Jeffrey Sachs: Die neue US-Sicherheitsstrategie ist arrogant und tyrannisch

Die kürzlich von Präsident Donald Trump veröffentlichte Nationale Sicherheitsstrategie (NSS) präsentiert sich als Blaupause für eine erneuerte Stärke Amerikas. Sie ist aber in vier Punkten gefährlich falsch konzipiert. Sie enthält zwar die Einsicht, dass die USA nicht weiterhin die ganze Welt dominieren können. Aber sie skizziert einen Umgang mit der amerikanischen Einflussphäre und internationalen Institutionen, die den Vereinigten Staaten nicht nützen werden, weil sie den „Rest der Welt“ von Washington zu entfremden geeignet sind.

Festmachen lässt sich diese Analyse an vier Punkten, die hier zunächst dargelegt werden:

  • Erstens basiert das Papier auf einer grandiosen Vorstellung: dem Glauben, dass die Vereinigten Staaten in allen wichtigen Machtbereichen eine unangefochtene Vormachtstellung genießen.
  • Zweitens geht es von einer machiavellistischen Weltanschauung aus, die andere Nationen als Instrumente betrachtet, die zum Vorteil der USA manipuliert werden können.
  • Drittens beruht es auf einem naiven Nationalismus, der internationales Recht und internationale Institutionen als Hindernisse für die Souveränität der USA abtut, anstatt sie als Rahmenbedingungen zu betrachten, die die Sicherheit der USA und der Welt insgesamt verbessern.
  • Und viertens unterfüttert das Papier die Rücksichtslosigkeit, mit der US-Präsident Donald Trump Dienste wie die CIA und das Militär bereits einzusetzen begonnen hat. Nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der NSS beschlagnahmten die USA dreist einen Tanker mit venezolanischem Öl auf hoher See – mit der fadenscheinigen Begründung, dass das Schiff zuvor gegen US-Sanktionen gegen Iran verstoßen habe.

Tanker-Piraterie: Die Umsetzung hat schon begonnen

Das war keine Verteidigungsmaßnahme gegen eine unmittelbare Bedrohung. Es ist nicht im Entferntesten legal, Schiffe auf hoher See aufgrund einseitiger US-Sanktionen zu beschlagnahmen. Nur der UN-Sicherheitsrat hat diese Befugnis. Es handelt sich hier um eine illegale Aktion, die darauf abzielt, einen Regimewechsel in Venezuela zu erzwingen. Sie folgt auf Trumps Erklärung, dass er die CIA angewiesen hat, verdeckte Operationen in Venezuela durchzuführen, um das Regime zu destabilisieren.

Die Sicherheit Amerikas wird aber nicht dadurch gestärkt, dass man sich wie ein Tyrann verhält. Sie wird dadurch geschwächt – strukturell, moralisch und strategisch. Eine Großmacht, die ihre Verbündeten einschüchtert, ihre Nachbarn unter Druck setzt und internationale Regeln missachtet, isoliert sich letztendlich selbst.

Mit anderen Worten: Die NSS ist nicht nur eine Übung in Überheblichkeit auf dem Papier. Sie wird rasch in dreiste Praxis umgesetzt.

Eine Einsicht: Washington kann nicht die ganze Welt dominieren

Fairerweise muss man sagen, dass die NSS Momente längst überfälligen Realismus enthält. Sie räumt implizit ein, dass die Vereinigten Staaten nicht versuchen können und sollten, die ganze Welt zu dominieren. Und sie erkennt zu Recht, dass einige Verbündete Washington in kostspielige Kriege hineingezogen haben, die nicht im wahren Interesse Amerikas lagen. Sie distanziert sich auch – zumindest rhetorisch – von einem alles verschlingenden Kreuzzug der Großmacht. Die Strategie lehnt die Fantasie ab, dass die Vereinigten Staaten eine universelle politische Ordnung durchsetzen können oder sollten.

Aber die Bescheidenheit ist nur von kurzer Dauer. Die NSS bekräftigt schnell, dass Amerika über die „größte und innovativste Wirtschaft der Welt“, „das weltweit führende Finanzsystem“ und „den fortschrittlichsten und profitabelsten Technologiesektor der Welt“ verfügt, die alle durch „die mächtigste und fähigste Militärmacht der Welt“ unterstützt werden.

Diese Behauptungen dienen nicht nur als patriotische Bekenntnisse, sondern auch als Rechtfertigung dafür, die amerikanische Vorherrschaft zu nutzen, um anderen Bedingungen aufzuzwingen. Kleinere Länder werden offenbar die Hauptlast dieser Hybris zu tragen haben, da die USA die anderen Großmächte nicht besiegen können, nicht zuletzt weil diese über Atomwaffen verfügen.

Imperialer Klartext: Was die USA tun, dient stets zuerst ihrer Macht

Die grandiose Geste dieser Ausführungen ist mit einem nackten Machiavellismus verbunden. Die Frage, die sie stellt, lautet nicht, wie die USA und andere Länder zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeiten können, sondern wie der amerikanische Einfluss – auf Märkte, Finanzen, Technologie und Sicherheit – genutzt werden kann, um anderen Ländern maximale Zugeständnisse abzuringen.

Am deutlichsten wird dies in dem Abschnitt des Papiers, der sich mit dem Dogma der „Westlichen Hemisphäre“ befasst. Hier wird eine „Trump-Folgerung“ aus der Monroe-Doktrin entworfen: Die Vereinigten Staaten werden sicherstellen, dass Lateinamerika „frei von feindlichen ausländischen Übergriffen oder dem Besitz wichtiger Vermögenswerte bleibt“. Allianzen und Hilfen werden an die Bedingung geknüpft, dass „feindliche Einflüsse von außen abgebaut werden“. Dieser „Einfluss“ bezieht sich eindeutig auf chinesische Investitionen, Infrastruktur und Kredite.

Die NSS ist hier sehr schroff: Der Umgang der Vereinigten Staaten mit Ländern, „die am stärksten von uns abhängig sind und über die wir daher den größten Einfluss haben“, müsse zu Alleinvertragsrechten für amerikanische Unternehmen führen. Die US-Politik sollte „alle Anstrengungen unternehmen, um ausländische Unternehmen zu verdrängen“. Die Infrastruktur in der Region müsse entsprechend ausgerichtet werden. Und die USA sollten Institutionen wie die Weltbank so umgestalten, dass sie „amerikanischen Interessen dienen“.

Drohkulisse: Lateinamerika soll wieder gehorchen

Besonders lateinamerikanischen Staaten, von denen viele umfangreiche Handelsbeziehungen sowohl zu den Vereinigten Staaten als auch zu China unterhalten, wird damit praktisch gesagt: Ihr müsst mit uns Geschäfte machen, nicht mit China – oder ihr müsst mit Konsequenzen rechnen.

Eine solche Strategie ist strategisch naiv. China ist der wichtigste Handelspartner für den größten Teil der Welt, darunter auch viele Länder jener „Westlichen Hemisphäre“. Die USA werden nicht in der Lage sein, lateinamerikanische Länder zur Ausbootung chinesischer Unternehmen zu zwingen.

Schon entsprechende Versuche werden aber der US-Diplomatie schweren Schaden zufügen. Binnen weniger Monate haben sie es geschafft, selbst enge Verbündete zu alarmieren. Die NSS verkündet zwar eine Doktrin der „Souveränität und des Respekts“, doch ihr Verhalten hat dieses Prinzip bereits auf die Souveränität der USA reduziert, der sich die anderen beugen sollen. Das gilt mittlerweile nicht nur für kleine Staaten in Lateinamerika, sondern auch für europäische Partner.

Die Causa Grönland: Selbst enge Verbündete sehen sich bedroht

Es ist in diesem Sinn bemerkenswert, dass Dänemark – einer der loyalsten NATO-Partner Amerikas – die Vereinigten Staaten offen als potenzielle Bedrohung für seine eigene nationale Sicherheit eingestuft hat. Dänische Verteidigungsplaner haben öffentlich erklärt, dass unter Trump nicht davon ausgegangen werden kann, dass Washington die Souveränität des Königreichs Dänemark über Grönland respektiert. Man müsse auf Versuche der USA vorbereitet sein, die arktische Insel zu übernehmen.

Dies ist in mehrfacher Hinsicht erstaunlich. Grönland beherbergt bereits die US-Luftwaffenbasis Thule und ist fest in das westliche Sicherheitssystem eingebunden. Dänemark ist weder antiamerikanisch, noch provoziert es Washington in irgendeiner Weise. Es reagiert lediglich rational auf eine Welt, in der die USA begonnen haben, sich unvorhersehbar zu verhalten – auch gegenüber vermeintlichen Freunden.

Neuausrichtung: Druck auf die Kleinen, nicht auf die Großen

Dass Dänemark sich gezwungen sieht, Verteidigungsmaßnahmen gegen die USA in Betracht zu ziehen, zeigt eins: Die US-geführte Sicherheitsarchitektur erodiert von innen. Wenn sogar Dänemark glaubt, sich gegen die Vereinigten Staaten absichern zu müssen, geht es nicht mehr nur um die Verwundbarkeit Lateinamerikas. Es besteht eine systemische Vertrauenskrise unter Nationen, die die USA einst als Garanten der Stabilität sahen, sie nun aber als möglichen oder gar wahrscheinlichen Aggressor betrachten müssen.

Kurz gesagt: Die NSS scheint die Energie, die zuvor für die Konfrontation der Großmächte aufgewendet wurde, nun in die Schikanierung kleinerer Staaten zu lenken. Auch wenn Amerika etwas weniger geneigt zu sein scheint, Billionen-Dollar-Kriege im Ausland zu führen, neigt es doch eher dazu, Sanktionen, finanzielle Zwangsmaßnahmen, Beschlagnahmungen von Vermögenswerten und Diebstahl auf hoher See als Waffen einzusetzen.

Am deutlichsten wird der Charakter dieses Papiers anhand dessen, was in ihr fehlt: Die Idee der amerikanischen Sicherheit wird einer jeden Verpflichtung auf Internationales Recht entkleidet, das Prinzip der Gegenseitigkeit sucht man so vergeblich wie eine Idee grundlegenden Anstands.

Internationale Institutionen, Global Governance? Alles nur Bremsklötze

Die NSS betrachtet globale Governance-Strukturen grundsätzlich nur noch als Hindernisse für das Handeln der USA. Sie lehnt die Zusammenarbeit im Klimabereich als „Ideologie“ und laut Donald Trumps jüngster Rede vor den Vereinten Nationen sogar als „Schwindel“ ab. Sie entwertet die UN-Charta, sie betrachtet auch internationale Institutionen in erster Linie als Instrumente, die den amerikanischen Präferenzen zu unterwerfen seien.

Dabei sind es gerade rechtliche Rahmenbedingungen, Verträge und vorhersehbare Regeln, die die amerikanischen Interessen historisch geschützt haben. Die Gründer der Vereinigten Staaten haben das klar erkannt. Nach dem Unabhängigkeitskrieg verabschiedeten dreizehn neue souveräne Staaten eine Verfassung, um wichtige Befugnisse – in den Bereichen Besteuerung, Verteidigung und Diplomatie – zu bündeln. Es ging nicht um eine Schwächung der Souveränität dieser neuen Staaten, sondern um deren Absicherung durch die Schaffung einer Bundesregierung. Die Außenpolitik der Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg tat das durch die UNO, die Bretton-Woods-Institutionen, die Welthandelsorganisation und Rüstungskontrollabkommen in einer ähnlichen Weise.

Die NSS von Trump kehrt diese Logik nun glatt um. Als das Wesen der Souveränität betrachtet sie die Freiheit, andere zu zwingen. Die Beschlagnahmung jenes venezolanischen Tankers und die Ängste Dänemarks sind konkreter Ausdruck dieser neuen Politik.

Ausblick: Hybris und Arroganz werden auf die USA zurückfallen

Eine solche Hybris wird auf Dauer nicht fruchten, sondern auf die USA zurückfallen. Es drängt sich eine Parallele aus der Antike auf: Der griechische Historiker Thukydides berichtet, wie das imperiale Athen 416 v. Chr. der kleinen Insel Melos gegenübertrat: „Die Starken tun, was sie können, und die Schwachen leiden, was sie müssen.“ Doch diese Überheblichkeit trug letztlich zu Athens Untergang bei, weil es die Entstehung eines feindlichen Bündnisses förderte. Zwölf Jahre später, im Jahr 404 v. Chr., fiel Athen an Sparta.

Die Nationale Sicherheitsstrategie 2025 spricht in einem ähnlich arroganten Tonfall. Es handelt sich um eine Doktrin der Macht über das Recht, der Zwangsausübung über die Zustimmung und der Dominanz über die Diplomatie. Die Sicherheit Amerikas wird durch dieses tyrannische Auftreten nicht gestärkt, sondern geschwächt – strukturell, moralisch und strategisch. Eine Großmacht, die ihre Verbündeten einschüchtert, ihre Nachbarn unter Druck setzt und internationale Regeln missachtet, isoliert sich letztendlich selbst.

Eine gutartige, gelingende Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten sollte auf ganz anderen Prämissen beruhen. Auf der Akzeptanz einer pluralistischen Welt, auf der Erkenntnis, dass Souveränität durch das Völkerrecht gestärkt und nicht geschwächt wird. Und auf der Einsicht, dass globale Zusammenarbeit in den Bereichen Klima, Gesundheit und Technologie unverzichtbar ist. Denn der globale Einfluss der USA ist größer, wenn er mehr auf Überzeugungskraft basiert als auf nacktem Zwang.

Jeffrey Sachs ist Direktor des Earth Institute an der Columbia University

Der Text erschien zuerst auf der Plattform Common Dreams. Übersetzung und Redaktion: Velten Schäfer