Innovationsmodell: Was Hessen pro Deutschlands Industrie vormacht

Der Austausch zwischen Unternehmen und Wissenschaft müsse verbessert werden. Dies ist die vordringliche „Handlungsempfehlung“ der hessischen Indus­trie für die Politik. Ausformuliert wurde sie bei der Vorstellung einer Roadmap, die das Beratungsunternehmen IW Consult nach der Befragung von 200 hessischen Betrieben und Experteninterviews vorgelegt hat.

Den Auftrag dazu hatten die beiden Verbände der Metall- und der Chemieindustrie gegeben. Deren Vertreter forderten am Donnerstag zunächst bessere Rahmenbedingungen wie den Abbau von Bürokratie und die Erneuerung der Infra­struktur, bevor Hanno Kempermann, der Geschäftsführer der IW Consult, es übernahm, die vordringlichen Punkte aus seinem 92 Seiten umfassenden Werk zu erläutern.

Darin heben die Experten hervor, wie wichtig die transparente und intensive Kommunikation zwischen den Akteuren sei, die sich in unterschiedlichen Sphären bewegten. Hessen verfüge zwar über exzellente Hochschulen, aber es benötige mehr Ausgründungsprogramme. Start-ups könnten den Wandel zur digitalen und dekarbonisierten Industrie vorantreiben. Dafür müsse sich das Land finanziell engagieren.

Kempermann erinnerte daran, dass zu den zehn vom Bundeswirtschaftsministerium jüngst ausgezeichneten „Startup Factories“ auch die hessische Plattform Fu­tury zähle. Die Summen, die in solche Projekte flössen, seien bisher „überschaubar“. Vorgeschlagen wird der Aufbau ei­ner physischen und digitalen „Startup Box Hessen“. An einem solchen zentralen Anlaufpunkt für alle einschlägigen Aktivitäten sollen nach den Vorstellungen der Fachleute die Kontakte angebahnt werden, die für das Entfachen einer neuen wirtschaftlichen Dynamik essenziell seien. Nach dem Vorbild des Bundes könne Hessen für seine „Startup Box“ einen „großen Innovationsfonds“ gründen.

Den inhaltlichen Schwerpunkt sollen vorhandene technologische Stärken bilden. Kempermann nannte die Beispiele Pharma, Biomedizin, Mobilität, neue Materialien und moderne Fertigung. Besonders vielversprechend sei die Kombination aus Engineering und Digitalisierung.

Für den Aufbau der „Innovationsbrücken“ zwischen Wissenschaft und Wirtschaft wünschen sich die Industrie und ihre Berater „Wissensaustauschmanager“, die von sich aus Vorschläge für Kooperationen machen. Ein solches „Peer-to-Peer-Matching“ setze vertrauensvolle Beziehungen voraus. Die verantwortlichen Stellen könnten bei wissenschaftlichen Ein­richtungen oder bei Hessen Trade & In­vest, der Wirtschaftsentwicklungsge­sell­schaft des Landes, eingerichtet werden, „dauerhaft und nicht im Rahmen zeitlich begrenzter Förderungsprogramme“. Prinzipielle Vorarbeiten hierzu habe Hessen Trade & Invest bereits geleistet, konstatierte Kempermann. Die mit der Einführung neuer Technologien verbundenen Risiken sollen dadurch minimiert werden, dass Innovationen vor der Anwendung im großen industriellen Maßstab in Pilotan­lagen und Reallaboren getestet werden. So ließen sich Fehlinvestitionen vermeiden und Kosten reduzieren. Die nötigen Flächen soll die Landesregierung bereitstellen. Die Investition in solche Pilotanlagen wird in der Studie als langfristige Strukturreform bezeichnet, die „für die wirtschaftliche Resilienz Hessens von entscheidender Bedeutung“ sei.

Als vorbildlicher Anknüpfungspunkt wird Darmstadt mit der „Innovations­kultur“ des Unternehmens Merck und dem Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung genannt. Daneben werben die Fachleute für die Schaffung von zwei Innovationsparks. Der eine würde der in Hessen nach wie vor starken pharmazeutischen und chemischen Industrie Entwicklungspotentiale bieten. Der andere würde in Nordhessen entstehen und „Mobility & Defensive“ voranbringen. Dort könnten aus der Sicht der Industrie beispielsweise die Elektrifizierung von Antrieben, neue Materialien, Drohnen für zivile und militärische Zwecke sowie autonomes Fahren erforscht und entwickelt werden.

Der Raum Kassel sei dafür mit seinen Unternehmen und den Fraunhofer-Instituten gut aufgestellt. Hessen Trade & Invest könne zusätzliche ausländische Un­ter­­nehmen anwerben. Auch der Finanzminister wäre gefragt. Die Industrie wünscht sich 50 bis 100 Millionen Euro aus dem Sondervermögen. Gleichzeitig sollen die Kommunen Flächen und Konzepte anbieten, um privates Kapital zu mo­bilisieren.

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