Israel: Nicht die befürchtete Eskalation

In der Nacht zum Samstag hat Israel mehrere Ziele im Iran aus der Luft angegriffen. Wie Israels Armee mitteilte, seien in den frühen Morgenstunden Einrichtungen der iranischen Raketenproduktion sowie Boden-Luft-Raketen-Batterien beschossen worden. In und um Teheran waren Leuchtspurfeuer am Himmel zu sehen, berichteten Anwohner der Nachrichtenagentur AP. Demnach seien in der Hauptstadt mindestens sieben Explosionen zu hören sowie Erschütterungen zu spüren gewesen. Noch ist die Schadensbilanz nicht vollständig absehbar, laut bislang unbestätigten Angaben wurden jedoch die iranischen Luftabwehrsysteme in großen Teilen zerstört.

Israels Angriff ist ein Vergeltungsschlag für den iranischen Raketenangriff auf Israel vom 1. Oktober, dabei hatte das Regime in Teheran rund 200 ballistische Raketen geschickt. Der Iran hatte damit die Tötung von Hassan Nasrallah rächen wollen, erklärte das Regime. Der Anführer der vom Iran finanzierten Hisbollah war bei einem israelischen Luftangriff Ende September getötet worden. Seit dem iranischen Angriff war mit einer Reaktion Israels gerechnet worden. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte den iranischen Angriff einen „schweren Fehler“ genannt und gesagt, das Regime werde dafür einen Preis bezahlen. Nach Angaben der israelischen Armee fiel die Reaktion nun präzise aus.

„Sollte das Regime im Iran den Fehler begehen, eine neue Runde der Eskalation einzuleiten, sind wir verpflichtet, darauf zu reagieren“, sagte Armeesprecher Daniel Hagari in einer Stellungnahme am frühen Morgen. Die Botschaft: Israel will zeigen, dass es zwar reagiert − aber die Situation nicht weiter eskaliert hat. Und dass es nun am iranischen Regime liegt, zu entscheiden, ob der Krieg im Nahen Osten noch gefährlicher wird, als er es ohnehin ist. Wie realistisch es ist, dass mit dem israelischen Gegenschlag die Eskalationsspirale durchbrochen ist, ist unsicher.

Die USA hoffen auf ein Ende

Die US-Regierung soll über den geplanten Angriff informiert gewesen sein, berichtet das Wall Street Journal. Laut CNN waren die USA wohl aber selbst nicht an dem Angriff beteiligt. Sean Savett, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, sagte: „Wir verstehen, dass Israel gezielte Angriffe gegen militärische Ziele im Iran als die Ausübung der Selbstverteidigung und als Antwort auf den Angriff des Iran mit ballistischen Raketen gegen Israel am 1. Oktober durchführt.“ Zumindest Washington hofft offenbar tatsächlich auf ein Ende der Eskalation. Die israelische Zeitung Ha’aretz zitiert dazu einen hohen US-Regierungsbeamten: „Dies sollte das Ende des direkten militärischen Austauschs zwischen Israel und dem Iran sein.“

Die USA sollen Israel in den vergangenen Wochen eindringlich aufgefordert haben, keine iranischen Öl- und Atomanlagen anzugreifen. Wie die iranische Nachrichtenagentur Fars am Samstagvormittag meldete, seien mehrere Militärbasen angegriffen worden, es gebe bisher aber „keine Anzeichen für einen Angriff auf Atom- oder Öleinrichtungen“. Die Reaktion aus den USA auf den israelischen Angriff, vor allem aber die bisher fehlende Reaktion aus Teheran könnte bedeuten, dass Israel der Forderung von Joe Bidens Regierung tatsächlich gefolgt ist. Das iranische Regime wollte laut eines Berichts der New York Times am Donnerstag seine Reaktion davon abhängig machen, wie schwerwiegend Israels Angriff ist − und ob dabei die Öl- und Atomanlagen beschossen werden.

Aus Sicht der US-Regierung wäre das − keine zwei Wochen vor der Präsidentschaftswahl − zunächst ein gutes Zeichen. Zuletzt war nicht klar, inwieweit Netanjahu Bedenken des wichtigsten Verbündeten Israels überhaupt noch ernst nimmt. Ein Beispiel dafür war der mutmaßlich israelische Pager-Angriff gegen die Hisbollah im September. Wie die Washington Post damals berichtete, sei man in der Biden-Regierung frustriert darüber gewesen, dass Israel den Angriff und damit die Eskalation des Krieges gegen die Hisbollah im Stillen vorbereitet habe, während sich die USA seit Monaten um einen Waffenstillstand in Gaza und eine diplomatische Lösung im Libanon bemühen.

In Washington war die Sorge groß, dass Israels Reaktion zu einer sogenannten Oktober-Überraschung führen könnte − dass also kurz vor dem Wahltag die Eskalation in Nahost alle Umfragen durcheinanderbringen könnte und so das knappe Rennen zwischen Kamala Harris und Donald Trump beeinflussen würde. Je schwerwiegender der Angriff Israels gewesen wäre, desto schwerwiegender hätte die Reaktion des iranischen Regimes ausfallen können. Und desto größer wäre die Gefahr gewesen, dass die USA direkt in den Nahostkrieg hineingezogen werden. 

Man wollte den Angriff verzögern

Vor einer Woche waren geheime Dokumente aus dem US-Verteidigungsministerium über den geplanten israelischen Angriff an die Öffentlichkeit geraten. „Wer auch immer die amerikanischen Geheimdienstdokumente durchsickern ließ, wollte offenbar die Iraner wissen lassen, was auf sie zukommen würde“, analysiert Ha’aretz-Chefredakteur Aluf Benn das Leak. Wie die britische Times am Donnerstag berichtete, soll Israel in der Folge seinen Gegenschlag verschoben haben. „Das Durchsickern der amerikanischen Dokumente hat den Angriff verzögert, weil bestimmte Strategien und Details geändert werden mussten“, zitiert die Zeitung eine Geheimdienstquelle.

Zwar fiel der Angriff Israels nun weniger gravierend aus als befürchtet, es ist aber unklar, welchen Einfluss etwa die geleakten Dokumente hatten. Unsicher ist auch, inwiefern Israel selbst glaubt, dass der Iran nun seinerseits von Vergeltungsschlägen absieht. Anfang der Woche hatten israelische Militärbeamte im Gespräch ZEIT ONLINE erklärt, wie sie die Lage einschätzten. „Was für ein Krieg ist das, der Gazakrieg, der nächste Libanonkrieg?“, sagte ein namentlich nicht genannter Offizieller. „Ich denke, das Problem ist der Iran.“

Die Aussage spiegelt den aktuellen Diskurs in Israel. Nach dem historisch ersten Angriff des Irans im April mit rund 300 Flugkörpern, dem zweiten Angriff dann am 1. Oktober, vor allem aber durch den weiterhin anhaltenden Beschuss der iranischen Proxys, der Hisbollah im Libanon, den Huthis im Jemen, Milizen im Irak und Syrien, herrscht in Israel die Ansicht, dass es einen harten Schlag gegen den Iran bedarf, um so das Regime und seine Proxys zu stoppen. „Wir hätten einen viel höheren Preis vom Iran fordern können und müssen“, schrieb der israelische Mitte-Links-Oppositionspolitiker Jair Lapid am Samstagmorgen auf der Plattform X. „Der Iran ist der Kopf der Achse des Bösen und muss einen hohen Preis für seine Aggression zahlen.“