Karl Schlögel: Die Tränen des Preisträgers
Der Beifall war lang, sehr lang, auch für
Paulskirchenverhältnisse. Jedes Jahr ist man hier in Frankfurt ja gewohnt, als
Schlussakkord der Buchmesse einer klugen, oft eindrucksvollen Rede zu lauschen,
die die jeweiligen Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels halten und
die dann zugegebenermaßen nicht immer im Langzeitgedächtnis haften bleibt.
Diesmal sorgte ein deutscher Professor dort vorn am Pult dafür, dass das wohl
anders sein wird. Der
Osteuropahistoriker Karl Schlögel hat in diesem Jahr die Auszeichnung erhalten,
„als Wissenschaftler und Flaneur, als Archäologe der Moderne, als Seismograf
gesellschaftlicher Veränderungen“ im Osten Europas, wie es in der Preisurkunde
hieß. Im 75. Jahr dieses Preises wurde damit jemand ausgezeichnet, der sich wie
kaum jemand sonst hierzulande für die Freiheit der von Russland überfallenen
Ukraine engagiert hat – und der sich ebenso wie kaum jemand sonst in Russland
und Ostmitteleuropa auskennt, diese Weltgegend seit Jahrzehnten immer wieder erforscht
und bereist hat.