Jill Biden ist schuld, dass ihr Ehemann und die USA im Desaster stecken!

Seit Shakespeares Macbeth wissen wir, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine machthungrige Frau steht. Die Trope der intriganten Ehefrau, die ihren Mann manipuliert, entstand nicht zufällig zu einer Zeit, als ehrgeizige Frauen exakt eine Möglichkeit hatten, Ambitionen auszuleben: lukrativ heiraten. Ist sie erfolgreich darin, ihren Mann in den gemeinsamen Zielen zu unterstützen, geht er in die Geschichte ein und sie findet lobenswerte Erwähnung unten auf seiner Wikipedia-Seite. Geht es schief, ist sie an allem schuld und ihr Mann das arme Opfer einer toxischen Furie. Eine klassisch sexistische Trope.

Seit dem katastrophalen TV-Duell im Rahmen der Präsidentschaftswahl in den USA wird jetzt der Ehefrau des Präsidenten, Dr. Jill Biden, genau das vorgeworfen. Denn nur an ihr kann es liegen, dass der Demokrat seine Kandidatur für eine zweite Amtszeit nicht zurückgezogen hat. Das Argument dahinter ist so simpel wie unlogisch: Sie allein steht Joe Biden nahe genug, um ihn von einem Rücktritt überzeugen zu können. Dass dieser noch nicht erfolgt ist, kann nur bedeuten, dass sie ihn nicht überzeugen will.

Nach der Debatte trat die Familie Biden geschlossen auf. Dr. Biden, die ihren Mann immer unterstützt hat, lobte seine öffentliche Bruchlandung und sagte zu ihm, „du hast alle Fragen beantwortet und die Fakten gekannt. Und was hat Trump gemacht? Gelogen.“ Im Netz gab es daraufhin schockierte Kommentare, Dr. Biden würde mit ihrem Mann reden wie mit einem Kleinkind. Zugegeben, so könnte es klingen. Der Eindruck entsteht aber primär, weil er sich in der Debatte so schlecht geschlagen hat, dass jedes lobende Wort klingt wie ein Trostpreis für einen Dreijährigen. Was hätte sie denn sonst tun sollen? Ihrem Mann öffentlich in den Rücken fallen?

Während der Debatte ist Donald Trump konsequent Fragen ausgewichen und hat gelogen, dass man das Gebälk schon knacken hörte. Dr. Bidens Kommentar nimmt somit direkten Bezug auf das Verhalten von Trump. Doch für die Jill-Hater war diese Aussage lediglich ein weiterer Beweis dafür, dass sie aus Eigennutz einen halb dementen Greis in eine zweite Amtszeit zwingt, für die er nicht bereit ist. Wer macht jetzt das Kleinkind aus dem US-Präsidenten?

Steht wirklich Jill Biden der Zukunft der USA im Weg?

Diese Anschuldigungen gegen Jill Biden sind nicht neu. Der Historiker Douglas Brinkley charakterisierte sie bereits im Februar als machthungrige Frau, die sich aus Rache ans Weiße Haus klammert. Rächen wolle sie sich dafür, es „nur“ zur Dozentin an einem Community College geschafft zu haben, ein Job, in dem sie als sehr engagiert und zufrieden gilt und den sie trotz ihrer Rolle als First Lady weiterhin ausübt.

Dass Brinkley überhaupt etwas zu der Sache sagen darf, ist seinem Buch The Unfinished Presidency geschuldet. Er behandelt darin US-Präsidenten, die statt der üblichen zwei nur eine Amtszeit ausübten. Im Interview mit „Face the Nation“, einem Programm von CBS News, behauptete er, dass bei vielen dieser Eine-Amtszeit-Präsidenten die Ehefrauen den entscheidenden Faktor dazu gaben, weshalb keine zweite Amtszeit angestrebt wurde. Damit räumt er diesen Frauen einerseits sehr viel politische Macht ein, nutzt sie andererseits aber, um Jill Biden zu diffamieren. Eine Frau wie die Ehefrau von Lyndon B. Johnson habe ihren Mann aus Sorge um seine Gesundheit davon abgehalten, eine zweite Amtszeit anzustreben. Dr. Biden hingegen verletze diese Fürsorgepflicht ihrem Mann gegenüber, indem sie ihn nicht dazu dränge, sich aus dem Rennen zu ziehen. Sie verweigert also die ihr zugeschriebene Verantwortung als sorgende Ehefrau und nutzt ihren Mann für ihre persönlichen Interessen aus.

Damit stilisieren Brinkley und die anderen überzeugten Kritikerinnen von Jill Biden aber gleichzeitig die Demokratische Partei und Präsident Joe Biden zu Opfern einer machthungrigen Manipulatorin. Eine Partei und einen erwachsenen Mann, die gerade an der Spitze der USA stehen. Und die sollen es nicht schaffen, gegen eine Frau anzukommen, wenn es um die Zukunft eines Spitzenpolitikers, der Demokraten – und der gesamten USA geht?

Super Safe Space

Alina Saha ist Online-Redakteurin des Freitag. Neben Umwelttthemen schreibt sie abwechselnd mit Dorian Baganz, Özge İnan, Elsa Koester und Tadzio Müller die Kolumne „Super Safe Space“.