Klassiker | 250. Geburtstag: Die realistisch kalkulierende Jane Austen

A

wie Anti-romantisch

Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass man für eine gelingende Ehe eine starke finanzielle Basis braucht, sonst ist das Projekt zum Scheitern verurteilt. So könnte man die eigentliche Botschaft der Jane-Austen-Romane auch zusammenfassen. Die realistisch kalkulierende Jane wüsste auch heute, dass Jobsuche, Wohnraumkrise, Kitamangel und wegfallende Urlaube, die man sich nicht leisten kann, den Tod jeder Romantik bedeuten.

In ihren Geschichten dreht sich alles um kapitalistisches Matchmaking: die Kunst der Frau, einen Mann zu finden, der ihr ein Dach über dem Kopf bietet, ohne ihr anschließend für den Rest des Lebens auf die Nerven zu fallen. Wie bitter das sein kann, zeigt die Geschichte von Charlotte Lucas in Stolz und Vorurteil. Sie muss den unerträglichen Mr. Collins heiraten (→ Feminismus). Und auch Lizzy Bennet muss am Ende zugeben, sich erst dann in Mr. Darcy verliebt zu haben, als sie das erste Mal sein Anwesen Pemberley sah. Erst das Schloss, dann die Liebe! Eva Marburg

B

wie Briefe

Wenn man sich plötzlich für die privaten Briefe einer Schriftstellerin interessiert, dann hebt man endgültig die Trennung von Werk und Autorin auf. Dann ist man Fan. Tausende Briefe schrieb Austen. Fast alle wurden – meist von ihrer Schwester Cassandra – verbrannt. Rund 160 sind erhalten und wurden nun von Andrea Ott vollständig ins Deutsche übersetzt (→ Vorurteil).

Wir begegnen in dem liebevoll kommentierten XXL-Band Liebste Freundin! (Manesse) dem unnachahmlichen Witz Austens (→ Humor): „Miss Fletcher und ich sind dicke Freundinnen, allerdings bin ich die dünnere von uns beiden.“ Oder: „Diese Woche gibt es wirklich sehr wenig mitzuteilen, & ich habe keine Lust, dieses Wenige so aufzublasen, dass es nach Viel aussieht. Mir steht der Sinn nach kurzen Sätzen.“ Über kurz oder lang werden die Briefe auch hierzulande zum Klassiker werden. Philipp Haibach

C

wie Colin Firth

Es war 1995, und in dem Internat, das ich für ein Auslandstrimester in England besuchte, trafen sich die Girls (Boys gab es dort nicht) der Oberstufe an unterschiedlichen Abenden in unterschiedlicher Konstellation im Fernsehraum. Voll wurde es immer dienstags, wenn Akte X und My So-Called Life mit Claire Danes und Jared Leto liefen, klar.

Weniger ersichtlich war für mich das Gedränge, als ich das erste Mal an einem Sonntag dort vorbeischaute: Auf dem Bildschirm hüpften Frauen in Kleidern, die wie unter der Brust zusammengeraffte Nachthemden aussahen, mit äußert steif daherkommenden Männern zu Kammermusik im Kreis.

Es war die damals brandneue BBC-Verfilmung von Jane Austens Stolz und Vorurteil und das halbe Haus schwärmte für Colin Firth als Mr. Darcy, das ewig mürrisch dreinschauende Love Interest der lebensklugen Elizabeth Bennet. Netflix verfilmt den Stoff als Serie jetzt noch mal neu. Schwer vorstellbar, dass Jack Lowden als Darcy diese Vorlage übertreffen wird. Christine Käppeler

E

wie Emma

Das Hörbuch Emma, gelesen von Eva Mattes, dauert 17 Stunden, und es ist überhaupt kein Nachteil, dank der legendären Verfilmung Gwyneth Paltrow als Emma vor Augen zu haben. Auch das gelegentliche Einschlafen stört nicht, denn in diesem Roman, den manche für Austens besten halten, passiert bekanntlich herzlich wenig.

Der britische Landadel zu Beginn des 19. Jahrhunderts war skandalös unterbeschäftigt, er beschäftigte sich vielmehr andauernd mit Nichtigkeiten. Emma etwa schmiedet unablässig Heiratspläne für andere und denkt selbst keinesfalls ans Heiraten. Nachdem sie Mr. Knightley endlich (!!!) doch erhört, läuft das Hörbuch noch gut zwei Stunden weiter – herrlich. Dieses Jahr ist eine gekürzte Fassung erschienen, ein Frevel sondergleichen. Gerade höre ich Verstand und Gefühl, Gesamtdauer 13 Stunden. Katharina Schmitz

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F

wie Feminismus

Aus dem heutigen Verständnis sind Jane Austens Romane nicht klar feministisch. Ihre Figuren kämpfen nicht gegen eine Rechtsordnung, die sie unterdrückt. Dabei hätten sie allen Grund dafür gehabt: Im Regency-England hatten sie kaum Möglichkeiten, über ihr Leben zu entscheiden. Heirat war für Frauen von Mittelschicht bis in den Adel die einzige Option, sich ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sie waren vollständig abhängig vom guten Willen ihres Ehemanns, Vaters oder Bruders.

Auch wenn sie dagegen nicht offen rebellierten, schafften sich Austens Heldinnen immer die Freiräume, die möglich waren. Gleichzeitig zeigt Austen schonungslos, was ihre Zeit für Frauen bedeutete: Das romantische Abenteuer von Lydia Bennet hätte beinahe die glücklichen Hochzeiten ihrer Schwestern verhindert. Charlotte Lucas muss den durch und durch lächerlichen Mr. Collins heiraten, weil sie ihrer Familie finanziell zur Last fällt. Kein Wunder, dass sich die Frauen der Zeit in romantische Geschichten flüchteten. Alina Saha

H

wie Humor

„Ich habe bereits mein ganzes Geld ausgegeben, aber was schlimmer ist, ich habe auch dein Geld ausgegeben!“, schrieb Jane Austen in ihrem unverwechselbaren Ton an eine Verwandte. Sie ist die Königin des feinen Humors, mit dem sie präzise und kritisch, aber nie herablassend, die Menschen und ihre Geschäftigkeit beschreibt. Ihre feinsinnigen Betrachtungen wurden einmal als „gehäkelte Spitze“ bezeichnet.

Und so häkelt und spinnt sie aus humorvollem Gewebe ihre Figuren: schlagfertige Frauen, die, „wenn sie das Pech haben, viel zu wissen, dieses lieber verbergen sollten“. Männer flachen Gemüts, die „das Glück haben, sich über alles Lächerliche freuen“ zu können. Oder an anderer Stelle: „Männer sind generell leicht zu beurteilen.“ Ihr Humor ist eine → feministische Waffe, mit der sie der Welt ihre Wahrheiten als harmlosen Witz verkauft. EM

L

wie Lego

Jede große Persönlichkeit wird früher oder später in Lego verewigt: Das gilt für Darth Vader, Krusty den Clown – und schließlich für Jane Austen. Lego präsentiert die britische Kultautorin in einem aufklappbaren Büchlein, dessen Inneres ein Zimmerchen im georgianischen Stil offenbart. Ein schwerer roter Samtvorhang ist vor einem Fenster drapiert. Ein Piano und ein Bücherregal zieren den Raum. Und natürlich der unvermeidliche kleine Schreibtisch (in der Lego-Version eher ein kleiner Beistelltisch).

Jede Autorin benötigt ein Zimmer für sich allein; doch der Raum, den Austen in ihrem Lego-Set einnehmen darf, ist mehr als klein. Im Grunde deckt er sich mit dem sozialen Raum, den eine Frau ihrer Zeit, Mitte/Ende des 18. Jahrhunderts, einnehmen konnte (→ Anti-romantisch). Ihre letzten Lebensjahre hat sie in einem kleinen Cottage verbracht; ihr Schlafzimmer teilte sie sich mit ihrer ebenfalls ledigen Schwester. Heimgesucht wurde das Häuschen regelmäßig von ihren 33 Nichten und Neffen. Wie schade, dass es damals noch kein Lego gab. Schon gar keines von Jane Austen. Marlen Hobrack

M

wie Morris Zapp

Morris Zapp ist „in aller Bescheidenheit … der Jane-Austen-Experte“, der in fünf Büchern bewiesen hat, „dass bisher niemand sie richtig verstanden hatte“. Darauf sollte ein ultimativer Kommentar zum Werk (→ Vorurteil) unter jedem vorstellbaren Aspekt folgen und dann „sollte nichts mehr über die einzelnen Romane zu sagen übrig bleiben“.

Da Morris Zapp aber eine Figur in David Lodges großartiger Universitätssatire Small World von 1984 ist, kam es nie dazu, sondern Zapp ausgerechnet an Jane Austen zur Einsicht, dass Lesen wie Striptease ist: Der Text lockt mit „der Aussicht auf eine letzte Enthüllung“, die er so wenig bietet wie die Tänzerin: „Der Text entschleiert sich vor uns, aber er läßt sich nie in Besitz nehmen, und statt danach zu streben, ihn zu besitzen, sollten wir uns der Freude an seiner Lockung hingeben.“ Erhard Schütz

V

wie Vorurteil

Lange hielt sich bei mir das Vorurteil, Jane Austen habe bloßen antiquierten Adelskitsch und vorhersehbare, antifeministische „marriage plots“ verfasst. Ein klassischer Irrtum: Anfang dieses Jubiläumsjahres begann ich endlich mit Stolz und Vorurteil. Was für ein kluges, witziges, spöttisches Buch (→ Humor)! So bedurfte es keiner längeren Überredung, auch Austens letzten und 1818 posthum erschienenen Roman Anne Elliot zu lesen. Lange ist er hierzulande unter dem Titel Persuasion erschienen, jetzt heißt er in Andrea Otts Übertragung richtigerweise Überredung (Manesse).

In grandios beschriebener Herbststimmung steuern Anne und der Marineoffizier Wentworth keinem billigen Happy End entgegen, sondern der Lebenserfüllung zweier gereifter Menschen. Über Annes schöne, eitle, dünkelhafte und kaltherzige Schwester Elizabeth heißt es übrigens gleich zu Beginn: „Von A bis Z gab es keinen Baronet, den ihre Gefühle so bereitwillig als ebenbürtig anerkannt hätten.“ Wer wollte also dieses Meisterwerk zu Jane Austens Geburtstag ernsthaft unterschlagen? Hai

Z

wie Zombie

Meine Frau ist promovierte Anglistin und Jane-Austen-Expertin. Für die Werkausgabe bei Cambridge University Press hat sie den Roman Persuasionherausgegeben. Keine schlechte Leistung für eine Deutsche aus der Münchner Peripherie. Ich habe sie immer bewundert. Was mir weniger gefiel, war, dass ich alle Austen-Verfilmungen anschauen musste mit ihr.

Immer dasselbe: Boy meets girl, dann zwar Probleme, aber das Happy End ist unabwendbar (→ Vorurteil). 2016 aber schlug meine Stunde: Pride and Prejudice and Zombies kam ins Kino. Erst alles wie immer: Fein gekleidete Regency-Engländer, Tanz in Ballsaal – dann aber bricht eine Zombiehorde ins Idyll ein und veranstaltet ein Gemetzel. Doch die Bennet-Schwestern, trainierte Kampfsportlerinnen, killen die Untoten. Blut spritzt. Überall Gedärme und Gehirn. Meine Frau fand den Film doof. Uwe Schütte

Dieser Text ist zuerst erschienen am 14.12.25