Jan Böhmermann kontert Wolfram Weimer mit dem ehrlichsten Satz des Abends

Drei Erkenntnisse aus dem Abend:

Nur weil zwei miteinander sprechen, heißt das nicht, dass sie miteinander im Gespräch sind. Vor allem dann, wenn es um Antisemitismus geht.

Zweitens: Auch in erweiterten Meinungskorridoren kann man im Kreis laufen. Vor allem dann, wenn es um Antisemitismus geht.

Drittens: So wie der Abend anfängt, so endet er auch. Dabei geht es nicht einmal um Antisemitismus.

Aber von vorn: Ursprünglich wollten sich ein Satiriker und ein Politiker wohl gemütlich und spitz darüber unterhalten, wie Big Tech die Errungenschaften der westlichen Zivilisation abschafft. „Technik killt Kultur?“, lautete der ursprüngliche Titel des Abends. Etwas vage feuilletonistisch, passend zum Motto der Reihe „Die Möglichkeit der Unvernunft“ im Haus der Kulturen der Welt (HKW) in Berlin, das noch bis Mitte Oktober von Jan Böhmermann und seiner ZDF-Magazin Royale-Crew mit einer Ausstellung und verschiedenen Events bespielt wird.

Doch es kam anders.

Jan Böhmermann ganz kleinlaut

Eine Viertelstunde später als angekündigt beginnt das Streitgespräch. Beherzt und souverän führt die Journalistin Eva Schulz durch den Abend, entschuldigt sich vorab für den verspäteten Beginn (dazu später mehr) und greift sogleich den Fall Chefket auf. Jan Böhmermann erzählt kleinlaut, dass er und sein Team bei der Planung des Abends „völlig unvernünftig an diesen Abend rangegangen seien“. Das T-Shirt sei „problematisch“, aber der „Künstler über jeden Zweifel erhaben“, wird er später noch anmerken.

Für den 7. Oktober, den zweiten Jahrestag des Hamas-Angriffs auf Israel, hatte die Böhmermannsche Planung ein Konzert mit dem Rapper Chefket und weiteren Rapgrößen wie Ebow eingeplant. Dann wurde Chefket wieder ausgeladen. Warum? Nachdem das rechtspopulistische Hetzportal Nius Chefket in einem Fußballtrikot von „FC Palestine“ auf Instagram entdeckt hatte – Stein des Anstoßes war die Trikotnummer 11 mit angedeuteten Umrissen des ehemaligen Mandatsgebiets Palästina in arabischer Kalligrafie –, zogen auch andere Medien nach.

Daraufhin erwog Wolfram Weimer, seines Zeichens Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien Ende September ein öffentliches Statement an die Intendanz des HKW, dessen Aufsichtsrat er vorsitzt, zu versenden. Den Auftritt des Künstlers am 7. Oktober empfinde er „als Provokation“, weil der Künstler „antisemitische Inhalte (sic!)“ verbreite, schrieb Weimer. Am Ende entschied die Crew um Jan Böhmermann, das Konzert abzusagen. Weitere Künstler*innen solidarisierten sich mit Chefket, mittlerweile haben alle Musikacts abgesagt.

Was sagt eigentlich der Künstler Chefket selbst dazu?

Alle reden über Chefket, nur der ist nicht da

Der Rapper hat sich bisher nicht öffentlich geäußert. Allein ein Konzertmitschnitt aus Hamburg zeigte ihn kurz nach der Absage auf Instagram, wo er sich gegen Rassismus und Antisemitismus positioniert. Fast hätte man an diesem Abend mit einer Live-Schalte zu Chefket gerechnet, um den ganzen Wust an Antisemitismusvorwürfen ein für alle Mal aufzuklären. Aber das war wohl doch zu heikel für diesen „therapeutischen Abend“, wie ihn Böhmermann nennt, wo die Grenzen der Kunst und Politik ausgelotet werden sollten und sogar nach Gemeinsamkeiten gesucht wurde.

In der Frage der Gefährlichkeit von Google waren Böhmermann und Weimer sich im Laufe des Gesprächs seltsam einig, aber auch in der Frage, dass die Zustimmungszahlen für die AfD 2029 auf neun Prozent sinken werden. (Nur wie, das wurde in diesem leider Gespräch ausgespart.)

Fast zwei Drittel des Abends werden von der Ausladung des Künstlers Chefket dominiert. Immer wieder kreist das Gespräch darum, dass die beiden sich, was Antisemitismus betrifft, doch einig seien. „Zwischen uns passt keine Welt am Sonntag“ wird Böhmermann belustigt sagen, was ihre Positionen diesbezüglich betreffe. Aber trotzdem wirft er dann noch ein, „damit keine falsche Einigkeit auf der Bühne entsteht“: Menschlichkeit und Pietät hätten es geboten, dass an diesem Abend kein Konzert stattfindet.

Soll heißen: Die Absage folgte einem berechtigten Einwurf von jüdischer Seite. Nur wird der Satiriker sich später ein wenig bemitleiden, dass er eine harte Woche hinter sich gehabt habe. Dass er sich nicht positioniere, sei „eine taktische oder strategische Entscheidung“. Dass am Künstler der Antisemitismusvorwurf kleben bleiben wird, dazu kein Wort.

Die Erfahrung mit der Documenta

„Laden Sie ihn doch in Ihre Sendung ein“, wird der ehemalige Journalist und Cicero-Gründer Weimer später Böhmermann süffisant vorschlagen. Ungewöhnlich sei aber, so Böhmermann, dass ein Politiker den Zeigefinger erhebe und sich per offenem Brief, der durch die Nachrichtenagentur dpa den Weg ins HKW fand, in die künstlerische Freiheit des HKW und der Kuration einmische.

Worauf Weimer nicht eingeht. Er spricht von jüdischen Kindern, die seit dem 7. Oktober Angst hätten, in die Schule zu gehen, weil sie bespuckt würden. Dazu fügt er das Beispiel des israelischen Dirigenten Lahav Shani an, der neben seiner Tätigkeit als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker auch als Musikdirektor des Israel Philharmonic Orchestra fungiert, und Mitte September von einem Konzert in Belgien ausgeladen wurde. Gleich darauf wirft er noch die „Erfahrung mit der Documenta“ ein.

„Sie hätten auch anrufen können“, entgegnet Böhmermann

Böhmermann entgegnet, dass er sich wundere, dass Weimer hier eine Verbindung zwischen all diesen Fällen herstelle. Weimer habe mit dem offenen Brief an das HKW ja nur darauf hinweisen wollen, „dass hier nichts entgleist“. Böhmermanns Antwort: „Sie hätten auch anrufen können.“ Warum er das nicht getan hat, lässt Weimer offen.

Als Kulturminister schrieb Weimer im Juni einen Gastbeitrag für die SZ mit dem Titel „Verteidigt die Freiheit“ über linke Cancel Culture. Die liberale Antwort auf diese Entwicklung laute, „keinen politischen Einfluss zu nehmen, sondern, ganz im Gegenteil, die Freiheit der Kunst zu verteidigen. Die Korridore des Sagbaren, Erkundbaren und Darstellbaren möglichst weiten, anstatt sie zu verengen.“

Immer wieder wird Böhmermann auf diese Korridore rekurrieren. Auch er wolle Räume für Begegnungen schaffen. Aber beide Männer reden aneinander vorbei: Was Böhmermann mit „Freiheit der Kunst“ und der Einmischung durch die Politik meint, ist für Weimer eine politisierte Kunst, die Böhmermann in seinen Sendungen betreibe. Das Publikum lacht erschüttert.

Räume, Korridore, Monologe

Kurz kommt es zu einem interessanten Wortwechsel.

Böhmermann: Sie haben die Macht, ich nicht.

Weimer: Nein, Sie haben die Macht.

Böhmermann kontert mit dem ehrlichsten Satz des Abends: Sie haben die Macht, den Intendanten des HKW zu entlassen, ich nicht.

Weimer redet dann minutenlang von „Zwangsgebühr“

Der Raum oder der Korridor werden an diesem Abend kaum geweitet. Nein, beim Thema Zwangsgebühr lässt Weimer sich zu einem minutenlangen Monolog hinreißen, dass man sein Netflix-Abo doch kündigen könne, aber nicht ARD und ZDF. Die verläuft im Kreis, bis sich die beiden gegenseitig als Sprachpolizei bezeichnen und Weimer irgendwann Böhmermann als Bertolt Brecht ausmacht und sich selbst als Thomas Mann. So weit, so albern.

Nach knapp zwei Stunden ist alles vorbei. Etwa tausend Menschen drängeln knapp eine halbe Stunde lang an der überlasteten Garderobe, weil vorab alle ihre Jacken, Taschen und Handys abgeben mussten. Unentspannt, wie es angefangen hat, endet es also auch. Teils sind es ratlose Gesichter, teils belustigte, die sich nach der Veranstaltung in den Schlangen begegnen. „Und dafür 15 Euro Eintritt?“, ruft ein Besucher beim Hinaustreten in die Berliner Luft. Vielleicht ist dieser Abend wirklich so überflüssig wie die Flughafen-Sicherheitskontrollen am Eingang des ausverkauften Saals.

Alles in allem ein irritierend metadiskursiver Abend.