Joe Biden: Das eine sagen, dasjenige andere meinen

Allein die Präsentation der Botschaft wirkt wie abgeguckt von Benjamin Netanjahu: In einem Exklusivinterview mit CNN verkündete Joe Biden, im Falle eines Rafah-Einmarsches keine jener Waffen zu liefern, die Israels Armee bisher im Gazastreifen nutzte. Die Aussage klang zunächst nach einem Kurswechsel des bisher sehr israelsolidarischen US-Präsidenten.

Doch Biden ändert nicht seinen Kurs. Sondern seine Rhetorik.

Die Art, wie er seine Nahost-Politik neuerdings kommuniziert, erinnert an den israelischen Politikstil. Den hat Langzeit-Premier Benjamin Netanjahu maßgeblich geformt, besser gesagt: So polemisch bis extrem populistisch wie Netanjahu seit Jahrzehnten Politik macht, bleibt seinen Gegnerinnen und Kritikern kaum eine andere Möglichkeit, als es ihm nachzumachen. Das scheinen nun auch Biden und seine Beraterinnen und Berater gelernt zu haben. 

Netanjahu häufiger im US-Fernsehen

Statt im steifen Anzug wie andere Politiker präsentierte sich Netanjahu Ende der Achtziger im israelischen Fernsehen im lässig aufgeknöpften Hemd – und das kam an in Israel. Doch die gute Beziehung zwischen dem Premier und den heimischen Medien hat längst nachgelassen. Mit sauber recherchierten Berichten, etwa über seinen Gerichtsprozess, machten sie sich in den vergangenen Jahren zum Feind des Populisten.

Vergangenes Jahr, vor dem 7. Oktober, gab Netanjahu israelischen Medien nur zwei Fernsehinterviews, beide dem rechten Sender Kanal 14. US-Medien stand er dagegen für 22 Gespräche zur Verfügung. Dort kommt sein Stil besser an: Netanjahu spreche „amerikanisch“, schrieb der Ha’aretz-Journalist Anshel Pfeffer im August 2023 in einer Analyse. Netanjahu sei „ein Meister der Einzeiler, klingt kraftvoll und präsentiert Weltuntergangsszenarien, die immer gut für die Einschaltquoten sind“.

Wenn Biden nicht will, dass Netanjahu ihm die Show stiehlt, muss auch er seine Israel-Politik medial inszenieren. Anfang März nutzte er ein Interview mit dem US-amerikanischen Sender MSNBC dafür, den israelischen Ministerpräsidenten so deutlich wie nie zuvor zu warnen. Netanjahu schade Israel mehr als zu helfen, sagte der US-Demokrat. Er ergänzte: „Ich werde Israel niemals allein lassen.“

Emotionen sind vielen wichtiger als Inhalte

Letzteres ist auch in der israelischen Politik sehr wichtig: Die innenpolitischen Gräben mögen tief sein. In der Bereitschaft, Israels Sicherheit zu verteidigen, sind sich alle Lager einig. Selbst Oppositionsführer Jair Lapid, heftiger Kritiker von Netanjahus Politik, sagte kürzlich im Interview mit der New York Times, dass Israel im Ausland missverstanden werde.

„Ich glaube nicht, dass wir die richtige Führung haben, um mit dieser Situation umzugehen“, sagte Lapid. Er ergänzte aber: „Ich glaube nicht, dass die Menschen das Ausmaß an Angst und Schrecken verstehen − ich meine die internationale Gemeinschaft, die internationalen Medien.“ Es sei erschreckend für ihn, die Bilder von jungen Menschen an amerikanischen Unis zu sehen, die „From the river to the sea“ riefen. „Und dann fragt man sie: Wisst ihr, welcher Fluss oder welches Meer das ist? Und sie haben keine Ahnung. Sie stellen uns auf die Seite der Bösen, ohne zu wissen, was passiert ist, was wir durchgemacht haben.“

Anfang der Woche sprach US-Präsident Biden bei einer Veranstaltung zum israelischen Holocaust-Gedenktag. Er sagte: „Ich sehe Ihre Angst, Ihre Verletzung und Ihren Schmerz. Lassen Sie mich Ihnen als Ihr Präsident versichern, dass Sie nicht allein sind.“ Biden sprach von einem „grausamen“ Anstieg des Antisemitismus in den USA.

Für viele Israelis sind solche emotionalen Worte wichtig. Manchmal zählt für sie die Rhetorik, die Tonalität mehr als der Inhalt. Das kritisierte der Ha’aretz-Autor Yossi Klein auch in einem Meinungsstück über die Berichterstattung zum schlecht laufenden Krieg gegen die Hamas: „Verlässlichkeit zählt nicht. Die Öffentlichkeit lässt sich lieber anlügen, als sich mit der schmerzhaften Wahrheit zu quälen.“