It-Schnitt | Revolution, Religion und Rockmusiker: Zehn Fakten jenseits den Pony
A
wie Anti
Der Ulrike-Meinhof-Pony war jahrelang Synonym für Revolutions-Chic, für jene, die irgendwie dagegen waren, wenn auch nicht wirklich auf der Barrikade. Jetzt hat der Schnitt eine neue Ikone, zumindest in den sozialen Medien. Auf Instagram chatten Nachahmerinnen der Heidi-Reichinnek-Frisur, auch wenn die Linke gegen frühere RAF-Ladys fast bieder wirkt. Einmal, ich hatte sämtliche Bücher und Briefe Meinhofs verschlungen, schnitt ich mir die Anti-Establishment-Fransen selbst, kreuz und quer. So cool (→ Louise Brooks) wie die Meinhof wurde ich natürlich nie, geschweige denn so radikal. Es war die Zeit, als am 1. Mai der Prenzlauer Berg nach Tränengas roch. Wir wussten damals nicht genau, wogegen wir waren, auf alle Fälle nicht dafür. Springer hat da gefestigtere Feindbilder, je größer die Krise, desto kürzer die Frise. Linke/Feministinnen tragen „Problempony“ (Welt), der schnell zum „ideologischen Helm“ mutiert. Der Pony stammt übrigens tatsächlich von der Mähne des Ponys ab. Maxi Leinkauf
B
wie Bauhaus
Das Bauhaus war Avantgarde, nicht nur auf dem Gebiet der Kunst. Seit seinen Anfängen definierte sich das Bauhaus über den Begriff der „Funktionalität“. Strenge, kubische Formen und Primärfarben bestimmten Gebrauchsgüter genauso wie die Architektur – doch welchen Einfluss hatte die Kunstschule eigentlich auf die Frisuren der Zeit? Die avancierte Frisur der Bauhaus-Zeit war der „Bubikopf“ (→ Rolling Stones). Der strenge Kurzhaarschnitt für Frauen, der in den 1920ern erfunden wurde, ein Look mit Linien und Kanten, war am Bauhaus Pflicht. Fast alle Frauen am Bauhaus, darunter Gunta Stölzl und Marianne Brandt, trugen diesen androgynen Schnitt, der nur wenige Jahre später den Nazis so verhasst war: „Arisch ist der Zopf, jüdisch ist der Bubikopf“, tönte es bald – und der Deutsche Turnerbund schloss Frauen mit Bubikopf vom Sport aus. Marc Peschke
C
wie Cäsarenschnitt
Augustus, Caligula, Nero, Tiberius – fast alle antiken römischen Kaiser (Cäsaren) trugen eine Frisur, die nach ihnen benannt wurde: den Cäsarenschnitt. Das kurze und schnurgerade abgeschnittene Stirnhaar blieb über die Zeiten bei Machtmännern aller Couleur beliebt. Napoleon Bonaparte zeigte mit ihm zeitweise seinen Affront gegen die barocke Perückenkultur. Und sich selbst als Begründer einer Machtideologie, die an der römischen Kaiserzeit orientiert war und heute „Bonapartismus“ genannt wird. Trump zugeneigte Tech-Kapital-Bonapartisten wie Mark Zuckerberg hatten ihre Cäsarenschnitt-Phase. Der kaiserliche Pony war aber auch mal subkulturell aufmüpfig konnotiert. Künstler wie Gerhard Marcks und existenzialistische Studis um 1960 trugen ihn. Dann wuchs er sich zum Pilzkopf aus. Die Bonapartisten von heute behalten die Oberhand. Da können Cäsarenschnitt tragende Klassenkampf-Shouter wie Frontmann Jason Williamson von Sleaford Mods noch so sehr gegen anbrüllen. Michael Suckow
F
wie Five Point Cut
Welch ein Leben. 1928 als sephardischer Jude in London in großer Armut geboren, im Friseursalon gejobbt, um Geld zu verdienen, gegen den Faschismus und 1948 im israelischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft – und dann den stilbildenden Haarschnitt der 1960er Jahre an der Minirock-Revolutionärin (→ Anti) Mary Quantetabliert. Vidal Sassoons geometrischer „Five Point Cut“ wird den Gesichtsformen und -proportionen angepasst, die Augen des britischen Sixties-Supermodels Peggy Moffitt ließ er wie zwei Scheinwerfer unter einem glänzend-glatten, extralangen Pony hervorstrahlen, Mary Quant trug den Schnitt bis zu ihrem Tod. Aber um eine Legende auszuräumen: Mia Farrows Pixie in Rosemary’s Baby hat Vidal Sassoon nicht zu verantworten – sie schnitt sich das Haar selbst, er trimmte nur die Spitzen für ein publikumswirksames Foto. Jenni Zylka
H
wie Hime
Die Popularität von japanischen Animes brachte den Hime-Haarschnitt auch nach Europa: Neben einem Pony zeichnet er sich durch die breiten, ganz gerade geschnittenen, etwa kinnlangen Strähnen zwischen Schläfen und Ohren aus. Soll der Schnitt seine Form behalten und nicht ausfransen, muss täglich ordentlich in Form geglättet und regelmäßig nachgeschnitten werden, damit bloß nichts unregelmäßig aussieht. Seinen Ursprung hat der Haarschnitt in der Heian-Zeit, dem späten achten bis zwölften Jahrhundert, als adligen Frauen zeremoniell zu ihrem 16. Geburtstag die Haare um die Ohren herum kürzer geschnitten wurden, während der Rest lang blieb. Daher auch der Name, der dem Haarschnitt später gegeben wurde: „Hime“ bedeutet „Prinzessin Auch heute noch ist der Schnitt in Japan beliebt, besonders unter jungen Mädchen und Frauen, mit immer neuen modischen Updates: kürzere oder längere Strähnen, nicht mehr ganz so gerade geschnitten oder Ponys, die sich leicht zur Seite abrunden. Alina Saha
K
wie Keta
Das Glück der Erde liegt im Betäubungsmittel der Pferde – so glorifizieren Konsumenten das Narkosemittel Ketamin, meist Keta genannt, das längst Partydroge geworden ist. In der Tiermedizin werden Ponys mit Keta sediert. Seit einigen Jahren gibt es auch den „Keta-Pony“ als Frisur. Er ist kurz geschnitten, entblößt eine hohe Stirn und wird oft mit rasierten Seiten kombiniert. Und warum heißt dieser stillose Haarschnitt wie die Droge? Die naheliegende These: Träger dieses Ponys sind Menschen, die besonders häufig Keta konsumieren. Dabei wird die Frisur mit spießigen, politisch überkorrekten Personen assoziiert. Menschen, von denen man keinen lockeren Drogenumgang erwartet (→ Tonsur). Ob jemand mit Keta-Pony nervig oder cool ist, lässt sich nicht sagen, aber fragen Sie doch mal jemanden mit der Frisur, ob er oder sie etwas Keta für Sie hat. Mathis Sieblist
L
wie Louise Brooks
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts befanden sich junge Frauen in den USA an vorderster Front des neuen Modernismus. Viele von ihnen strömten damals in die Großstädte, wo sie Arbeit als Journalistinnen, Verkäuferinnen, Kellnerinnen oder Sekretärinnen fanden. Flapper nannte man diese Frauen, die sich ganz selbstverständlich schminkten, hochprozentigen Alkohol tranken und rauchten. Vorbild der vermeintlich flatterhaften Wesen war die Schauspielerin Louise Brooks. Bubikopf (→ Bauhaus) nannte man ihre Frisur in den 1920er Jahren, doch im Prinzip ist es ein Vorläufer des Bobs, mit messerscharf geschnittenem Pony. In G. W. Pabsts Verfilmung von Wedekinds skandalträchtigem Bühnenstück Die Büchse der Pandora (1929)spielte Brooks die lasterhafte Lulu, die zur Mörderin und Prostituierten wird, was ihr bis heute eine Anhängerschaft in der Popkultur sichert. Die britische Band OMD feierte die Schauspielerin in dem Song Pandora’s Box. Darüber hinaus wirkt ihre berühmte Frisur heute fast wie der Helm (→ Anti) einer Vorkämpferin für die Rechte junger, unabhängiger Frauen. Jürgen Ziemer
R
wie Rolling Stones
Als junge Männer in den 1960er Jahren begannen, ihr Haupthaar wachsen zu lassen, hörten sie von toleranten Mitmenschen oft, gegen längere Haare an sich sei wenig einzuwenden, aber gepflegt müssten sie sein. Ausgerechnet einer der wilden Rolling Stones beherzigte dieses Mantra beispielhaft. Der früh verstorbene Brian Jones, dem der Pony bis über die Augenbrauen reichte (→ Zweckmäßig), wusch sich zweimal am Tag den Schopf und verbrachte viel Zeit beim Frisör, was ihm den Spitznamen „Mr. Shampoo“ eintrug. Entsprechend zuwider war dem stilbewussten Gitarristen das sorgfältig kultivierte Image der Band als ungepflegte Rüpel. Nicht belegt ist allerdings, dass er bei der ersten Stones-Tournee 1963 durch Großbritannien fünf Pfund mehr Wochengage als seine Bandkollegen aushandelte, um die höheren Kosten für Körperpflege zu bestreiten. Joachim Feldmann
T
wie Tonsur
Eine Tonsur, das teilweise Entfernen des Haares (von lat. tondere, „scheren“), ist aus verschiedenen Religionen bekannt. Nicht alle haben etwas mit dem Pony zu tun. Katholische Kleriker ließen sich die Kopfhaut rasieren, sodass ein Haarkranz übrig blieb. Dieser „römische Tonsur“ genannte Schnitt sieht aus wie ein Rundum-Pony. Von Martin Luther gibt es ein berühmtes Bild, auf dem er diese Frisur trägt. Lucas Cranach der Ältere hat ihn 1520 als Augustinermönch porträtiert. Der Kupferstich befindet sich heute in Berlin. Die Haarentfernung (→ Five Point Cut) soll Demut und Bußfertigkeit zum Ausdruck bringen. Dafür zogen spezielle Friseure von Kloster zu Kloster. Papst Paul VI. schaffte die Tonsur 1973 innerhalb der katholischen Kirche ab. Nur einige wenige Gemeinschaften haben sie beibehalten, die Piusbruderschaft von Kloster Reichenstein beispielsweise. Das Wappen von Pfaffenhofen wird wie folgt beschrieben: „In Silber eine fleischfarbene Priestertonsur mit schwarzem Haarkranz“. Tonsur wird auch die Angst vieler Männer vor Haarausfall und Glatzenbildung genannt. Tobias Prüwer
Z
wie Zweckmäßig
Eine universelle Erfahrung: Kind möchte schöne Haare und bekommt keine. Sondern einen Topfschnitt. Warum eigentlich denken Eltern generationen- und länderübergreifend, dass ihr Kind gerne aussehen möchte wie ein Pilz? Wenn es auch Rapunzel sein könnte? Weil sie nicht an Prinzessinnen denken, sondern praktisch: Glatte Haare, an allen Seiten des Kopfes (mehr oder weniger) gleich kurz geschnitten, und die Stirn säumt ein dichter Pony. So ein Schnitt macht das Waschen und Kämmen sicher leichter, ist aber nur halb so cool wie der kürzlich wieder in die Mode gekommene Bowl Cut (→ Hime). Bei dem können die Haare im Extremfall auch lässig über die Augen hängen, was den Alltag eher erschweren dürfte. Das Prinzip ist aber ein ähnliches: Es sieht aus, als wäre einem ein Gefäß über den Oberkopf gestülpt worden. Anna Raab