Karl-Ludwig Kley: Die lokale Verantwortung im Kampf gegen den Klimawandel
Zwei Unternehmen der Rhein-Main-Region hat er maßgeblich geprägt oder tut es bis heute: Karl-Ludwig Kley, einer der führenden Manager der deutschen Wirtschaft, hat an der Spitze des Darmstädter Merck-Konzerns gestanden und führt noch immer den Aufsichtsrat der Lufthansa, wo er in früheren Jahren schon Finanzvorstand gewesen ist. In der Endphase seiner (Aufsichtsrats-)Karriere hat der 1951 in München geborene Manager ein Buch geschrieben, das auf der Basis seiner Erfahrungen, auch als ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender des Energiekonzerns Eon in Düsseldorf, zeigen will, wie Deutschland und damit auch Hessen trotz aller Bedenken noch immer einen wirkungsvollen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten kann.
Denn einer seiner entscheidenden Punkte hat abermals sehr regionalen oder lokalen Bezug. Denn es geht für ihn nicht einfach nur darum, große Politik zu machen. Vielmehr müsse „Politik die Umsetzung dessen, was abstrakt beschlossen wurde, auch lokal vertreten — statt opportunistisch jedem Einzelnen alle Zumutungen ersparen zu wollen“, wie er schreibt. Und wer wüsste besser, was das heißt, als die Politiker in Stadt und Land?
Einer, der die Herausforderungen der Klimakrise kennt
Und das müssen sie aus seiner Sicht den Bürgern erklären: „In Abwandlung des einfachen Elterngrundsatzes ‚Karussell und Eis geht nicht‘ hieße das ‚Not in my backyard und Net Zero‘ gleichzeitig geht nicht“, schreibt Kley. Auf Deutsch: Man kann nicht gegen jede Veränderung in seinem eigenen unmittelbaren Umfeld sein, wenn man ansonsten möchte, dass das Land auf klimaneutrales Wirtschaften umgestellt wird.
Diese Rechnung gehe nicht auf. Mit Kley schreibt hier in jedem Fall jemand, dem man Erfolge, die er durch Handeln vor der eigenen Haustür erreicht hat, nicht absprechen kann. Während seiner neunjährigen Amtszeit bei Merck in Darmstadt zum Beispiel wuchs der Umsatz dort von 6,3 Milliarden Euro im Jahr 2006 auf 15 Milliarden Euro im Jahr 2016, der Gewinn legte von 1 auf 1,6 Milliarden Euro zu, die Mitarbeiterzahl von 29.999 auf 50.414.
Aus seinem früheren Amt bei Eon, aber auch aus dem bei der Lufthansa, kennt er zudem die Herausforderungen der Klimakrise aus nächster Nähe. Die gute Nachricht: Kley ist davon überzeugt, dass das Land alles dazu hat, um die Wende zu schaffen. Im Weg stünden sich Deutschland und die Deutschen vor allem selbst: mit überbordender Bürokratie, falschen politischen Prioritäten und einem gesellschaftlichen Diskursklima, in dem Klickraten, Ideologie und vermeintliche Moral mehr zählen als faktenbasierte Argumente. Was er damit meint: Mit Hochwasser, Hitzewellen, Austrocknung des Bodens, Waldsterben, Hungersnöten, Massenmigration jage eine Hiobsbotschaft die nächste.
Das führe aber zu einem Alarmismus, der nicht dazu tauge, Menschen für die dringend benötigte Energiewende zu begeistern. Weder politischer Rigorismus noch radikaler Aktivismus seien deshalb zeitgemäße Antworten auf komplexe Herausforderungen des Klimawandels. Anders ausgedrückt: Der Wandel vollzieht sich nicht über Demonstrationen auf dem Römerberg oder Straßenblockaden oder immer mehr Vorschriften aus Wiesbaden oder Berlin, sondern durch Einsicht und kluges Handeln.
Es gehe schließlich um Lösungen, findet Kley und zählt sie in seinem Buch mit dem Titel „Klar zur Wende“ auch auf. Zunächst empfiehlt er, im Gespräch mit dem Bürger bei der Wahrheit zu bleiben. Habe es erst noch geheißen, der Umbau hin zu einer klimaschonenderen Energieversorgung koste die Stromkunden nicht mehr als eine Kugel Eis im Monat (so der damalige Umweltminister Jürgen Trittin von den Grünen), hätten bald Steuern, die Erneuerbare-Energien-Gesetz(EEG)-Umlage und ein ganzer Strauß weiterer Subventionen die Strompreise mit mehr als 30 Milliarden Euro im Jahr belastet. So etwas koste Vertrauen. „Die Eiskugel ist also in Wahrheit ganz schön teuer geworden“, schreibt Kley.
„Stattdessen betreibt die deutsche Politik Mikro-Management“
Das EEG mache zudem deutlich, wie verlockend die Idee staatlich gesteuerter Industriepolitik im Dienst hehrer Ziele auch sein möge, so fehle subventionierten Märkten letztlich doch allzu häufig die Wettbewerbsfähigkeit: „Deutlich besser hingegen stehen die Chancen, wenn wir einen anderen Weg einschlagen: den Weg einer öko-liberalen Marktwirtschaft. Das heißt, wir nutzen Prinzipien des Marktes so intelligent, dass wir damit sowohl den eigenen Nutzen als auch das gemeinsame Ziel erreichen können, mindestens aber die gesellschaftlichen Kosten eines klimafreundlichen Kurses in Politik und Wirtschaft minimieren.“
Und das, findet Kley, sei gar nicht einmal besonders schwierig. „Alles, was wir dazu brauchen, ist ein wirklich marktwirtschaftlich ausgerichtetes System. Und wie das genau funktionieren kann, wissen wir schon — durch den europäischen Handel mit Zertifikaten für CO2-Emissionen.“ Die Idee sei so simpel wie richtig: Das, was knapp ist, müsse umso teurer werden, je knapper es wird. In diesem Fall also das Recht, klimaschädliches CO2 auszustoßen. Und die Reduktion erfolge danach als Erstes dort, wo dies am effizientesten und am kostengünstigsten möglich ist.
Der Staat, beziehungsweise die Staaten der EU, müssen sich dabei gar nicht mehr im Detail darum kümmern, wie genau die Unternehmen eines Landes diese Umstellung bewerkstelligen. Die nationale Politik müsste sich dann „nur noch“ um die bislang nicht vom Emissionshandel erfassten Bereiche kümmern: Wärme, Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft vor allem — so wie es von 2027 an ja auch schon zum Teil vorgesehen ist. Für die Politiker, gerade auch in den Städten, bliebe also noch genug zu tun, wenn man die ersten drei Themen der Aufzählung betrachtet.
„Stattdessen aber betreibt zum Beispiel die deutsche Politik doch wieder Mikro-Management und beschließt jahresscharf, alle unsere Kohlekraftwerke abzuschalten. Die Kosten dafür: rund 40 Milliarden Euro! Aber selbst das wäre ja noch richtig im Sinne der Klimapolitik, wenn durch diese Abschaltung für das Klima irgendetwas gewonnen würde. Genau das aber ist, entgegen vielfach geäußerter Ansicht von vermeintlichen Klimaschützerinnen und Klimaschützern, nicht der Fall. Denn unser Abschalten ändert nichts an der Menge der Emissionszertifikate in der EU. Die bleibt zunächst gleich.“ Warum?
In Deutschland brauchen wir zwar weniger Zertifikate. In anderen Ländern Europas stehen diese aber dafür umso zahlreicher zur Verfügung. Dort wird es deshalb sogar günstiger, Kohlekraftwerke länger zu betreiben. Man nennt das den Wasserbetteffekt – ein Effekt, der kennzeichnend ist für die gesamte Problematik der Emissionsvermeidung. Verlagert ein Teilnehmer im globalen Klimageschehen seinen Schwerpunkt und nimmt eine neue Position ein, verändert das zwar seine Lage. Aber gleichzeitig verschieben sich die Emissionsmengen, so wie das Wasser im Wasserbett, an andere Stellen.
Nutzung der Mittel des Marktes, kein Dirigismus im Detail
Was daraus aus Kleys Sicht folgt? Nur Lösungen, die auch bei ganzheitlicher Betrachtung eine positive Veränderung bringen, können aus seiner Sicht wirklich als Lösungen gelten. Alles andere seien Scheinerfolge. Und die aufgewendeten Milliarden Euro, wie etwa die für den Kohleausstieg, seien klimapolitisch in den Wind geschossen. „Das bedeutet: Wir sollten uns nicht so sehr darüber streiten, ob es objektiv und prinzipiell richtig ist, die Kohlekraftwerke abzuschalten. Und das Problem liegt auch nicht darin, dass irgendjemand den deutschen Beitrag zum Klimaschutz verweigern wollte, weil wir nur zwei Prozent der Verantwortung tragen. Das Problem ist, dass wir handwerklich falsch agieren und dadurch zugleich unseren eigenen Interessen und denen des Klimas zuwiderhandeln – also die schlechteste aller gegebenen Möglichkeiten realisieren.“
Es gelte also, mit Mitteln des Marktes so schnell wie möglich den Ausstoß zu reduzieren, statt auf Dirigismus im Detail zu setzen. Genauer: „Konsequent freie Fahrt schaffen für erneuerbare Energieerzeugung, also vor allem radikaler Abbau der Bürokratien rund um die Genehmigungen für Transport und Errichtung entsprechender Anlagen, damit wir unsere Ziele beim Zubau erneuerbarer Energien erreichen.“ Und an dieser Stelle ist Kley wieder bei der Politik auch in den Kommunen und im Land; gerade Hessen kann ein Lied vom schleppenden Ausbau der Windkraft singen.
Aus Kleys Sicht gilt es aber auch, herkömmliche Energieträger, insbesondere Gas, weiter zu nutzen, weil selbst unter günstigsten Bedingungen ausschließlich alternative Energieerzeugung bis auf Weiteres nicht in ausreichendem Umfang möglich sein wird. Begleitet werden müsse das Ganze von modernen Methoden der CO2-Speicherung oder -Wiederverwendung, „weil wir ohne diese Technologien und ein umfassendes Kohlenstoffmanagement die Reduktionsziele nicht erreichen können“. Und auch das spricht die Menschen an, die künftig in der Nähe solcher Einrichtungen wohnen.
Den einzelnen Bürger wiederum mahnt der ehemalige Merck-Manager und Lufthansa-Aufsichtsratschef dazu, im Diskurs mit Nachbarn, Freunden oder Politikern nicht stets einfache Antworten zu suchen. Das führe nur zu Mikrosteuerung und zu nicht marktwirtschaftlichen Konzepten. Und alles das habe Deutschland die Probleme, die das Land habe, erst eingebrockt.