Kanada | Kanada: Kommt dies Referendum oberhalb die Klimapolitik von Premier Trudeau?

Die Kohlenstoff-Abgabe hat Wahlen und eine Anfechtung vor dem Obersten Gericht überstanden. Nun steigen aber die Lebenshaltungskosten, und die Konservativen machen mobil – trotz der Rabatte für Haushalte mit geringem Einkommen


Unter Druck: Kanadas Premierminister Justin Trudeau

Foto: Imago/Zuma Press


Mangel, Unterernährung, eine existenzielle Bedrohung für die kanadische Lebensart. Seit Monaten gefällt sich Pierre Poilievre, Führer der konservativen Opposition, in apokalyptischen Prophezeiungen. Ihn stört die staatliche Kohlenstoff-Abgabe, mit der die Emissionen von Treibhausgasen eingedämmt werden. Im Unterhaus meinte der Tory-Chef, es gebe nur einen Weg, um eine verheerende Krise zu vermeiden: Premier Justin Trudeau müsse ein Referendum zur „Kohlenstoff-Steuer“ ausrufen.

Bisher galt sie als Beispiel verantwortungsbewusster Umweltpolitik. Die Abgabe hat Emissionen reduziert, Parlamentswahlen und eine Anfechtung vor dem Obersten Gericht überstanden. Aber nun haben ein Anstieg der Lebenshaltungskosten und ein kämpferischer Führer der Konservativen die Steuer erneut ins Zwielicht gerückt. Offen ist, ob sie eine landesweite Abstimmung überstehen würde.

Im Jahr 2018 hatte Trudeau erstmals Pläne für einen „gesamtkanadischen Klimarahmen“ angekündigt. Die bahnbrechende Kohlenstoff-Steuer der Provinz British Columbia wurde zum Muster. Das Besondere an dieser Abgabe war, dass der Staat die eingenommenen Gelder nicht behielt. Stattdessen kamen sie als vierteljährliche Rückerstattung den Steuerzahlern zugute. Stieg etwa die Treibstoffsteuer, wurde dies so kompensiert. Nach Angaben der Regierung erhält eine vierköpfige Familie in Ontario 2024 Rabatte in Höhe von 1.120 kanadischen Dollar. Wer in einer ländlichen Gegend lebt, bekommt mehr, sodass eine vierköpfige Familie in der Provinz Alberta mit 2.160 Dollar rechnen kann. Ökonomen, Politikwissenschaftler und Finanzpolitiker haben herausgefunden, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen mehr an Rückerstattung erhalten, als sie an zusätzlichen Kosten für die Kohlenstoff-Abgabe aufbringen.

Die Konservativen jedoch, die in den Umfragen derzeit deutlich führen, sind gewillt, eine wachsende Frustration über die Regierung Trudeau auszunutzen und ein Plebiszit über deren Klimapolitik durchzusetzen. Die Botschaft ihrer Kampagne auf Werbetafeln und T-Shirts lautet schlicht: „Steuern abschaffen!“ Es wird argumentiert, dass die CO2-Abgabe die Menschen in einer Zeit belastet, in der Mieten, Verkehrstarife und Preise für Lebensmittel wahrlich in die Höhe schießen.

Verspielte Glaubwürdigkeit

Kathryn Harrison, Politikwissenschaftlerin an der University of British Columbia, die jahrelang die Auswirkungen der Kohlenstoff-Abgabe auf das Verhalten und die Emissionen untersucht hat, beklagt die „absurden Unwahrheiten“, die aus politischen Gründen verbreitet würden. „Der aktuelle Diskurs führt dazu, dass es viele Kanadier falsch interpretieren, was die bisherige Politik bewirkt hat. Sie glauben, dass sie mehr zahlen, als sie in Wirklichkeit sollten. Eine sehr beunruhigende Situation, nicht nur in klimapolitischer Hinsicht, auch für die Demokratie“, findet sie. „Die Unbeliebtheit der CO2-Steuer ist zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass die Wähler sie missverstehen.“

Für Kanadas Umweltminister Steven Guilbeault führt die hitzige Debatte das Land auf einen Scheideweg beim Umgang mit dem Klimawandel. „Tatsache ist, dass es nicht weiter schwerfällt, ‚Steuerstreichung‘ zu sagen. Niemand zahlt gern Steuern. Komplizierter wird es, wenn erklärt werden muss, dass der Klimawandel real ist und die Kanadier Milliarden Dollar kostet. Deshalb ist die CO2-Bepreisung eine von vielen Maßnahmen, die wir ergreifen, um den Klimawandel aufzuhalten. Natürlich ist das nicht so einfach zu kommunizieren wie die jetzigen Slogans.“ Guilbeault räumt ein, dass seine Regierung „etwas langsam“ war, um eine Welle der Falschinformationen zu brechen.

Der Tenor der Debatte lässt darauf schließen, dass Substanzielles auf dem Spiel steht. Im September deutete selbst Jagmeet Singh an, Chef der Neuen Demokratischen Partei (NDP), dass seine Vorbehalte gegenüber der CO2-Steuer wachsen. Er wolle keine Politik, „die Lasten auf den Rücken der arbeitenden Bevölkerung abwälze“ – ein Vorbehalt, der von Experten zurückgewiesen wird. „Es ist überraschend, dass sich eine Partei wie die NDP von einer fortschrittlichen Politik abwendet, die einerseits die Belastung durch Emissionen reduziert, andererseits größere Steuer-Rabatte für Haushalte mit niedrigem Einkommen gewährt – also für Menschen, die von der NDP angeblich am meisten unterstützt werden“, sagt Harrison.

Während Nationen weltweit Maßnahmen ergreifen, um Folgen eines sich rapide verändernden Klimas abzumildern, kommt ein aktueller Report des Canadian Climate Institute zu dem Ergebnis, dass die nationale Kohlenstoff-Abgabe, die private als auch industrielle Verbraucher betreffe, die Emissionen bis 2030 voraussichtlich um bis zu 50 Prozent reduzieren werde. Für den Fall, dass eine konservative Regierung diese Abgabe kippe, habe Kanada „keine Möglichkeit“, seine Emissionsziele zu erreichen“, so Minister Guilbeault. „Das vermindert unsere Glaubwürdigkeit, wenn wir mit anderen Staaten verhandeln, um Pläne für gesenkte Emissionen voranzutreiben.“

Leyland Cecco ist Kanada-Reporter des Guardian

Leyland Cecco ist Kanada-Reporter des Guardian