etwa 50.000 Teilnehmern) lobbyieren ganz offen gegen einen zügigen Ausstieg aus dem klimaschädlichen Kohle-, Öl- und Gaszeitalter. Ihr Geschäftsmodell ist nicht das offene Leugnen des Klimawandels, sondern die Verzögerungstaktiken, die sich hinter dem neuen Klimarealismus verstecken. Die fossile Kuh muss gemolken werden, solange es geht. In der großen Mehrheit der vorgelegten nationalen Klimaziele, das zeigt der aktuelle „Land Gap“-Report, werden nicht weniger Emissionen versprochen, sondern den Experten zufolge unrealistische Ziele, die Treibhausgase durch weniger Abholzung oder Waldschutzprogramme aus der Atmosphäre entfernen zu wollen.

Ähnlich unrealistische klimatologische Ziele sind mit der Lieblingsformel des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz von der „Technologieoffenheit“ verbunden. Nur ein Beispiel: Die sogenannten CCS-Techniken, die es möglich machen sollen, Kohlendioxid im großen Maßstab aus der Luft zu entfernen, tragen einstweilen fast gar nichts zur Lösung der Klimakrise bei. Erst langfristig – und notgedrungen dann mit massiven Subventionen – können sie klimatisch den Unterschied machen. Auf kurze und mittlere Sicht jedoch und für die mit Blick auf die Klimastabilität entscheidenden zehn oder fünfzehn Jahre ist ein Ablenken oder gar eine Abkehr von Emissionsminderungen kaum zu begründen. Fraglich ist, wie viel von diesem klimapolitischen Realitätssinn nach Belém erhalten bleibt.

Source: faz.net