Jesuslatschen an dieser Handelszentrum: Zehn Fakten via Birkenstock

A

wie Aktie

Meine Frau sieht hervorragend aus in ihren Birkenstocks, ich käme mir in den Sandalen aber komisch vor. Der hässlichen Füße wegen. Als die in Linz am Rhein ansässige Traditionsfirma im Oktober letzten Jahres an die Börse ging, wollte ich allerdings dabei sein. Denn der veritable Hype um Birkenstock im Gefolge des → BarbieFilms machte die Wertpapiere zu einer sicheren Anlage, dachte ich, aber viele andere auch: die Aktien waren im Handumdrehen ausverkauft. Auf meine Enttäuschung folgte Erleichterung: das Handelspapier brach sofort um 13 Prozent ein. Ende November 2023 stand sie jedoch wieder bei Null. Ab Anfang 2024 ständig im Plus. Im März stieg ich, reichlich spät, mit 750 Euro ein. Seitdem kennt die Birkenstock-Aktie nur noch eine Richtung: langsam, aber stetig aufwärts! Aktuell sind meine Anteile immerhin 910 Euro wert. Ein Profit von 21,8 Prozent, wie meine Aktien-App ausrechnet. Ich bin zufriedener Birkenstock-Aktionär. Soll ich meiner Frau vom Gewinn ein neues Paar kaufen? Uwe Schütte

B

wie Barbie

Rosa funkelnde High Heels oder unglamouröse Birkenstocks? Von „Weird Barbie“ vor die alles entscheidende Wahl gestellt, entscheidet sich „Stereotypische Barbie“ gewohnheitsgemäß für die High Heels. Dabei hat sie auf dem Weg gerade erst darüber gejammert, wie unbequem die Dinger sind. Ihre Füße lassen es allerdings nicht zu, flache Schuhe zu tragen. Die High Heels versprechen ihr eine Rückkehr in ihre gewohnte Welt, Sicherheit und Stabilität – trotz orthopädischer Instabilität. Die Birkenstocks locken mit „der Wahrheit über das Universum“. Barbie muss es im Film selbstverständlich wissen wollen, also wählt sie am Ende gezwungenermaßen die Ökolatschen, entdeckt die Welt und vereitelt eine patriarchale Machtübernahme von Barbieland. Kein Wunder also, dass der Verkauf der Sandalen nach der Filmpremiere in die Höhe schoss. Alina Saha

C

wie Clogs

Sicherheit ist relativ, wenn es nach einigen Notärzten geht. Einer, mit dem ich viele Einsätze fuhr, trug wider besseres Wissen auch an den heikelsten Einsatzstellen voller Inbrunst seine Clogs oder Birkenstocks. Hölzern staksend bahnte er sich seinen Weg zu den Patienten, die er ebenso hölzern behandelte. Nach Jahren blicke ich auf sein Gesamtbild mit einem Empfinden der Kreisschlüssigkeit. Birkenstock – oder deren dem Einkommen im Gesundheitswesen eher entsprechenden No-Name-Ableger – werden gern getragen und treiben Arbeitsschützern Schweißperlen auf die Stirn. Sämtliche Wege werden mit diesen leichten – wie sagt man korrekt, Sandalen? (→ Maggi-Effekt) – zurückgelegt, das wimmernde Fersenriemchen achtlos heruntergetrampelt. Auf Treppen mit Schnee oder auf frisch gebohnerten OP-Böden, die Träger des offenen Halbschuhs bewegen sich mit einer gebieterischen Sicherheit in dieser, für mich, Schuhsimulation. Aber wie bei so vielem: Der Glaube scheint Berge zu versetzen. Jan C. Behmann

J

wie Jesuslatschen

Jesuslatschen: Das waren in der DDR einfache, flache Treter mit grauer Sohle. Die Riemen waren aus grobem braunen Leder und die Dornschnallen auch nicht gerade edel. Funktionales Schuhwerk für den Sommer, leicht und unisex – damals war dieses Wort noch nicht geläufig. Doch konnten diese Römer-Sandalen, wie man sie auch nannte, zugleich als Signal verstanden werden, eben keiner Mode untertänig zu sein, ja, überhaupt ein lässig freies Leben führen zu wollen. Als Blues-, Beat-, Rockfan gern in der Natur und entsprechend gekleidet. So wie die „Blueser“, beginnend in den 60er-, 70er-Jahren, ihre Gegenkultur zelebrierten, schwappte ein bisschen Hippie-Feeling ins biedere Ossi-Land. Weshalb die Jesuslatschen inzwischen schon wieder Kult sind. Gefertigt in einer Thüringer Firma, sind sie heute auch bei Amazon zu haben. Irmtraud Gutschke

M

wie Maggi-Effekt

Auch wenn man von der olfaktorischen Verifizierung lieber absieht, bietet das beispielsweise für Freibad-Nebenliegende stets gut sichtbare Birkenstock-Fußbett in seiner dunkelglänzenden, speckigen Anmutung optische Hinweise auf einen recht würzigen Geruch. Womit wir beim Thema wären, der Würze. Ob planvoll oder en passant: Dem 1774 in Linz am Rhein gegründeten Schuhhersteller ist es gelungen, einem ganzen Bereich des Schuhmarktes seinen Markennamen aufzudrücken. Wie man von salziger Suppenwürze in Tröpfel-Fläschchen pauschal als „Maggi“ spricht, so nennt man die zwei-riemige, fersenfreie Schlappe eben Birkenstock, auch wenn man tatsächlich ein Modell von anderen Herstellern wie Lico, Graceland oder Dr. Brinkmann vor sich hat. Dieser Maggi-Effekt klebt wie Uhu am betreffenden Marktsegment. So sehr, dass die neutrale, ursprüngliche Bezeichnung dieses offenen Schuh-Typs mittlerweile fast in Vergessenheit geraten ist: Sie lautet nämlich Pantolette. Bitteschön. Velten Schäfer

N

wie Nasse Füße

Irgendwie hatte mich das Marketing doch erwischt. So steuerte ich vergangenen Sommer während der Mittagspause einen Flagship Store in Berlin-Mitte an und kaufte mein erstes Paar Birkenstocks in Dunkelblau. Sie schienen mir der optimale Kompromiss zwischen meiner Barfußpassion und der gesellschaftlichen Erwartungshaltung, Schuhe zu tragen. Doch im Kopf blieb ich Barfußläufer und bedachte nicht die Unverträglichkeit des Leders mit Wasser. Ich bemerkte sie auch erst recht spät – durch die Frage anderer, wie ich mir denn die krassen dunkelblauen Flecken an den Füßen zugezogen hätte. Die Schuhe waren da schon in einem kaum gesellschaftsfähigen Zustand mehr, womit ich mich abgefunden habe – bei Regen oder nach einem Bad im See trage ich sie einfach weiter, und mit ihnen die schicken blauen Flecken an meinen Füßen. Sebastian Puschner

P

wie Punk-Song

Jeff wears Birkenstocks?, lautet der Titel eines Songs auf dem fünften Album Punk in Drublic der kalifornischen Punk-Band NOFX aus dem Jahr 1994. Die 1983 gegründete Combo um den Bassisten und Sänger Fat Mike, die erstaunlicherweise immer noch aktiv ist (dieses Jahr allerdings die Abschiedstournee absolviert), war damals auf dem Höhepunkt ihres Schaffens. Auch kommerziell war die Band zu der Zeit erfolgreich. In dem nicht mal eineinhalb Minuten langen Stück wird nicht viel mehr besungen als die Tatsache, dass Jeff Abarta, damals Produktmanager des Plattenlabels Epitaph, auf die in Punk-Kreisen offensichtlich einigermaßen verrückte Idee kam, tatsächlich täglich Sandalen von Birkenstock zu tragen, wie es in dem Song heißt: „He’s got a tye dyed Rancid shirt / Wears his Birkenstocks to work / Is he a jerk? No! Just confused / Jeff don’t wear regular shoes“ – „Nur gruselige Hippie-Leute machen so was! Punkrocker tragen Stiefel“, so Fat Mike. Ein Stil-Disput, der zum Glück keine weiteren Folgen hatte. Die beiden Punk-Veteranen sind bis heute enge Freunde geblieben. Marc Peschke

R

wie Rechts

Nein, wer Birkenstock kauft, unterstützt nicht die AfD. Und doch hält sich dieses Gerücht seit Jahrzehnten. Dabei konnte Die Zeit schon 1993 Entwarnung geben. Weder sei Franz Schönhuber, der 2005 verstorbene Mitbegründer der rechtsradikalen Republikaner, Teilhaber der Firma, noch habe man deren Wahlkampf mit 1,5 Millionen Mark unterstützt. Wo die urbane Legende ihren Ursprung hat, weiß keiner. Schon 1989 habe an der Uni Hannover eine Liste von Unternehmen kursiert, die angeblich mit der Rechten sympathisierten. Darunter auch Birkenstock. Der Reiz einer solchen Geschichte liegt nahe, eignet sie sich doch ausgezeichnet, um sich über „Ökos“ und ihr bevorzugtes Schuhwerk lustig zu machen. Das meinte 2016 auch die Jungle World und stimmte freudig mit ein. Schließlich handle es sich um das größte „Stilverbrechen der Achtziger“. Joachim Feldmann

W

wie Weihnachtsmarkt

Ich kenne einige Männer, die mit ihren Birkenstock-Sandalen quasi verschmolzen sind und fast jedes Jahr online das immer selbe Modell bestellen. Beliebt ist zum Beispiel der Klassiker Milano. Halten sich diese Männer im Sommer viel im Freien auf, sind sie über die verräterischen hellen und dunklen Streifen, die die Sonne auf dem Fußrücken hinterlässt, gut zu identifizieren. Im Winter ist unterdessen Birkenstock eher aus der Mode gekommen. Ganz anders noch in den 1980er-Jahren, als sich das vereinte Öko-Volk (→ Zielgruppe) etwa auf dem Tübinger Weihnachtsmarkt mit Sandalen oder → Clogs outete und in selbstverstrickter Wolle Socke zeigte, wenn auch keine rote. Trotz Sockenstrickwissens fand ich dieses modische Statement damals schon total spießig. Das wiederum hat sich ja auch, wie man heute weiß, bestätigt. Derzeit klopft Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer übrigens wieder bei der ehemaligen grünen Sockenfraktion an. Nur sagen die hellen und dunklen Streifen, gestrickt oder gebräunt, heutzutage gar nichts mehr über Gesinnung aus. Ulrike Baureithel

Z

wie Zielgruppe

Der Zielgruppenwechsel von Birkenstock erscheint revolutionär. Doch genau genommen wurde die Käufergruppe mit den Celebrities, die plötzlich auf Korkschlappen stehen, nur erweitert. Image ist eben alles und das spielte bei Birkenstock früh eine besondere Rolle. Denn den orthopädischen Gesundheitsschuh entdeckte die Hippie-Bewegung in den USA der 1960er für sich, weil er bequem war. Er stand für Luft- und Zehenfreiheit, während in Deutschland vor allem Gesundheitsberufe und dann die Friedensbewegung ihn trugen. Sich selbst als Antihelden inszenierende Köpfe wie der einstige Apple-Chef Steve Jobs liebten Birkenstock fürs Anti-Image. Sie halfen bei der Zielgruppenerweiterung. Korklatschen taugten zum Stilbruch auf dem Laufsteg, mit Glitzer schlugen sie bei Beyoncé, Heidi Klum und Jake Gyllenhaal als Kult ein. Tobias Prüwer