Junge Generation: Das Ende welcher Generationengerechtigkeit

Felix Ekardt forscht als Leiter der Leipziger Forschungsstelle
Nachhaltigkeit und Klimapolitik sowie Professor an der Uni Rostock zu
Politik, Recht und Ethik der Nachhaltigkeit. Er sucht anlässlich seiner
oft sehr kontroversen Positionen die Diskussion mit den Leserinnen und
Lesern der ZEIT. Auch diesmal antwortet er direkt unter dem
Artikel auf Leserkommentare. Diskutieren Sie mit!

Die westliche
Fortschrittserzählung droht seit Längerem an ihr Ende zu gelangen,
besonders in der Frage der Generationengerechtigkeit. Seit Aufklärung
und Industrialisierung schien in Europa klar: Den Kindern wird es
einmal besser gehen. Auch bei den klassischen Umweltproblemen bei Luft
und Gewässern schien es lange so: Mit zunehmendem Wohlstand werden auch
die Öko-Fragen schrittweise gelöst. Allerdings weckten bereits die
globalen Mega-Herausforderungen Klimawandel, Artensterben und
schwindende Ressourcen Zweifel an dieser Fortschrittssaga. Man konnte
zwar meinen: Politik und Gesellschaft reagieren zu langsam. Doch die
Richtung stimmte halbwegs.

Diese Situation dreht sich gerade in
geradezu beängstigender Geschwindigkeit. Rente, Wehrpflicht,
Sondervermögen, Klimawandel, Artensterben: Die junge Generation wird
gerade in der Summe besonders belastet – während diejenigen, die sowohl
die Klima- und Biodiversitätskatastrophe als auch die Sicherheitslage,
zum Beispiel durch lange währende Naivität gegenüber Russland,
verursacht haben, die meisten Lasten von sich fernhalten.

Ein
aktuelles Beispiel: die Rentendiskussion, bei der sich die ältere
Generation – vertreten durch die von ihr vor allem gewählten Parteien – mit Mütterrente, Aktivrente und Rentenhaltelinie noch mal kräftig einen
einzuschenken versucht. Und zwar auf Kosten der jüngeren
Beitragszahler, die selbst keine entsprechende Rente mehr erwarten
können.

Die neuen Verschuldungsmöglichkeiten für Infrastruktur
und Aufrüstung verschlimmern die intergenerationelle Schieflage weiter.
Zurückzahlen müssen die Schulden später die Jüngeren, und das frische
Geld hier und heute nützt oft eher den Älteren: Der neue Bundeshaushalt
gleicht einem Verschiebebahnhof, und das für Investitionen gedachte
Sondervermögen deckt teils eher konsumtive Bedürfnisse.

Bei der
geopolitischen Lage geht es um noch mehr. Nämlich nicht allein darum,
dass die Älteren ein Problem erst verschlafen haben und es nun mit
hohen Krediten, die die Jüngeren später tilgen müssen, noch rasch zu
lösen versuchen. Die verschlafene russische Bedrohung macht vielmehr auch
die Rückkehr der Wehrpflicht vielleicht unvermeidlich. Da geht es dann
nicht mehr nur um Geld. Sondern, selbst wenn die Aufrüstung primär der
Abschreckung dient, schlimmstenfalls um Leben und Tod.

Beim Klima das Schlimmste verhindern

Beim Klima
sieht es ebenso düster aus, ist es doch selbst eines der größten
Risiken für gewaltsame Konflikte und massive Katastrophen im 21.
Jahrhundert. Gerade erst im Juli hat der Internationale Gerichtshof
(IGH) das Pariser Klimaabkommen und die Menschenrechte so ausgelegt
,
dass die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzt werden muss, um
wenigstens das Schlimmste zu verhindern. Wie kürzlich mit den neuen
Klimadaten vorgerechnet
, bedeutet eine maximale Toleranz von 1,5 Grad
faktisch, dass Deutschland sein Klimagas-Budget inzwischen aufgebraucht
hat. Doch Bundesregierung und EU-Kommission reden nicht etwa über
rasche Postfossilität, sondern über neue Gaskraftwerke und eine
Verschiebung des Verbrenner-Aus für Autos.

Beim Artensterben
sind die planetaren Grenzen, also die Grenzen für eine sichere
Fortexistenz der Menschheit, noch deutlicher überschritten als beim
Klima. Und ohne halbwegs intakte Natur mit Bestäubungsinsekten,
fruchtbaren Böden und Grundwasserreinigung können wir auf Dauer nicht
leben. Doch Bundesregierung und EU wollen im Zuge vermeintlicher
Entbürokratisierung sogar das bereits zu schwache Naturschutzrecht
zurückbauen. So sollen die Standards für einen Naturschutz-Ausgleich
bei Großprojekten abgesenkt werden. Gleichzeitig befreit die EU
verstärkt Bauern von Öko-Auflagen, obwohl die bisherige Landwirtschaft
zentralen Anteil am Biodiversitätsverlust hat.

Dass ein wirksamer
Klima- und Naturschutz nicht nur lebenswichtig ist, sondern für die
Volkswirtschaft massiv Kosten spart, ist wissenschaftlich unstrittig.
Trotzdem einfach alles zulasten der Jungen entscheiden, und die Älteren sind fein
raus? Die liberale Demokratie lebt seit ihrer Entstehungsgeschichte
davon, dass sie möglichst vielen Menschen glaubhaft vermitteln konnte,
dass sich Kompromisse zum Beispiel in der Steuer- und Sozialpolitik für
sie wenigstens halbwegs lohnen. Fallen diese aber immer drastischer zulasten der Zukunft aus, ist das wie eine Steilvorlage für Populisten von
rechts und links.

Die gesamte Entwicklung widerspricht aber auch
dem Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021. Es
entschied in einem weltweit beachteten Urteil, dass die Politik
generationenübergreifend Freiheit sichern muss. Es dürfen, so das
Gericht, nicht Lasten einseitig in die Zukunft verschoben werden. Und es
müssen schon heute Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die
Politik Entwicklungen einfach laufen lässt und es dann später für die
heute Jungen knüppeldick kommt. Das gilt jedenfalls bei Entwicklungen,
die irreversibel zu sein drohen.

Heute niemandem wehtun zu wollen,
dafür aber die heute jungen Menschen künftig umso härter zu treffen,
ist also nicht nur ein politischer Taschenspielertrick. Es verletzt die
Grundrechte. Außerdem werden auch handfeste Verfassungsregeln verletzt:
Die erweiterten Verschuldungsmöglichkeiten seit diesem Frühjahr zielen
zum Beispiel explizit auf zusätzliche (!) Investitionen ab. Der neue
Bundeshaushalt hält das aber teilweise nicht ein.

In Zeiten, in
denen Argumente immer seltener durchdringen und in denen die Demografie eine Politik zugunsten der Älteren zementiert, bleibt da womöglich nur
der Weg zum Bundesverfassungsgericht. Klar, monetäre Verteilungsfragen
sind zunächst einmal eine Aufgabe für Parlamente und Regierungen.
Gefällt einem die Politik nicht, kann man andere Parteien wählen oder
sich selbst politisch stärker engagieren. Verfassungsgerichte
kontrollieren nur einen äußeren Rahmen. Doch wie Beispiele wie Klimawandel,
Artensterben
und reaktivierte Wehrpflicht zeigen: Es geht hier um weit
mehr als nur um Geld. Außerdem können die Jüngeren heute oft noch
nicht wählen und sind politisch noch nicht angemessen repräsentiert.
Deshalb sind gerade bei der Generationengerechtigkeit
Verfassungsgerichte sehr wichtig. Es braucht aber auch eine
Jugendbewegung, die dies politisch und rechtlich einfordert.