Klimaforscher: „Die Welt muss in Baku in den Notfallmodus schalten“

Herr Professor Höhne, worum geht es eher auf der Weltklimakonferenz COP29 hier in Baku: um die Treibhausgasminderung, auch Mitigation genannt, oder um‘s liebe Geld, die Klimafinanzierung in Entwicklungsländern?

Es geht auf allen Klimaverhandlungen immer um beide Fragen: Wer reduziert wie viel, und wer zahlt wie viel? Eigentlich steht hier in Aserbaidschan das Letztere im Vordergrund. Aber die Industrieländer wollen einem neuen Finanzierungsziel für den globalen Süden nur zustimmen, wenn sie auch Fortschritte in der Minderung sehen. Einige bestehen darauf, dass die Entscheidungen aus dem vergangenen Jahr in Dubai in die Finanzbeschlüsse mit hineingeschrieben werde, der Übergang weg von fossilen Energien zum Beispiel oder die Verdreifachung der erneuerbaren Energien. Das macht die Sache bei fast 200 Regierungen extrem kompliziert. Eigentlich sollten hier auch neue NDC vorgelegt werden, aber da ist fast nichts passiert.

Klimaforscher Niklas Höhne
Klimaforscher Niklas Höhnedpa

Sie sprechen von den Nationalen Klimaschutzbeiträgen, mit denen jedes Land seine Emissionsminderung bekanntgibt. Spätestens 2025 müssen sie die Ziele verschärfen.

Genau. Die Idee ist, dass einige Länder vorangehen und die anderen folgen. Das war schon 2014 mit China und den USA so, um das Pariser Klimaabkommen von 2015 vorzubereiten. So sollte es jetzt auch wieder sein, ein Jahr vor der dafür entscheidenden COP30 in Brasilien. Vorangehen sollten die jüngsten Gastgeber, also die Vereinigten Arabischen Emiraten vom vergangenen Jahr, Brasilien für das kommende Jahr und Aserbaidschan für die gegenwärtige Konferenz. Die Emirate und Brasilien haben etwas geliefert, Aserbaidschan aber nicht. Das ist skandalös, das kann sich ein Austräger dieser wichtigen Konferenz eigentlich nicht leisten. Auch Großbritannien hat etwas vorgelegt. Von den USA hatten wir das erhofft, da kam aber bisher nichts.

Wegen des künftigen Präsidenten Trump?

Vermutlich. Vielleicht liefert Washington aber noch im Dezember. Wir hatten auf mehr Vorreiter gehofft, die USA wären wirklich sehr gut gewesen als großes Industrieland und großer Emittent. Dann hätten viele andere mitziehen müssen. Ein kluger Schachzug der jetzigen US-Regierung wäre gewesen, ein NDC gemeinsam mit den Gouverneuren progressiver Bundesstaaten vorzulegen. Dann würde die Hälfte des Landes die Ziele auch dann unterstützen, wenn Trump einen Rückzieher macht.

Wie steht es insgesamt um die CO2-Reduktion?

Wir sind überhaupt nicht da, wohin wir wollen. Das Ziel lautet, die Erderwärmung bis zum Jahrhundertende auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Mit allem, was die Länder bisher tun, landen wir bei 2,7 Grad, das wäre katastrophal. Im optimistischen Szenario, wenn alle Länder ihre versprochenen Netto-Null-Ziele schaffen, sind es 1,9 Grad. Das ist schon viel besser. Aber es steht in den Sternen, ob das kommt, und außerdem sind es noch nicht 1,5 Grad. Langfristig ist es gesetzt, dass die Welt aus Kohle, Öl und Gas aussteigt, aber das muss viel schneller gehen: Um die 1,5 Grad noch zu erreichen, müssen die globalen Emissionen bis 2030 halbiert werden, also in nur sechs Jahren.

Haben wir den Höhepunkt der Emissionen erreicht, den „Peak“?

Fast alle gingen davon aus, dass 2023 der höchste Wert erreicht worden sei. Jetzt sind hier allerdings vorläufige Zahlen herausgekommen, wonach die Emissionen im laufenden Jahr wieder steigen werden. Ich bin trotzdem ziemlich sicher, dass nächstes Jahr die Emissionen niedriger sein werden als dieses Jahr.

Was macht Sie so zuversichtlich?

Dass die erneuerbaren Energien uns jedes Jahr wieder positiv überraschen. 2023 wurden 30 Prozent mehr Solarenergie installiert als im Jahr zuvor. Das exponentielle Wachstum im Ausbau wird dazu führen, dass die Emissionen jetzt wirklich heruntergehen.

Was ist bei der Klimafinanzierung nötig?

Es geht hier in Baku um eine Anschlussregelung. 2009 wurde auf der Klimakonferenz in Kopenhagen festgelegt, dass die Industrieländer von 2020 an jedes Jahr 100 Milliarden Dollar aufwenden sollten. In Paris 2015 wurde der Zeitrahmen bis 2025 erweitert, jetzt brauchen wir ein neues Ziel.

Wie könnte das aussehen?

Alle sind sich einig, dass es nicht weniger als 100 Milliarden Dollar sein dürfen. Aber wie viel es mehr sein wird, da gehen die Meinung auseinander. Klar ist, dass 100 Milliarden hinten und vorn nicht ausreichen. Allein der Hurrikan in den USA hat kürzlich Schäden von 200 Milliarden Dollar angerichtet. Im Raum steht eine Forderung von 1300 Milliarden Dollar, irgendwo dazwischen wird sich das einpendeln, man hört von 300 oder 500 Milliarden Dollar.

Reicht das?

Es ist nie genug. Aber wenn man sich darauf einigt, dass diese Summe regelmäßig wächst und überprüft wird, dann wäre ich schon ganz zufrieden. Ich sehe bei den Geberländern durchaus Bewegung. Auch Peking wird dort zu einem wichtigen Akteur. Zum ersten Mal haben die Chinesen hier bekannt gegeben, dass sie den Entwicklungsländern Geld für klimafreundliche Entwicklung geben, rund drei Milliarden Dollar im Jahr. Es ist ein wichtiger Schritt nach vorn, dass sich China jetzt dazu bekennt. In den COP-Beschlüssen wird man einen kreativen Kompromiss finden müssen, weil China nicht offiziell ein Industrie- und Geberland sein will. Trotzdem sollen seine Beiträge anerkannt, berichtet und überprüft werden. Da gibt es, glaube ich, Spielraum, um das hinzubekommen.

Theoretisch ist die Klimakonferenz am Freitag zu Ende, aber das hat bisher selten geklappt. Was erwarten Sie von den restlichen Tagen?

Meine Erwartungen sind höher als noch am Wochenende, weil jetzt neue Zahlen für die Klimafinanzen genannt werden und es einen Ambitionsmechanismus geben könnte, dass die Summe regelmäßig überprüft und immer größer wird. Außerdem hat offenbar die aserbaidschanische Präsidentschaft die Aufgabe an Großbritannien und Brasilien übergeben, ein Gesamtziel zu brokern, also fair zu vermitteln. Die beiden Verhandler haben mehr Durchsetzungskraft und Erfahrung als Aserbaidschan. Selbst wenn es diesmal keine Mantelerklärung, keine „Cover Decision“, geben sollte, könnte am Ende eine größere Vereinbarung stehen, in der sich alle wiederfinden. Das ist, glaube ich, der Auftrag. Ein großer Durchbruch wird „Baku“ trotzdem nicht, aber das hatte auch niemand erwartet.

Politik der kleinen Schritte?

Ja, aber die reichen nicht. Aus wissenschaftlicher Sicht müssten wir hier und jetzt in den Notfallmodus schalten, statt uns auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Baku müsste eigentlich eine Krisenkonferenz sein. Was hier im Kleinklein passiert, passt leider überhaupt nicht zusammen mit dem, was wir dieses Jahr gesehen haben an Klimaschäden, an enormer Hitze, enormer Dürre. Wenn an einem Tag der Regen eines ganzen Jahres fällt, können wir damit nicht umgehen. Oder wenn über Wochen Temperaturen von 50 Grad herrschen.

Wie müsste der Notfallmodus aussehen?

Wir müssten massiv viel Geld auf den Tisch legen, und zwar sofort. Hier in Baku müsste eine Katastrophenkonferenz stattfinden wie wir nach einem Tsunami: Dann kommen die Geberländer zusammen und machen auf einmal Dinge möglich, die unmöglich schienen. Genau solch einen Modus brauchten wir für die Klimakatastrophe. Oder denken Sie an Covid. Da konnten wir von heute auf morgen zuhause arbeiten, was vorher unmöglich war. Dazu liefert diese Konferenz leider überhaupt nichts. Dabei rasen wir in die Katastrophe, wenn wir nicht ganz schnell etwas tun.

Wie viel Geld braucht dieser Klimanotfall?

Allein Deutschland könnte Abermilliarden zahlen. Das geht ja auch, wenn man nur will: Nach Beginn des Ukrainekriegs wurden über Nacht 100 Milliarden Euro mobilisiert. In der Corona-Krise haben wir sogar zehnmal so viel lockergemacht, eine Billion Euro. Und zwar von heute auf morgen. Das ist die Größenordnung, in der wir hier handeln müssen.