Kino | Vera rennt: Der Film „Köln 75“ obig eines jener größten Jazz-Konzerte jener Geschichte
Vor 50 Jahren fand eines der bedeutendsten Konzerte der Jazz-Geschichte statt. Der Spielfilm „Köln 75“ erzählt, wie die erst 18-jährige Vera Brandes das legendäre „Köln Concert“ des Jazzpianisten Keith Jarrett erkämpft und ermöglicht hat
Hemdsärmelig: Vera Brandes (Mala Emde) hat die Geschichte der Musik mit viel Eifer und Engagement bereichert
Foto: Alamode Film
Das Konzert des Pianisten Keith Jarrett, das am 24. Januar 1975 in der Kölner Oper stattfand, gilt als eines der bedeutendsten Jazz-Konzerte. Die Aufnahme, die vom Label ECM im November desselben Jahres veröffentlicht wurde, ist die meistverkaufte Jazz-Soloplatte und das meistverkaufte Klavier-Soloalbum der Geschichte. Die Entstehung von The Köln Concert ist den allermeisten unbekannt.
Diesem pophistorischen Moment widmet sich der Film Köln 75 von Ido Fluk. Heldin des Films ist die 18-jährige Vera Brandes (Mala Emde), Tochter eines tyrannischen Arschlochvaters (Ulrich Tukur), der seine Kindheits-Kriegstraumata nie überwunden hat, es aber als Zahnarzt zu Status und Wohlstand in der BRD brachte. Als Patriarch ist er überzeugt, dass Tochter Vera wegen ihrer juvenilen Fisimatenten nicht mehr als eine „Hure“ ist.
Blutige Ohrfeigen bei verbalen Konflikten gehören dazu. Die dysfunktionale und nachhaltig zerstörte Vater-Tochter-Beziehung bildet den Rahmen des Films, aber eigentlich erzählt er von der Leidenschaft und Liebe zur Musik, die selten ohne immensen Leidensdruck (hier bei Promoterin und Künstler) zur Entfaltung kommen.
Keith Jarrett: ein schwieriges, verkanntes Genie
Keith Jarrett (John Magaro) galt als Kind schon als Ausnahmetalent, wurde als junger Erwachsener von Art Blakey engagiert, bevor er von 1969 bis 1971 für den gottgleichen Miles Davis spielte. Jarrett ist trotz seiner Reputation im Spiel von Schein und Sein gefangen. Jetset, Schampus und Pool-Partys? Nichts dergleichen. Stattdessen tourt er mit ECM-Produzent Manfred Eicher (Alexander Scheer) in einem klapprigen Renault 4 durch Europa.
Zudem plagen ihn Rückenschmerzen, die, durch sein intensives Spiel bedingt, immer schlimmer werden. Jarrett spielte seine Konzerte damals „aus dem Nichts“. Aus einem Zustand der völligen inneren Leere heraus improvisierte er seine Konzerte. Die Zeitlichkeit der Musik, ihre Volatilität und Vergänglichkeit sind seine zentralen Motive. Sein Köln-Konzert beginnt er mit der banalen Melodie des Bühnengongs, der das Publikum in den Saal ruft. Jarrett ist der Inbegriff des verkannten Genies, der es weder sich noch seinen Mitmenschen leicht macht.
Auch Vera Brandes schafft ihre Karriere aus dem Nichts. Durch Zufall beginnt sie, Tourneen für Ronnie Scott zu organisieren. Nun soll, oder besser muss, Jarrett in Köln spielen, nachdem Vera ihn bei den Berliner Jazztagen sah und dabei ihre Epiphanie erlebte. Vera ist vielleicht blauäugig und naiv, aber auch schlitzohrig, smart und sie strotzt vor Willenskraft. Als im Saal statt des bestellten Bösendorfer Imperial nur ein Stützflügel steht, droht alles zu kippen. Jarrett will nicht auf dem „halb kaputten Stück Schrott“ spielen, also rennt Vera wie Tykwers Lola durch Köln, um ihr Meisterstück zu retten – sie rennt und rennt und rennt und rennt.
Wichtig sind auch die, die nicht auf der Bühne stehen
Dass Ido Fluk aus dieser vermeintlichen Fußnote der Popgeschichte einen abendfüllenden Film macht, ist mutig, teilweise spitz dramatisiert, aber lohnenswert. Natürlich geht es um die Geschichte einer jungen Frau, die trotz aller Widerstände ihr Ding durchzieht und Stärke beweist. Aber, und das macht die Geschichte aktuell, es wird auch gezeigt, wie elementar Demut und Passion für die Kunst auch von jenen Beteiligten sind, die nicht auf der Bühne stehen.
Köln 75 nimmt die Musik ernst, auch wenn der Flokati optisch manchmal zu glatt gekämmt ist und der Hang zum Vintage-Kitsch nicht ganz versteckt werden kann. Die Lektion aber bleibt: Große Kunst kennt keine Regeln und der Raum zum Wahnsinn sollte nie vollends verriegelt werden.
Köln 75 Regie: Ido Fluk Deutschland, Polen, Belgien 2025, 116 Minuten