Im Juni 2,73 Millionen: Warum die Arbeitslosigkeit wieder steigt
Die Konjunkturaussichten in Deutschland wollen sich nicht recht aufhellen. Und auf dem Arbeitsmarkt ist auch keine Besserung in Sicht. Vielmehr hat sich die Zahl der Arbeitslosen im Juni weiter erhöht, obwohl zu dieser Jahreszeit normalerweise die saisonübliche Frühjahrsbelebung noch für sinkende Zahlen sorgt. Wie der am Freitag vorgestellte neue Monatsbericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) ausweist, waren im Juni 2,727 Millionen Menschen als arbeitslos registriert. Das sind 4000 mehr als im Mai und 172.000 mehr als vor einem Jahr.
Die BA-Vorstandsvorsitzende Andrea Nahles warnte auch vor diesem Hintergrund die Ampelregierung davor, sich im Ringen um den Bundeshaushalt 2025 auf Kürzungen im Förderetat der Jobcenter zu verlegen, die dann gut vier Millionen erwerbsfähige Bürgergeldbezieher beträfen. Derzeit seien in diesem Bereich Kürzungen um etwa eine Milliarde Euro im Gespräch, berichtete sie. Der aktuelle Sozialetat von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht insgesamt rund 10 Milliarden Euro für Förderausgaben und Verwaltungskosten der 400 Jobcenter vor.
Gemessen am Etat 2023 hätten die Jobcenter schon damit keinen Ausgleich ihrer Personalkostenzuwächse durch Tariferhöhungen für die eigenen Mitarbeiter erhalten, merkte Nahles an. Falls das eigentlich dazu vorgesehene Verwaltungskostenbudget nicht ausreicht, müssen die Jobcenter ihre Personal- und Betriebskosten aus dem Topf für Fördermittel decken. Nahles zufolge zeigt sich schon jetzt, dass manche Jobcenter wegen Budgetknappheit wichtige Instrumente seltener einsetzen – etwa die Arbeitsförderung für Langzeit-Bürgergeldbezieher ohne Berufsabschluss.
Eigentlich wäre ein Rückgang zu erwarten
Den weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit um 4000 von Mai auf Juni ordnete die BA-Chefin so ein: „Das klingt jetzt erst mal nicht viel, ist aber erneut keine gute Entwicklung.“ Da im üblichen Saisonverlauf eigentlich ein Rückgang im Juni zu erwarten sei, weise die um Saisoneinflüsse bereinigte Arbeitslosenzahl einen Anstieg um 19.000 von Mai auf Juni aus. Ihren bisher niedrigsten Stand seit der Corona-Pandemie hatte die Arbeitslosigkeit im Mai 2022 mit 2,26 Millionen erreicht. In den gut zwei Jahren seither hat sie sich also um beinahe eine halbe Million erhöht.
Der aktuelle Anstieg der Arbeitslosigkeit ist vor allem auf das schwierige konjunkturelle Umfeld zurückzuführen, wie der Monatsbericht ausweist. Das zeigt sich nicht nur daran, dass die Zahl der Menschen, die aus regulärer Arbeit neu ins Arbeitslosengeld I der Arbeitslosenversicherung kamen, im ersten Halbjahr 2024 um 6 Prozent höher war als im Vorjahreszeitraum. Es wird auch durch sinkende Beschäftigtenzahlen in sogenannten konjunkturnahen Branchen gestützt.
Daten hierfür liegen erst bis April vor. Aber im Vergleich zum Vorjahr sank etwa die Zahl der Zeitarbeiter um 64.000. Im verarbeitenden Gewerbe sank die Zahl der Beschäftigten um 49.000 und im Baugewerbe um 20.000. Die Gesamtzahl der Beschäftigten in Deutschland legte trotzdem im Vergleich zu April 2023 um gut 180.000 auf 34,9 Millionen zu. Das liegt vor allem daran, dass der öffentliche Sektor weiter Personal aufgebaut hat. Für das Gesundheitswesen, Pflege- und Sozialdienste, die öffentliche Verwaltung und das Erziehungswesen weist die Statistik einen Zuwachs von 184.000 Beschäftigten aus.
Auch die Kurzarbeit steigt
Mit der flauen Wirtschaftslage nimmt auch die Kurzarbeit weiter zu. Nach ersten Hochrechnungen der BA bezogen im April 242.000 Beschäftigte Kurzarbeitergeld. Sie arbeiteten also auf Basis einer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber krisenbedingt weniger als die Normalarbeitszeit und erhielten für den entsprechend gekürzten Lohn die Ersatzleistung der Beitragskasse, damit der Arbeitgeber nicht zu Kündigungen greift. Verglichen mit April 2023 hat sich die Zahl der Kurzarbeiter damit um rund 100.000 oder gut 70 Prozent erhöht. Vor der Corona-Pandemie und der 2019 einsetzenden Rezession in der Industrie hatte es durchweg weniger als 50.000 Kurzarbeiter gegeben.
Dieses Umfeld macht es umso schwieriger, einer Verfestigung von Langzeitarbeitslosigkeit entgegenzuwirken. Schon seit etlichen Monaten stellt die BA immer wieder fest, dass Arbeitslose kaum jemals so geringe Chancen gehabt hätten, in eine neue Beschäftigung hineinzukommen. Zwar waren den Arbeitsagenturen auch im Juni noch 700.000 freie Stellen gemeldet, das waren aber fast 10 Prozent weniger als vor einem Jahr. Außerdem passen die Qualifikationsanforderungen der freien Stellen oft nicht zu den beruflichen Fähigkeiten der Arbeitslosen, oder passende Stellen sind nur in anderen Regionen verfügbar.
Ein kleines Hoffnungszeichen könnte sein, dass die Langzeitarbeitslosigkeit zur Jahresmitte nicht weiter gestiegen ist. Die Zahl der Arbeitslosen, die schon mehr als ein Jahr vergeblich suchen, lag im Juni bei 965.000, fast unverändert zu April und Mai. Verglichen mit Juni 2023 ist das allerdings ein Anstieg um 57.000, verglichen mit Juni 2019 sind es 240.000 mehr. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus den sogenannten Asylherkunftsländern und der Ukraine lag zuletzt bei 756.000, knapp 15 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Zugleich gab es 1,13 Millionen erwerbsfähige Bürgergeldbezieher aus diesen Ländern. Das waren gut 7 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.