Kino | Wer glaubt welches? Im dritten „Knives Out“-Krimi ermittelt Daniel Craig in einer Kirche
Was haben Religion und ein Krimi über ein „perfektes Verbrechen“ miteinander gemein? Beide brauchen richtig gutes Storytelling. So gut, dass das Publikum bereit ist, bei der einen oder anderen Irreführung mitzugehen. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, muss man als Zuschauer von Wake Up Dead Man, dem dritten Teil der Knives-Out-Reihe, nicht selbst auf Spurensuche gehen.
Benoit Blanc (Daniel Craig) als dandyhaft gekleideter, „weltbester“ und stets recht abgeklärter Detektiv präsentiert die Antwort gewissermaßen auf dem Silbertablett, wenn er nach etwa einem Drittel des Films sowohl in die Erzählung als auch in die Abgeschiedenheit des Tatorts – eine Dorfkirche in New England – hereinplatzt.
Wie die Vorgänger Knives Out (2019) und Glass Onion (2022) verbindet Wake Up Dead Man auf geschickte Weise Gesellschaftssatire mit einem betont altmodischen „Murder Mystery“ in Agatha-Christie-Tradition. Der Film, erneut geschrieben und inszeniert von Rian Johnson (Star Wars: Die letzten Jedi) ist ein würdiger, wenn auch deutlich düsterer Nachfolger in der Reihe. Teil eins zeigte den Testamentsstreit einer gutbetuchten Schriftsteller-Familie und führte die amerikanische Klassengesellschaft vor. In Teil zwei stand mit einem selbstverliebten Milliardär (gespielt von Edward Norton) eine Elon-Musk-Karikatur im Zentrum. Im dritten Teil nun geht es um etwas ganz anderes: um die Fragen des Glaubens.
Vorgestellt wird zunächst Priesternovize Jud Duplenticy (Josh O’Connor). Der ehemalige Boxer fand zum Glauben, nachdem er im Ring jemanden tödlich verletzt hatte. Von seiner eigentlichen Gemeinde wurde er nach New England zwangsversetzt, weil er einem Kollegen ins Gesicht geschlagen hat. Damit klar ist, dass Josh dennoch als einer der Guten gelten soll, hält er bei der Anhörung vor seinen Vorgesetzten eine flammende Rede auf das ungenutzte Potenzial der Kirche als Ort der Inklusion.
Schnell als „Mörder-Priester“ verschrien
Der Widerspruch zwischen seiner von der Neigung zur Gewalt geprägten Backstory und seinem humanistischen Anspruch ist passenderweise schon in Joshs Nachnamen „Duplenticy“ eingeschrieben. Kein Wunder also, dass er schnell zum Hauptverdächtigen wird in dem Mordfall, der sich während der Karfreitagsmesse in seiner neuen Kirche ereignet.
Der dort amtierende Pfarrer (Josh Brolin) vertreibt mit seinen Messe-Ansprachen, die Wutanfällen eines Mannes in der Midlifekrise ähneln, regelmäßig Neuankömmlinge. Ein kleiner Stamm von wiederkehrenden Gemeindemitgliedern aber schwört auf ihn. An diesem Karfreitag verschwindet er nach einer anstrengenden Predigt in der Seitenkammer neben der Kanzel, um sich zu stärken – nur um ein paar Sekunden später für alle Besucher hörbar zu Boden zu fallen.
Auftritt Benoit Blanc, der von der mit dem Fall überforderten Polizistin (Mila Kunis) hinzugezogen wird. Auf Josh trifft er nur wenige Stunden nach dem Mordfall, aber da ist dieser im Dorf bereits als „Mörder-Priester“ verschrien. Ob geöffnet sei, fragt Blanc, als er über die Schwelle der Kirche tritt, und lässt direkt ahnen, dass er durch seine fast schon karikaturhafte Bodenständigkeit diesem besonders symbolisch aufgeladenen Tod die Dramatik austreiben wird.
Beichte live auf Social Media
Nach seinem Glauben befragt, gibt Blanc zur Antwort, dass er an der Institution Kirche nur eines spannend fände, und das sei deren Architektur. Als Josh darauf hinweist, dass die meisten Kirchen an der Ostküste der USA Produkte eines nostalgischen Historizismus seien, der die britische Gotik im 19. Jahrhundert lediglich nachahmte, könnte es nicht deutlicher sein: Dieses „Murder Mystery“ will uns die Architektur des Glaubens vorführen – was eine Gemeinde zusammenschweißt, auf welche fundamentalen Machtfiguren sie dabei baut und welche unschönen Vorkommnisse hinter schönen Buntglasfenstern in besserem Licht erscheinen.
Wie es in der Filmreihe üblich ist, wird die Geschichte durch Charakterstudien aller Beteiligten aufgeblättert. Da gibt es den Autor mit Schreibblockade (Andrew Scott), die von Schmerzen geplagte Cellistin im Rollstuhl (Cailee Spaeny), den frisch verlassenen, alkoholkranken Arzt (Jeremy Renner), den Influencer, der erfolglos versucht, in die Politik zu kommen (Daryl McCormack), und eine verbitterte Anwältin (Kerry Washington), die ein Kind großzog, von dem sie nie erfuhr, wo ihr Vater es eigentlich aufgelesen hatte.
Diese spezielle Gemeinschaft wird dadurch zusammengehalten, dass sie alle irgendwie feststecken. Das gilt auch für die Verwalterin Martha (Glenn Close) und den Gärtner Samson (Thomas Haden Church), die nicht nur eine besondere Freundschaft verbindet, sondern anscheinend auch der Wille zur Aufopferung.
Gleichzeitig mit der Frage nach dem „Whodunit“ dreht sich alles darum, was Menschen, vor allem solche, die sich in seelischer Not befinden, zu glauben bereit sind. Der Filmtitel deutet es an: Sogar eine Auferstehung gehört dazu! Zeitsprünge und wechselnde Perspektiven der Erzählung führen außerdem vor Augen, was wir als Publikum gern glauben wollen.
Statt moderne Technik gute alte Taschenspielertricks
Das gute Storytelling gelingt auch deshalb, weil moderne Fragestellungen (zählt in der spätkapitalistischen Welt noch etwas anderes als materielle Güter?) auf nostalgische Krimi-Hommage treffen. Dazu passt, dass selbst der Täter in Wake Up Dead Man für seinen elaborierten Mord weniger moderne Technik zum Einsatz bringt als vielmehr jahrzehntealte Taschenspielertricks.
Bei alledem bekommt wie üblich auch die reale Welt ihr Fett weg, wenn etwa das marode Gesundheitssystem der USA als leere Kirche der Moderne erzählt wird oder ausgerechnet die Beichte, der privateste sakrale Moment, für die Verwendung in den Social-Media-Kanälen gefilmt wird. Neben den Beweggründen der einzelnen Egos, die sich vor finanziellem oder gesellschaftlichem Ruin schützen wollen, geht es diesmal noch um ein größeres Motiv: um das Aufrechterhalten einer aufwendig konstruierten Idee von Tugendhaftigkeit, für die Frauenfeindlichkeit eine unsichtbare, tragende Wand ist.
Bleibt zu hoffen, dass Wake Up Dead Man nicht das letzte Knives-Out-Mystery bleibt. Die gewinnende Mischung aus Nostalgie, Aktualitätsbezug und abwechslungsreichen Sets lässt sich schließlich in endlosen Varianten durchspielen. Wie wär’s mit einem Mord am helllichten Tage im Großraumbüro? Daniel Craig hat mittlerweile auch endlich seinen Südstaaten-Akzent so weit im Griff, dass er nicht mehr nur wie eine Parodie wirkt.
Wake Up Dead Man: A Knives Out Mystery Rian Johnson USA 2025, 140 Minuten