Kita-Personal 50 Prozent häufiger leiden qua dieser Durchschnitt
Die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher in Deutschland hat sich in den vergangenen 15 Jahren mehr als verdoppelt. Und während sich noch 2013 ein Betreuer um rund 9,6 Kinder kümmerte, sind es ein Jahrzehnt später nur noch 7,7. Läuft ja rund, könnte man meinen. Doch aus den Kitas kommen deutliche Warnsignale.
Ein Grund dafür: Die Fehlzeiten von Kita-Personal haben sich massiv erhöht, wie aus einer neuen Studie der Bertelsmann Stiftung hervorgeht. Während der durchschnittliche Arbeitnehmer an 20 Tagen im Jahr arbeitsunfähig sei, würden Kita-Beschäftigte an 30 Tagen krankheitsbedingt ausfallen. Zwischen den Jahren 2021 und 2023 sei die Anzahl der Fehltage in dieser Berufsgruppe um rund 26 Prozent angestiegen. In Ostdeutschland seien die Ausfallzeiten besonders hoch – hier würden sie fast ein Viertel des regulären Arbeitspensums betragen, so die Bertelsmann-Fachleute um Annette Stein, leitende Forscherin für frühkindliche Bildung der Stiftung. Die Ergebnisse der Studie basieren auf Daten der DAK-Gesundheit und der Techniker Krankenkasse.
Konstantin Briegel ist seit acht Jahren pädagogische Fachkraft an einer Berliner Kindertagesstätte und lässt sich aktuell zur Kita-Leitung ausbilden. Er wundert sich nicht über die hohe Krankheitsrate unter Kita-Mitarbeitenden. Die Kinder seien kleine Infektionsherde und der Körper müsse sich an die bakterielle Mehrbelastung erst einmal gewöhnen. „In meinem ersten Berufsjahr war ich dauererkältet und ging monatelang auf Nasenspray und Ibuprofen arbeiten, bis ich mit einer Rippenfellentzündung flachlag“, erzählt er.
„Viele Kitas stecken in einem Teufelskreis“
Zwar sind Atemwegserkrankungen der häufigste Grund, warum Erzieher krankheitsbedingt ausfallen. Doch auf Platz zwei folgen schon psychische Erkrankungen. Und die lassen sich nicht durch Viren und Bakterien übertragen. Doch auch hierfür hat Konstantin eine Erklärung. Denn die Mehrbelastung durch die Ausfälle mache sich in erhöhtem Arbeitsdruck und Stress bemerkbar – was zu psychischen Krisen und noch mehr Ausfällen führe.
Dem stimmt auch Anette Stein von der Bertelsmann Stiftung zu: „Viele Kitas stecken in einem Teufelskreis: Aufgrund der steigenden Krankenstände fallen immer mehr Fachkräfte aus, wodurch die Überlastung für die verbleibenden Beschäftigten weiter zunimmt.“ Davon, dass psychische Erkrankungen unter Kita-Erziehern weit verbreitet sind, ist auch Konstantin Briegel überzeugt: „Der Fliesenleger weiß um das Risiko kaputtes Knie, der Erzieher um das Risiko Burnout.“
Vertretungen als Notlösung
Darüber, dass Lösungen für das Problem der krankheitsbedingten Unterbesetzung gefunden werden müssen, sind sich alle einig. Doch über das Wie wird heftig gestritten. Eine prominente Idee ist es, mehr Quereinsteiger zuzulassen. Doch hier stößt man auf ein rechtliches Problem – schließlich gelten Erzieher in Deutschland als pädagogische Fachkräfte, die eine dreijährige Berufsausbildung durchlaufen müssen.
In einigen Bundesländern wurden in den vergangenen Jahren darum Gesetzesänderungen auf den Weg gebracht, die einen solchen Quereinstieg erleichtern sollen. Im August 2023 beschloss beispielsweise das hessische Landesparlament, dass ein Viertel aller Mitarbeitenden fachfremde Kräfte sein dürfen. Diese Entscheidung sorgte im Vorfeld für Protest – unter anderem von einem Bündnis, dem sich Mitglieder verschiedener Parteien sowie mehrere Gewerkschaften angeschlossen hatten.
Viele Fachleute sind der Meinung, dass eine verkürzte Ausbildung nicht ausreicht, um die notwendige pädagogische Qualität sicherzustellen. Ohne ausreichende Ausbildung könne man kein guter Erzieher sein. Auch die Bertelsmann Stiftung fordert, Vertretungskräfte müssten ausreichend pädagogisch qualifiziert sein. Erzieher Konstantin Briegel hat zu dem Thema ambivalente Gefühle: „Einige sind über die Zeit hinweg zu wertvollen Kolleginnen und Kollegen geworden, andere waren ein Grund für dauerhafte Konflikte und Mehrbelastung. Schwierig wird es dann, wenn man zu niemandem mehr „Nein“ sagen kann, weil die Personalsituation es nicht anders zulässt. Das mindert langfristig die pädagogische Qualität der Kitas.“
Und dann ist da noch das Thema der Bezahlung: Sollen Vertretungen das gleiche Gehalt bekommen, wenn sie die gleiche Arbeit wie die vollausgebildeten Erzieher erledigen? Oder weniger? Ersteres empfinden die Fachkräfte als ungerecht, Letzteres vielleicht die Vertretungen.
Am Ende steht die Frage, was wichtiger ist: Kitas personell aufzustocken oder die pädagogische Qualität zu sichern. Das hier ein Spannungsverhältnis besteht, ist durch diese Untersuchung einmal mehr belegt worden.