Jovana Reisinger: Sie ist angepisst

Jovana Reisinger schwitzt. Das ist
erst mal nichts Besonderes: Draußen sind beinahe dreißig Grad, drinnen zwar nicht,
aber Jovana Reisinger steht im weißen Licht der Scheinwerfer, den
Trainingsanzug mit der Aufschrift „Sex Symbol“ bis oben geschlossen, überhaupt
steht sie am Donnerstagabend dieser Woche das erste Mal als Schauspielerin vor Publikum, und dann
direkt in der Schaubühne in Berlin. Da kann man schon ins Schwitzen kommen.

Interessant an dem feuchten Film
auf ihrer Stirn – mehr ist es nicht, das Gesicht wurde ordentlich gepudert – bleibt
lediglich, dass Jovana Reisinger als eine Frau imaginiert wird, bei der alles
glamourös ist, die nie schwitzt. Ein Blick auf das Instagram-Profil der
Schriftstellerin und Filmemacherin: Prada-Tasche, riesige Tüllkleider,
riesige Tennisplätze, Torten, Austern und Schampus. 

In diesem Sommer spielt
Reisinger nicht nur in ihrer eigenen Theateradaption ihres essayistischen Romans Enjoy
Schatz
. Sie hat auch vor wenigen Tagen ihr fünftes Buch ins Lektorat gegeben,
dreht als Regisseurin nach diversen Kurzfilmen ihren ersten Langfilm, schreibt
in ihrer FAZ-Kolumne über das Singledasein und in der Vogue über
ihre Scheidung
. Zwischen roten Teppichen und Literaturfestivals lebt sie, sagt
sie selbst, „wie für zehn“. Das alles könnte darüber hinwegtäuschen, dass auch
Reisinger unter „Menstruationsbeschwerden, Ängsten, Selbstzweifeln“ leidet und,
ja, schwitzt. Zumindest, so steht es in ihren Essays, hat es schon einige ihrer
Liebhaber getäuscht, die dann weder mit ihrem Erfolg noch mit der bloßen
Menschlichkeit hinter der Kunstfigur umgehen konnten und Jovana Reisinger
sitzen ließen.

Und das Geld reicht nicht

Darum geht es an diesem Abend im Studio
der Schaubühne: eine Schriftstellerin, the woman who has it all, Status,
Sex, plötzlich Geld, zunächst auch noch einen Ehemann. Aber die Männer wollen eben
keine Frau, die erfolgreicher ist als sie – ergo bleibt der Sex öfter aus –, das Feuilleton nimmt sie als Künstlerin nicht ernst, denn bekanntlich treiben
lange Fingernägel einer Frau die literarischen Fähigkeiten aus, und das Geld
reicht nicht. Die Schriftstellerin (gespielt von Veronika Bachfischer) ist eine
fiktive Figur, erschaffen von Jovana Reisinger (gespielt von Jovana Reisinger). Nachdem Reisinger das Publikum mit einem frischen „Hallöchen“ begrüßt, steigt
aus einer Plastikmuschel diese Schriftstellerin empor. Bildsprachlich trifft
das Venus-Gemälde von Botticelli auf Polly Pocket, die Puppe, die der Barbie
folgte und in einem kleinen Plastikkoffer wohnt.

Die Schriftstellerin hier ähnelt Reisinger
ungemein, denn nach den
ersten Romanen war Reisinger klar: Sie wird ohnehin mit ihren Figuren
verwechselt. Also legt sie es diesmal drauf an, zeigt auf eine Ausgabe des
Essayromans Enjoy Schatz und sagt mit Showmasterstimme: „Alles, was hier steht, ist
autobiografisch. Ist wahr, ist echt, ist real. Oder?“

Wenige Tage vor der Premiere treffe
ich Jovana Reisinger auf einen Erdbeereisbecher vorm Rathaus Neukölln und will
wissen, was denn nun alles wahr, echt, real ist. Aber da ich nicht direkt
zugeben möchte, auf ihr Verwirrspiel hineinzufallen, frage ich sie zunächst
nach ihrem da noch bevorstehenden Schauspieldebüt. Reisinger fährt sich mit den rosa schimmernden
Fingernägeln wie mit einem Kamm durch das Haar, wickelt eine Strähne um den
Finger und sagt: „Wenn ich kokett sein will, sage ich: Das ist ganz einfach, ich
spiele ja mich selbst.“

Sie selbst: mit sechs Jahren von
München nach Oberösterreich gezogen, „aber nicht so Heidi-Fantasie-mäßig“, das
Dorf war flach, es gab die Post, einen Supermarkt, eine Turnhalle und drei
Wirtshäuser, eins davon das Gasthaus Reisinger, das ihre Eltern fortan
führten. Es lief nicht gut, nach ein paar Jahren gaben sie das Wirtshaus auf. Dass
die Familie, nachdem sie zurück nach Bayern gezogen war, von Hartz IV in einem
Sozialbau lebte, dass sie nicht immer die Stromrechnung bezahlen konnte, gehörte
lange nicht zu Jovana Reisingers öffentlicher Biografie. Auf das Unterschichtkind-Image hatte sie keine Lust, also holte sie sich statt eines
ordentlichen Wocheneinkaufs einen Jil-Sander-Anzug aus dem
Secondhandladen, schlich sich auf Partys und Premieren und „nahm Nachhilfe“:
Sie beobachtete die Hochkultur. Woher sonst soll man wissen, dass es bei einem
schicken Empfang zwar ein Buffet gibt, aber kaum jemand richtig isst?

Den herzlichen, unprätentiösen
Plauderton einer Wirtstochter beherrscht
die heute 34-Jährige trotzdem noch. Der Inhaber des Eiscafés kommt vorbei,
Küsschen hier, Küsschen da, es wird Campari Soda ausgegeben und über die
Baustelle geschnackt, die den Rathausplatz seit Monaten umgibt (eigentlich ganz
praktisch, gerade an so einem Sonntag, wenn die Baustelle stillliegt und die Gäste vom
Lärm der Karl-Marx-Straße abschirmt; gewiss bleibt die Baustelle noch eine Weile, es ist
Berlin).