Internationaler Strafgerichtshof: „Die Entscheidung des Gerichts muss respektiert und umgesetzt werden“

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat alle Mitgliedsländer aufgerufen, den internationalen
Haftbefehle gegen den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu
und dessen ehemaligen Verteidigungsminister Joaw Galant
zu achten. Die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag sei rechtsverbindlich, sagte Borrell in der jordanischen Hauptstadt Ammann. Alle EU-Staaten seien als Vertragsparteien „verpflichtet, die Gerichtsentscheidung umzusetzen“. Die Entscheidung des Gerichtshofs sei nicht politisch, fügte Borrell hinzu. Es handele sich vielmehr um eine juristische Entscheidung. „Und die Entscheidung des Gerichts muss respektiert und umgesetzt werden.“ Eine Umsetzung der Haftbefehle forderte auch Jordaniens Außenminister Ayman Safadi.

Aus den EU-Mitgliedstaaten kamen bislang eher zurückhaltende Reaktionen. Die Niederlande seien bereit, bezüglich des Haftbefehls gegen Netanjahu zu handeln, sollte dies nötig sein, zitierte die Nachrichtenagentur ANP Außenminister Caspar Veldkamp. Der französische Außenamtssprecher Christophe Lemoine wich einer Frage dazu aus, ob Netanjahu bei einer Einreise nach Frankreich festgenommen würde. Die Frage sei rechtlich kompliziert, sagte Lemoine. Er werde sich noch nicht dazu äußern. Das Auswärtige Amt in Berlin äußerte sich bisher nicht zu den Haftbefehlen.    

Zentralrat der Juden spricht von „Absurdität“

In Israel selbst löste die Ausstellung der Haftbefehle durch das Haager Gericht Empörung aus. Netanjahus Büro prangerte „antisemitische Entscheidungen“ an. Sie seien von „voreingenommenen Richtern“ gefällt worden, die „getrieben von antisemitischem Hass gegen Israel“ seien. Israels Staatspräsident Izchak Herzog schrieb auf X: „Dies ist ein dunkler Tag für die Justiz. Ein dunkler Tag für die Menschheit.“ Durch die Entscheidung würden internationale Institutionen in zynischer Weise ausgebeutet, schrieb Herzog. Die Entscheidung ignoriere, dass Israel auf barbarische Weise von der Hamas angegriffen worden sei und ein Recht darauf habe, sich zu verteidigen. Sie ignoriere auch die 101 Geiseln, die sich noch immer in der Gewalt der Terroristen in Gaza befänden, sowie die Tatsache, dass die Hamas Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauche.

Eine „Absurdität“ nannte auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, die Haftbefehle. Israel verteidige sich nach den Hamas-Massakern vom 7. Oktober 2023 gegen islamistischen Terror in Gaza und im Libanon. „Allein der semantische Dualismus, Israel auf eine Stufe mit der Hamas zu stellen, grenzt an Unverfrorenheit“, sagte Schuster. Die Bundesregierung dürfe diese Täter-Opfer-Umkehr nicht akzeptieren.

Hamas sieht „historischen Präzedenzfall“

Die Hamas selbst feierte die Haftbefehle als historischen Schritt. Die Entscheidung des IStGH sei ein „wichtiger historischer Präzedenzfall und eine Korrektur eines langen Wegs historischer Ungerechtigkeit gegen unser Volk“, teilte die Terrororganisation mit. 

Zum ebenfalls erlassenen Haftbefehl gegen ihren militärischen Anführer, Mohammad Diab Ibrahim Al-Masri, auch bekannt als Mohammed Deif, äußerte sich die Hamas nicht. Israel hatte Deif im Sommer für tot erklärt, was die Hamas bisher weder bestätigt noch dementiert hat. Der IStGH teilte dazu mit, das Gericht sei nicht in der Lage zu sagen, ob Deif noch am Leben sei. Seinen Antrag auf Haftbefehle gegen die Hamas-Anführer Jahia Sinwar und Ismail Hanija hatte Chefankläger Karim Khan nach deren jeweiliger Tötung zurückgezogen. 

Der designierte nationale Sicherheitsberater des künftigen US-Präsidenten Donald Trump, Mike Waltz, stellte sich auf die Seite Israels. Der IStGH besitze keine Glaubwürdigkeit, die Vorwürfe gegen die israelische Führung seien von der US-Regierung entkräftet worden, schrieb Waltz auf X. Israel habe seine Bevölkerung und Grenzen „rechtmäßig gegen genozidale Terroristen verteidigt“, schrieb er. Die Welt dürfe nach dem Antritt der neuen US-Regierung im Januar eine „starke Antwort auf die antisemitische Befangenheit des IStGH und den UN“ erwarten.

Die USA sind — wie Israel – kein Mitglied des IStGH, müssen die von dem Gericht erlassenen Haftbefehle also nicht vollstrecken. Die 124 Vertragsstaaten des IStGH sind dagegen laut Statut verpflichtet, die Haftbefehle durchzusetzen, sobald sich die Gesuchten in ihrem Staatsgebiet aufhalten. Über eine eigene Polizei, um die Haftbefehle durchzusetzen, verfügt der IStGH nicht.

Chefankläger Khan hatte die Haftbefehle gegen Netanjahu, Galant und drei Hamas-Vertreter im Mai beantragt. Die zuständige IStGH-Kammer teilte nun mit, es gebe „triftige Gründe“ dafür, dass Netanjahu und Galant für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen verantwortlich seien. Dazu zähle die Kriegsführung durch Hunger.