Klage gegen Tipico: Sportwetten vor dem höchsten Gericht

Ein Mann im FC-Bayern-Trikot von Oliver Kahn und Adiletten ist sicherlich kein alltäglicher Anblick für die Richter des ersten Zivilsenats des Bundesgerichtshofes (BGH) in ihrem Gerichtssaal. Am Donnerstag war der Besucher allerdings passend angezogen, ging es doch um eine Verhandlung gegen den Sportwettenanbieter Tipico, für den Oliver Kahn jahrelang die Werbefigur gab.

Ein Urteil verkündeten die Richter am Donnerstag nicht, ließen aber durchscheinen, dass das Verfahren anders verlaufen könnte, als beide Seiten im Vorfeld angenommen hätten. Der Verhandlungstermin war für 12 Uhr mittags angesetzt – zu spät für die komplexe Materie, wie manche Zuschauer im Saal meinten. Hinzu kam noch ein Feueralarm gegen 13.30 Uhr während des Vortrags der Tipico-Seite, nach dem für eine halbe Stunde der Saal geräumt wurde.

Im konkreten Fall geht es um einen Mann, der zwischen 2013 und 2018 als Kunde von Tipico im Internet mehr als 3700 Euro verwettet hat (Az. I ZR 90/23). Weil Tipico in dieser Zeit keine positive Erlaubnis einer deutschen Behörde hatte, sondern unter maltesischer Lizenz seine Geschäfte Betrieb, seien die Sportwetten unzulässig. Tipico argumentiert dagegen mit der Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU sowie einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), nach der deutsche Behörden dazu angehalten waren, ein unionsrechtskonformes Erlaubnisverfahren zu entwickeln.

Meist im Sinne von Tipico

Bis 2020 erste gültige Konzessionen ausgegeben wurden, befanden sich die Anbieter in einem rechtlichen Schwebezustand, wurden aber geduldet. Bisher entscheiden Gerichte etwa Hälftig im Sinne der Kunden und der Anbieter. Im Fall vom Donnerstag hatten die Vorinstanzen bisher im Sinne von Tipico entschieden, Revisionskläger ist nun der Prozessfinanzierer Gamesright, der dem Privatkläger seine Forderung gegen Tipico abgekauft hatte. Trotz tausender laufender zivilrechtlicher Verfahren kam es bisher noch nicht zu einem Urteil des BGH.

Sportwettenanbieter und Kunden aus der Zeit von 2014 bis 2020 warten gespannt auf ein höchstrichterliches Urteil, denn insgesamt könnten durch eine verbraucherfreundliche Entscheidung des BGH bis zu 20 Milliarden Euro zurückgefordert werden, meinen Rechtsanwälte auf Verbraucherseite. Die Kanzlei Goldenstein habe über 4000 Mandanten, die im Durchschnitt 32.000 Euro zurückfordern, heißt es von dort. Der Sportwettmarkt pendelte in dieser Zeit zwischen 4,5 und 9,4 Milliarden Euro Wetteinsätzen jährlich, die Gewinnauszahlungen zwischen 3,8 und 8 Milliarden Euro.

Falls Anbieter das verlorene Geld der Kunden zurückzahlen müsste, würde auch die abgeführte Rennwettsteuer rückabgewickelt. In diesem Punkt hat Tipico vor rund zwei Wochen dem Finanzamt Frankfurt am Main IV den Streit erklärt. Ist kein örtliches Finanzamt für die Besteuerung zuständig, etwa wenn der Vermittler wie Tipico im Ausland sitzt, übernimmt dies das Finanzamt Frankfurt am Main IV. Im fraglichen Zeitraum führte Tipico eine Milliarde Euro Rennwettsteuer an das Finanzamt ab, die das Unternehmen zurückfordern würde, sollte der BGH die Geschäfte für nichtig erklären.

Tipico lange im rechtlichen Graubereich

Die tausenden Klagen kamen zustande, da die Sportwettenanbieter zwischen 2014 und 2020 in einem unregulierten Graubereich arbeiteten. Online-Wetten waren nicht mit einer Genehmigung erlaubt, die Bundesländer aber angewiesen, das Angebot zu regulieren. Die Lage erlaubte den Weiterbetrieb der Anbieter, was auch verhinderte, dass illegale Anbieter aus dem nicht-europäischen Ausland mit nicht genehmigungsfähigen Wetten den Markt übernehmen konnten.

Sportwettenanbieter beriefen sich auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2016, nach der es Strafverfolgungsbehörden untersagt war, die grenzübergreifende Vermittlung von Sportwetten zu ahnden, wenn das Erlaubnisverfahren eines Landes für unionsrechtswidrig befunden wurde. Dies wurde für das deutsche Verfahren festgestellt, sodass der Graubereich galt, bis das Regierungspräsidium Darmstadt im Herbst 2020 erste rechtssichere Konzessionen vergeben konnte.

Die Kläger in verschiedenen Verfahren vertreten aber auch die Ansicht, dass die Sportwettenanbieter während der Zeit des Graubereichs keine genehmigungsfähigen Wetten angeboten hatten, ebenso wie Kasinospiele, die nicht neben Sportwetten stehen dürfen. Genannt werden von Rechtsanwälten etwa Live-Wetten auf Ereignisse im Spielgeschehen, zum Beispiel, wer den nächsten Eckball schießt. Solche Wetten dürfen auch unter dem jetzigen, rechtssicheren Erlaubnisverfahren nicht angeboten werden.

Kleiner Vorgeschmack

Bevor es zur Verhandlung eines ähnlichen Verfahrens gegen den Anbieter Betano im Mai kam, veröffentlichte der BGH im März diesen Jahres einen Hinweisbeschluss, der einigen Klägern schon als Vorgeschmack auf einen Sieg schien (Az. I ZR 88/23). Darin ließ der erste Zivilsenat anklingen, dass Betano mit seinem Angebot gegen den Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) 2012 verstoßen hat.

Eine Entscheidung im Sinne von ­Betano schien daher unwahrscheinlich, wodurch das Unternehmen seine Revisionsklage zurückzog und gemäß der Entscheidung der Vorinstanz den Wettkunden in diesem Fall entschädigte. Im Falle von Tipico betonte der Vorsitzende des ersten Zivilsenats Thomas Koch allerdings, dass die beiden vorliegenden Fälle unterschiedlich sind und der Hinweisbeschluss kein Indikator für den Fall Tipico sein könnte.

Im Raum steht noch die Klärung der Frage durch den EuGH, warum das Zivilrecht zu einem anderen Schluss als das Strafrecht kommen sollte und die Sportwettenanbieter für das Agieren im Graubereich belangt werden könnten. Die Verteidiger drängen in diesem wie auch in anderen Verfahren darauf, dass die Sache dem EuGH in Luxemburg vorgelegt wird.

Am Donnerstag ließen die Richter des ersten Zivilsenats erkennen, dass sie diese Möglichkeit zumindest in Erwägung ziehen – im Unterschied zum Hinweisbeschluss, der die Intention der abschließenden Klärung durch den BGH nahelegte. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass der BGH die Sache an die Vorinstanz zurückverweist. In der Verhandlung vom Donnerstag – nach der sich beide Seiten vorsichtig optimistisch zeigten – hatte darauf aber niemand gedrängt. Der BGH will seine Entscheidung am 25. Juli verkünden, teilte er am Donnerstagabend mit.