Jenoptik: Ein Vorzeigeunternehmen aus Thüringen wird kopflos

Der Technologiekonzern Jenoptik ist ein Thüringer Vorzeigeunternehmen. Der Photonik-Spezialist, der 1991 aus Teilen des ehemaligen Kombinats Carl Zeiss Jena entstanden ist, gilt heute als eine der größten Erfolgsgeschichten von Hochtechnologie mit DDR-Historie nach der Wende. Das Land Thüringen, das bis zum Börsengang 1998 alleiniger Gesellschafter von Jenoptik war, ist mit einer Beteiligung von elf Prozent größter Aktionär des Unternehmens. Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) hält ohnehin große Stücke auf den Konzern.
„Wenn Thüringen in Israel über Hochtechnologie, Präzision und Verlässlichkeit spricht, dann ist Jenoptik unser wichtigstes Aushängeschild“, sagte Voigt vor wenigen Tagen im Rahmen einer Reise mit einer Wirtschaftsdelegation nach Israel. Das Unternehmen zeige, dass Spitzenforschung, industrielle Stärke und Weltoffenheit im Osten Deutschlands Hand in Hand gehen, sagte Voigt und lobte Stefan Traeger, den langjährigen Vorstandschef von Jenoptik.
„Er steht für eine erfolgreiche Wachstumsstrategie, die Thüringer Kompetenz in die Welt trägt und gleichzeitig Arbeitsplätze, Innovation und Investitionen im Land sichert“, sagte der Ministerpräsident über den Manager, der seine Laufbahn als Hilfsarbeiter bei Carl Zeiss in Jena startete, bevor er nach Physikstudium, Promotion und Studienaufenthalt im Silicon Valley nach Thüringen zurückkehrte. Vor dem Hintergrund des geplanten Abschieds des langjährigen Aufsichtsratsvorsitzenden Matthias Wierlacher sei Traeger ein Garant für Stabilität und Zukunftsfähigkeit, sagte Voigt.
Vorstandsspitze und Aufsichtsratsvorsitz sind verwaist
Knapp drei Wochen später steht Jenoptik de facto ohne Vorstandsvorsitzenden und ohne Aufsichtsratschef da. In der vergangenen Woche teilte das Unternehmen mit, dass Vorstandschef Stefan Traeger Jenoptik „im gegenseitigen Einvernehmen“ Mitte Februar 2026 und damit fast zweieinhalb Jahre vor Ablauf seines Vertrags verlassen werde. Die Nachfolge ist noch nicht geklärt. „Hier steigen wir in einen strukturierten Prozess ein“, erklärte der Aufsichtsratsvorsitzende Matthias Wierlacher.
Er wird diesen Prozess allerdings nicht mehr zu Ende führen. Denn am Montag teilte Jenoptik mit, dass Wierlacher dem Unternehmen mitgeteilt habe, sein Mandat in dem Kontrollgremium zum 29. Dezember 2025 zurückzugeben. Eigentlich sollte er sein Amt bis zum Ende der nächsten Aktionärsversammlung ausüben.
Wierlacher wurde 2012 in den Aufsichtsrat von Jenoptik berufen, nachdem das Land Thüringen, das sich 2007 von seiner Beteiligung an dem Unternehmen getrennt hatte, neuerlich in den Aktionärskreis eingestiegen war. Er war 2015 an die Spitze des Gremiums gerückt, nachdem der damalige Hauptaktionär von Jenoptik, die österreichische ECE mit der Unternehmerfamilie Humer im Hintergrund, seine Anteile abgestoßen hatte und Rudolf Humer als Aufsichtsratsvorsitzender ausgeschieden war.
Ministerpräsident sieht Erklärungsbedarf
Jenoptik hüllt sich zum vorzeitigen Abschied von Stefan Traeger in Schweigen. Bei der Thüringer Aufbaubank, die über eine Tochtergesellschaft die Beteiligung des Landes Thüringen an Jenoptik verwaltet und die seit 2002 von Matthias Wierlacher geführt wird, kommentiert man seinen Rücktritt aus dem Aufsichtsrat von Jenoptik nicht. An der Spitze der Thüringer Aufbaubank ändere sich nichts, heißt es auf Anfrage. Der Vertrag von Wierlacher als Vorstandsvorsitzender des zentralen Förderinstituts des Freistaats Thüringen wurde zuletzt 2021 um weitere fünf Jahre bis Ende Januar 2027 verlängert.
In seiner Funktion als Aufsichtsratsvorsitzender von Jenoptik dürfte sich Wierlacher bei seinem Dienstherrn in der Staatskanzlei in Erfurt in den vergangenen Tagen allerdings nicht beliebter gemacht haben. Ministerpräsident Mario Voigt reagierte jedenfalls verstimmt auf den vorzeitigen Abschied von Stefan Traeger als Vorstandschef von Jenoptik. „Der Schritt ist höchst erklärungsbedürftig. Der Aufsichtsrat wird sich dazu Fragen gefallen lassen müssen“, sagte Voigt in der vergangenen Woche.
Eine Anfrage bei der Staatskanzlei in Erfurt zum vorzeitigen Rücktritt von Wierlacher als Aufsichtsratschef von Jenoptik blieb zunächst ebenso unbeantwortet wie auch eine Bitte um Stellungnahme an das Thüringer Wirtschaftsministerium. Am Montag tagte der Verwaltungsrat der Thüringer Aufbaubank, in dem die Thüringer Wirtschaftsministerin Colette Boos-John (CDU) den Vorsitz hat. Dabei habe es sich um eine seit Längerem geplante ordentliche Sitzung des Gremiums gehandelt, erklärte ein Sprecher der Thüringer Aufbaubank auf Anfrage.
Institutionelle Investoren bauen Positionen aus
Marktbeobachter ziehen derweil ihre eigenen Schlüsse. Dass Traeger trotz eines Vertrags bis Mitte 2028 schon im Februar 2026 gehe, deute auf Differenzen über die strategische Ausrichtung hin, schrieben Analysten in ihren ersten Reaktionen. Die meisten Beobachter des Unternehmens empfehlen die Aktie weiterhin zum Kauf. Nach der Ankündigung des vorzeitigen Abschieds von Traeger zeigte das Papier zunächst eine leicht positive Reaktion.
Sind es unerfüllte Renditeforderungen von institutionellen Investoren, die Traeger nach neun Jahren an der Konzernspitze sein Amt gekostet haben, wie in den vergangenen Tagen spekuliert wurde? Große institutionelle Adressen wie Amundi, Blackrock und DWS haben zuletzt ihre Positionen bei dem S-Dax-Konzern jeweils auf mehr als drei Prozent ausgebaut, wie aus den jüngsten Stimmrechtsmeldungen hervorgeht. Die Ausschüttungssumme an die Aktionäre ist bei Jenoptik in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, die Ausschüttungsquote, gemessen an dem auf die Aktionäre entfallenden Jahresergebnis, ist in den vergangenen zwei Jahren aber gesunken.
Investoren dürften auch die Chancen von Jenoptik im Geschäft mit der Halbleiterindustrie im Auge haben. In den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres hat der Konzern hier trotz KI-Boom Rückschläge verzeichnet. Der Umsatz rutschte hier bis Ende September um 15 Prozent auf 315 Millionen Euro ab, während der Konzernumsatz in den ersten neun Monaten mit 753 Millionen Euro knapp acht Prozent unter dem Vergleichszeitraum lag. „Es bestehen weiterhin hohe Unsicherheiten, unter anderem in Bezug auf den Zeitpunkt und den Umfang des erwarteten Nachfrageanstiegs“, sagte Traeger bei der Vorstellung der Quartalszahlen Mitte November.
Den zweiten Abschied von der Unternehmensspitze innerhalb einer Woche quittierte die Börse zum Wochenauftakt mit Kursverlusten. Seit Jahresbeginn hat der Titel fast ein Fünftel seines Börsenwerts eingebüßt. Die Marktkapitalisierung des S-Dax-Konzerns liegt knapp oberhalb von einer Milliarde Euro.