Indie-Verband VUT: „Spotify und Co. müssen die Preise erhöhen“
In Großbritannien ist die Debatte über die Auswirkungen des Streamings und etwaige Änderungen der Rahmenbedingungen schon bis in einen Parlamentsausschuss getragen worden. Hierzulande kommt die Diskussion nur allmählich in Gang. Das liege natürlich auch daran, dass die Materie nun mal kompliziert sei, sagt Birte Wiemann, die Vorstandsvorsitzende des Verbands unabhängiger Musikunternehmen (VUT), in dem die kleineren Labels, Verlage, Vertriebe, aber auch selbständige Künstlerinnen und Künstler organisiert sind.
Mitunter machen auch Vertreter aus der Branche selbst das Unterfangen nicht leichter: „Die in den USA kursierende Forderung nach einem Cent pro Stream klingt zwar griffig, aber hilft der Sache auch nur bedingt, da sie die Komplexität des Systems unterschlägt“, sagt Wiemann im Gespräch mit der F.A.Z. Schließlich zahle kein Dienst eine feste Rate pro Stream „und zudem würde eine Umsetzung der Forderung manche Streamingdienste finanziell wohl überfordern“.
„Fehlende Transparenz aktuell das größte Problem“
Wie die Ausschüttung grundsätzlich funktioniert, ist nicht trivial, aber kein Geheimnis. Alle Dienste zahlen rund zwei Drittel ihres Umsatzes an die Rechteinhaber aufseiten der Musikindustrie aus. Rund 80 Prozent fallen davon auf die Seite der Aufnahme ab, 20 Prozent auf die Inhaber der Rechte an den zugrunde liegenden Texten und Kompositionen. Wie viel am Ende bei Interpreten und Songwritern ankommt, hängt letztlich von deren individuellen Verträgen mit Labels, Verlagen und Vertrieben ab. Verbesserungsbedarf sieht Wiemann bei der Art und Weise, wie Spotify und Co. die Auszahlungen tätigen: „Fehlende Transparenz ist aus unserer Sicht aktuell das größte Problem“, sagt sie. „Das hat erst einmal nichts mit Verteilungsgerechtigkeit zu tun.“ Zuallererst müssten alle Beteiligten nachvollziehen können, wie aufseiten der Dienste eigentlich gerechnet werde.
„Warum ergeben sich bei einem Label teils für einen Song auf einer Plattform an einem Tag drei verschiedene Monetarisierungen?“, fragt Wiemann. Monatliche Schwankungen erklärten sich bekanntlich dadurch, dass diverse Faktoren wie der Abonnentenstamm, die Gesamtzahl der Streams in den jeweiligen Märkten und der Anteil der eigenen Songs daran nie gleich sind. Aber unterschiedliche Werte an einem Tag ließen sich nicht nachvollziehen.
Ein Sprecher von Marktführer Spotify erklärte gegenüber der F.A.Z. die Beobachtung so: „Da Streams der unterschiedlich bepreisten Abo-Modelle – Individual, Duo, Family – sowie die werbefinanzierte Version unterschiedlich stark bei der Abrechnung berücksichtigt werden, inklusive unterschiedlicher Währungen der verschiedenen Länder, ergeben sich auch unterschiedliche Werte für ein und denselben Song an einem Tag, wenn ein Label oder Act die tägliche Performance einsieht und daraus eine individuelle Pro-Stream-Rate berechnet.“
Viele denkbare Varianten rund um ein nutzungsbasiertes System
Für den VUT steht zudem eine möglichst baldige Abkehr vom beschriebenen Abrechnungssystem, Pro Rata genannt, auf der Agenda. „Es braucht zwangsläufig ein nutzungsbasiertes Abrechnungsmodell“, sagt Wiemann. Gelder eines Nutzers sollen also grundsätzlich nur unter den gehörten Songs verteilt werden und nicht nach Marktanteil unter allen gestreamten in einem Markt. Wie die Abrechnung dann im Tagesgeschäft transparent und effektiv funktionieren könne, sei aber unklar. „Wir müssen als Branche untersuchen, welches Alternativmodell am besten funktioniert – ob es nun ein reines User-Centric-Modell ohne Zusatzmaßnahmen ist, eine Mischung aus Pro Rata und User Centric oder auch unterschiedliche Ausschüttungen je nach Songlänge oder für aktive und passive Streams.“ Auch hier sei die Mithilfe der Dienste gefragt.
Deezer habe schon einmal einen Satz bereitgestellt, sagt Wiemann. „Ich setze weiterhin darauf, dass möglichst bald ein weiterer Dienst mitzieht und den kompletten anonymisierten Datensatz für ein Jahr liefert.“ Bislang fehle mangels aussagekräftiger Daten „eine angemessene Diskussionsgrundlage“, und auch für aussagekräftige Studien seien diese unabdingbar. „Dass Warner Music nun die nutzerbasierte Abrechnung auf Soundcloud unterstützt, ist zumindest ein kleiner Schritt, der uns mittelfristig einen etwas besseren Einblick geben kann, auch wenn Soundcloud vergleichsweise klein ist“, sagt Wiemann.
Laut der VUT-Vorsitzenden geht es dem Indie-Verband bei der Forderung nach einer Änderung des Systems keineswegs ums Geld – zumal ohnehin nicht seriös abzuschätzen sei, wer mit einer nutzungsbasierten Variante mehr und wer weniger Tantiemen erhalte: „Eine Umstellung auf ein nutzerbasiertes System ist für uns eine grundsätzliche Sache.“ Denn unter dem aktuellen System sei es ja so, „als würde ich zum Bäcker gehen und den Metzger mitbezahlen“, da die Abo-Gelder derzeit eben nach Marktanteil unter allen Songs und nicht nur unter den von einem Nutzer gehörten Songs verteilt werden. Für eine Umstellung könne es aber nur die Basis sein, betont Wiemann.
Dienste betonen: Musikbranche muss sich einig sein
Der europäische Indie-Dachverband Impala schlägt indessen ein „Artist Growth“ genanntes Modell vor. Unter diesem würden die Abrufe bei sehr beliebten Songs etwas geringer vergütet, während am unteren Ende aufgeschlagen werde, um aufstrebende und Nischenkünstler zu unterstützen.
All dies unterstreicht, wie schwierig die Diskussion ist – und nicht nur Spotify betont gebetsmühlenartig, die Branche müsse sich einig werden. Als Dienst sei man sehr wohl bereit zu einer Umstellung.
Um die Ausschüttungen an sich zu vergrößern, sind für Wiemann neben weiterem Wachstum vor allem teurere Abos der richtige Weg. „Spotify und Co. müssen die Preise erhöhen, daran führt kein Weg vorbei. Deezer hat das Standard-Abo kürzlich um einen Euro verteuert, andere Dienste haben in großen Märkten aber bislang nur Kombi-Tarife angepasst. Apple und Amazon bieten seit geraumer Zeit sogar HiFi-Qualität zum Standardpreis 9,99 Euro an. Das ist nicht zu rechtfertigen, wenn täglich das Angebot größer wird, und birgt die Gefahr, Musik an sich zu entwerten – erst recht mit Blick auf die aktuell allgegenwärtigen Preissteigerungen.“
Das kurze Hoch der Exklusiv-Veröffentlichungen
Es gibt angesichts des stetigen Wachstums durchaus weniger forsche Stimmen. Mit Blick auf die Abo-Verluste von Netflix und einer, Stand jetzt, stärkeren Resilienz des Musikgeschäfts – angesichts der Krise wohl auch durch die preisliche Zurückhaltung – dürften diese sich bestätigt fühlen. Doch auch Steve Cooper, der Chef der Nummer drei der Branche, Warner Music , forderte kürzlich einmal mehr Preiserhöhungen, die seines Erachtens auch in regelmäßigen Abständen möglich seien.
Tatsächlich funktioniert der Markt für Musik-Streaming anders als der des Video-Streamings. Der wohl größte Unterschied ist der nahezu gleiche Musikkatalog aller Dienste – neben der Hoffnung auf lukrative Werbedeals ein Grund für Spotifys teure Podcast-Offensive. Wiemann sieht ein Versäumnis der Musikindustrie: „Wir sind jetzt auch deshalb in dieser Lage, weil wir es als Musikwirtschaft verpasst haben, auf Alleinstellungsmerkmale der Plattformen hinzuwirken.“ Es habe eine Zeit gegeben, in der exklusive Lizenzierungen von Superstars versucht wurden. Gerade Apple setzte eine Weile darauf, um schneller auf Spotify aufzuholen.
2016 erschien etwa das neue Drake-Album zunächst exklusiv auf dem Dienst des Tech-Riesen. Auch in der Indie-Branche sei über einen eigenen Dienst nur mit dem Merlin-Repertoire, der gemeinsamen Lizenzplattform der Indies, nachgedacht worden. „Aber letztlich hat sich die Idee, möglichst überall seinen Katalog verfügbar zu haben, durchgesetzt, und der Status quo lässt sich kaum mehr ändern.“ Nicht auf Spotify und Co. vertreten zu sein, könnten sich nur Stars leisten. „Streaming ist als Konsumform einfach zu etabliert.“