„King’s Land“ mit Mads Mikkelsen: Beseelt vom Drang nachdem Freiheit

Gute Schauspieler wiederholen sich nicht gern. Sie vermeiden, was ihnen bereits geläufig ist. Ihre Neugier führt sie in unterschiedliche Richtungen, was nicht nur eine Frage der Vielseitigkeit ist, sondern auch der Einfühlung. Herausragende Schauspieler jedoch scheuen das Vertraute nicht. Sie beherrschen die Variation, die Nuance. Sie schürfen tiefer, um das Bewährte mit neuem Leben zu erfüllen. Es geniert sie nicht, an das anzuknüpfen, was ihnen schon gelang. Das wiederum ist eine Frage des Stils und gewiss auch der Hingabe.

Mads Mikkelsen beispielsweise hat oft genug unter Beweis gestellt, dass ihm Charaktere liegen, die sich den Anforderungen der Gegenwart stellen. Aber zugleich ist er einer der wenigen Darsteller, denen man aktuell noch archaische Figuren antragen kann. Er wirkt glaubhaft in einem breiten Spektrum vergangener Epochen, angefangen mit dem rabiaten Wikinger in Valhalla. Er überzeugt als prinzipientreuer Michael Kohlhaasebenso wie als Freigeist Doktor Struensee, der in Die Königin und der Leibarzt den Geist der Aufklärung in den dänischen Königshof trägt. Stets verkörpert er den aufrechten Empörer, der aufbegehrt gegen die Willkür der Mächtigen und Gefahr läuft, vom Widerspruch zwischen Recht und Gerechtigkeit zerrieben zu werden. Immer wieder gelingt es ihm, die Gestalt des stolzen, unbeugsamen Mannes aus dem Volk in der jeweiligen Epoche zu verankern: mal als gottesfürchtigen Streiter, mal als glühenden Atheisten, meist auf dem schmalen Grat zwischen Bescheidenheit und Hochmut – und immer beseelt vom Drang nach Freiheit. Dieser Schauspieler ist ein Wunder an historischer Plausibilität. An den hohen Wangenknochen allein kann es nicht liegen.

In King’s Land, seiner nach Die Königin und der Leibarzt zweiten Zusammenarbeit mit dem Regisseur Nikolaj Arcel, zieht Mikkelsen gleichsam eine Summe dieses Rollentyps. Diesmal verkörpert er den verwitterten Hauptmann Ludwig Kahlen, der 1755 dem Ruf des dänischen Königs folgt, das karge Jütland urbar zu machen. Nach menschlichem Ermessen ist das eine aussichtslose Aufgabe, an der schon Unzählige vor ihm gescheitert sind. Der Boden ist so sandig und hart, dass dort nur Heidekraut wächst, zudem wird die westlichste Provinz Dänemarks von Stürmen, Wölfen und Räuberbanden heimgesucht. Der erste internationale Titel des Films lautete noch The Promised Land. Er war nicht nur sarkastisch gemeint, denn Kahlen ist überzeugt, dass er Gottes Werk vollbringt, indem er die Wildnis zivilisiert. Einen Adelstitel mit entsprechender Apanage soll ihm die Plackerei ebenfalls einbringen.

Doch nicht nur die Natur leistet Widerstand. Der Großgrundbesitzer Frederik de Schinkel (Simon Bennebjerg) legt Kahlens Vorhaben jedes erdenkliche Hindernis in den Weg. Er ist ein kindischer, unberechenbarer Nihilist, der zu brutalen Exzessen neigt. Eine erbitterte Fehde bahnt sich an, denn Kahlen will sich um keinen Preis vom Hoheitsgebiet der Krone vertreiben lassen.

In den vorangegangenen Filmen trafen Mikkelsens Figuren stets auf Gegenspieler, die zwar mächtiger, aber sittlich weniger gefestigt waren als sie. Man muss lange in der Filmgeschichte graben, um auf ein solches Scheusal wie Schinkel zu treffen.

Der verschlossene, hartleibige Kahlen gibt keinen Meter des Landes preis. Der dänische Originaltitel Bastarden unterstreicht, dass er insgeheim noch einen anderen Kampf mit dem Feudalsystem auszutragen hat, denn er wurde als illegitimer Sohn eines Adligen geboren. Mikkelsen spielt ihn als einen Menschen, der seinerseits zivilisiert werden muss. Allmählich schart sich um ihn eine aufgeklärte Familie, wie sie Kohlhaas bereits besaß: die Haushälterin Ann Barbara (Amanda Collin); das Romamädchen Anmai Mus (Melina Hagberg) sowie der Pfarrer Anton Eklund (Gustav Lindh). Die vier haben unterschiedliche Beweggründe (Ann Barbara etwa will Vergeltung für die Ermordung ihres Mannes), verfolgen aber beharrlich das gemeinsame Projekt, Kartoffeln in der Heide anzubauen. Es könnte immerzu scheitern. Die angeheuerten „Rechtlosen“, denen Anmai Mus angehörte, geben rasch auf. Mecklenburgische Siedler, die auf Geheiß des Königs kommen, weigern sich abergläubisch, mit einer Roma zu leben. Jeder Fortschritt ihres Vorhabens geht einher mit Kompromissen, Loyalität und Fürsorge sind unerträglichen Anfechtungen ausgesetzt. Kahlen muss herzzerreißende Entscheidungen treffen; er wird erpressbar. Dennoch gelingt es ihm, zum königlichen Landvermesser ernannt zu werden, was Schinkel umso eifersüchtiger werden und seine Verworfenheit immer brutalere Volten schlagen lässt. Kahlen hält an seinem Plan fest, obwohl er längst zu einer fixen Idee geworden ist.

Auch Nikolaj Arcel ist ein Filmemacher, der sich den Anforderungen des Heute stellen kann. Er hat die Drehbücher zu zahlreichen Scandi-Noirs verfasst sowie an Lars von Triers Melancholia mitgeschrieben. Allerdings machen er und sein Ensemble nie Anstalten, aus den Charakteren moderne Figuren werden zu lassen. Gewiss, der Kampf gegen Ausgrenzung und obrigkeitliche Willkür besitzt zeitlose Relevanz. Aber die Geschichte wird nie kurzgeschlossen mit der Gegenwart. Vielmehr setzen Regisseur und Hauptdarsteller ihr filmisches Mandat fort, den Historienfilm zu entstauben. Die höfischen Intrigen in Die Königin und der Leibarzt (die sich etwa in der selben Ära, nur eine Generation später zutragen) gewannen eine gewisse Modernität durch das behände Tempo der Montage. King’s Land folgt einem umsichtigeren, aber ebenso wachsamen Rhythmus. Arcel inszeniert die Historie so dringlich, als sei sie Gegenwart. Die Sitten der Zeit, namentlich die obszönen Umgangsformen des Adels, bleiben intakt. Mikkelsen entwickelt seine Figur ganz in der historischen Enge ihrer Möglichkeiten: Kahlen setzt sich zur Wehr mit den drastischen Mitteln seiner Zeit. Sein Zorn verlangt Nachdruck. Aber sein Handeln ist auf die Zukunft gerichtet: Das gelobte Land soll keine Utopie bleiben.

Eingebetteter Medieninhalt

King’s Land Nikolaj Arcel Dänemark 2023, 128 Minuten