Kino | „Miroirs No. 3“ von Christian Petzold: Wenn Tote zurückkehren

Christian Petzold verwebt in „Miroirs No. 3“ erneut Traum und Realität zu einer atmosphärisch dichten Erzählung. Ein Film über das Trauern – mit Hitchcock-Anleihen


In behüteter Geborgenheit entsteht ein Gespensterdrama in dem nichts so ist, wie es scheint

Foto: Miroirs No.3, Schramm Film


Christian Petzolds Figuren bieten immer wieder Anlass zum Staunen. Er lässt sie oft so eigenartig steif und verträumt sprechen und handeln, dass sie einem fremd werden können. Aber genau über diese Fremdheit dringt der Autorenfilmer tief in die gestörten Verhältnisse zwischen Menschen ein.

Nach Undine (2020), der die Sage des Wassergeists in das heutige Berlin verpflanzte, und dem apokalyptischen Roter Himmel (2023) über den Konflikt von Beruf und Liebe in einer brennenden Welt ist Miroirs No. 3 nun der Abschluss einer Trilogie. Die drei Filme sind lose über die Elemente und die Natur verbunden und die verborgenen Kräfte, die in ihr wirken.

Misstrauen in der Märchenwelt

Die Katastrophe, auf die Roter Himmel langsam zusteuerte, steht dieses Mal am Beginn der Handlung. Paula Beer verkörpert die Klavierstudentin Laura. Anfangs beobachtet sie einen dunkel gekleideten Paddler auf dem Wasser, der wie ein Vorbote des Todes erscheint. Mit ihrem Freund bricht sie zu einem Ausflug ins Umland auf, doch die Stimmung kippt ins Unbehagliche. Auf der Rückfahrt verliert Lauras Partner die Kontrolle über das Auto und stirbt.

Die junge Frau selbst kommt derweil unbeschadet davon und findet Zuflucht bei der älteren Betty (Barbara Auer), die in der Nähe der Unfallstelle in einem abgeschiedenen Landhaus mit Garten lebt. Laura wird von ihr aufgenommen und erkennt in ihr eine mütterliche Fürsorgerin. Eine idyllische, märchenhafte Parallelwelt eröffnet sich, aber etwas stimmt nicht. Fremde schauen misstrauisch auf die neue Wohngemeinschaft.

Das Gespenstische spielt in Petzolds Œuvre oft eine Rolle – so auch hier. Beide Frauenfiguren werden über die Erfahrung des Todes verbunden, die es zu verarbeiten gilt. Betty hat ihre Tochter verloren, so stellt sich heraus, und Laura beginnt, die Rolle der Toten einzunehmen. Im Kern passiert in Miroirs No. 3 – der Titel stammt von einem Klavierzyklus Maurice Ravels – nicht viel mehr, als dass er beobachtet, wie die Figuren in dieser Konstellation miteinander umgehen und wie andere darauf reagieren. Die Konflikte beginnen mit Bettys Mann (Matthias Brandt) und Sohn (Enno Trebs).

Christian Petzold ist ein Meister des traurigen Humors

Petzold erzählt von der erwachsenen Sehnsucht nach dem Kindlichen. Das birgt etwas erschütternd Zeitloses und Irritierendes. Man sehnt sich nach der Rückkehr in das behütete Familiäre. Ein Außen jenseits der Hügel, Felder, kleinen Häuschen und alten Werkstätten scheint es im Film überhaupt nicht mehr zu geben. Eine eskapistische Fantasie wird hier verhandelt, aber wie weit kann die Rückverwandlung in das Kind gehen, wenn sie von Trauer und Verlust bewegt wird?

Petzold ist ein Meister des traurigen Humors, denn es liegt oft Situationskomik in den unangenehmen Begegnungen, wenn Figuren kaum wissen, wie sie sich verhalten sollen. Mal verstehen sie sich wortlos, fügen sich erstaunlich schnell neuen Routinen. Aber dann schweigen sie einander wieder aus Verlegenheit und Schock an, verlieren sich in hanebüchenen Dialogen über Hefe- und Mürbeteig oder flüchten sich in symbolträchtige Reparaturarbeiten.

Miroirs No. 3 fängt die Überforderung der Trauer ein und die Sprachlosigkeit, die sich dabei einstellt. Und bei alldem winkt Alfred Hitchcock aus der Ferne, wenn es in bester Vertigo-Manier darum geht, ein Subjekt in ein Hirngespinst zu verwandeln, einen Menschen und Wiedergänger nach der eigenen Erinnerung und Vorstellung zu formen, bis Identitäten verschwimmen.

Immer wieder arrangieren Petzold und der Kameramann Hans Fromm Blicke durch Fenster, Türrahmen, Gänge des Hauses. Gemeinsam mit wechselnden Naturphänomenen und Stimmungslagen verwandelt sich der kleine Kosmos bildhaft und spürbar in einen Zwischen- und Durchgangsraum, in dem Vergangenheit und Gegenwart im Strom der gegenseitigen Zuschreibungen eins werden. Ob man ihm entkommen kann oder überhaupt will, bleibt als anregendes Gedankenspiel lange in der Schwebe.

Miroirs No. 3 Christian Petzold Deutschland 2025, 86 Minuten