Ifo-Panel: Der Standort Deutschland ist schlechtes Mittelmaß
Deutschland hat ein Standortproblem. Dieser Befund ist in der Regierungskoalition umstritten, nicht aber unter deutschen Ökonomen. Sie stellen dem Standort Deutschland nur ein mittelmäßiges Zeugnis aus. Im Ökonomenpanel des Münchener Ifo-Instituts und der F.A.Z. bewerten die befragten Professoren Deutschland im Durchschnitt mit der Schulnote 3,4. Das entspricht so gerade noch einem „befriedigend“.
Mehr als die Hälfte der Befragten oder 55 Prozent geben dem Standort die Noten „befriedigend“ oder „ausreichend“. Nur 20 Prozent halten die Standortqualität für „gut“ und nur 2 Prozent für „sehr gut“. 23 Prozent werten den Standort als „mangelhaft“ oder „ungenügend“.
Damit schlägt das Gros der Volkswirte sich in der Standortdebatte auf die Seite der Unternehmen, die von der Regierung dringende Korrekturen fordern, um die Attraktivität für Investitionen zu verbessern. „Mehr Marktwirtschaft wagen“, kommentiert Alexander Dilger von der Universität Münster und fasst damit eine Linie zusammen, die sich durch viele der Ökonomenbeiträge in der Umfrage zieht.
Der Befund einer mittelmäßigen Standortqualität wird durch eine Untersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young gestützt, wonach im vergangenen Jahr nur noch 733 ausländische Unternehmen Investitionsprojekte in Deutschland angingen. Das waren 12 Prozent weniger als im Vorjahr. Das ausländische Interesse an Investition hierzulande ist damit so gering wie zuletzt im Jahr 2013.
Regulierung und Energie als größte Schwächen
Ungewöhnlich einhellig beurteilen die Volkswirte in der Umfrage von Ifo und F.A.Z. die Schwachstellen und die Stärken des deutschen Standorts. Fast 90 Prozent der Befragten sehen Regulierung und Bürokratie als wichtigsten Hemmschuh, gefolgt von den Kosten für und die Unsicherheit über Rohstoffe und Energie mit 74 Prozent. Fast 70 Prozent sehen die unzureichende Digitalisierung des deutschen Verwaltungs- und Wirtschaftslebens als Hemmnis, 60 Prozent die Lohnnebenkosten. Das ist auffällig, weil die Ökonomen das Lohnniveau an sich weitgehend neutral bewerten.
Die in der Öffentlichkeit verbreiteten Klagen über zu hohe Steuern und die schlechte Infrastruktur werden von knapp der Hälfte der Ökonomen als Standortschwäche geteilt. Knapp 40 Prozent sehen fehlende Arbeits- und Fachkräfte oder die Unsicherheiten der Wirtschaftspolitik als negativen Faktor für den Standort. Die Position der Volkswirte weicht hier ein wenig von den Aufgeregtheiten ab, die der Arbeitskräftemangel und die unstete Wirtschaftspolitik in der politischen Debatte hervorrufen.
Stärken sind Institutionen und das Humankapital
Als wichtigste Stärke des Standorts schätzen die Ökonomen mit fast 70 Prozent die politischen Institutionen, gefolgt von Bildung und Humankapital mit etwas mehr als 50 Prozent. Sicherheit und vergleichsweise geringe geopolitische Risiken werden eher als Standortstärke gesehen, ebenso wie der relativ leichte Zugang zu Finanzierungskapital.
Die Ursachen für die Standortmisere verorten die Volkswirte an unterschiedlichen Stellen. „Der ausufernde Interventionismus und die hohe Abgabenlast erodieren die Wachstumskräfte der Marktwirtschaft“, teilt Wolfgang Scherf von der Justus-Liebig-Universität Gießen die Verantwortung der Politik zu. „Die deutsche Wirtschaft leidet unter einem Geschäftsmodell (Export, Industrie, Auto), das so nicht zukunftsfähig ist“, analysiert dagegen Peter Bofinger von der Universität Würzburg.
Das Ifo-Institut hat für die Umfrage 748 Ökonomen angeschrieben, von denen 180 antworteten. Die Ergebnisse werden vorab exklusiv in der F.A.Z. veröffentlicht.
„Man fühlt sich als Weltmeister“
Wirtschaftspolitisch empfehlen viele der Befragten Bürokratieabbau und beschleunigte Genehmigungen für Bau und Investitionen. Steuersenkungen und eine Vereinfachung des Steuerrechts würden den Standort stärken. Empfohlen wird auch eine Erhöhung des Renteneintrittsalters und mehr Anreize für mehr Arbeit. Volker Caspari von der Universität Frankfurt erinnert an das Wort des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl (CDU), wonach Deutschland ein Freizeitpark sei. Caspari mahnt einen „Kampf der Faulheit und der digitalen Ablenkung“ an. Zur Senkung der Energiekosten setzen manche der Ökonomen auf eine beschleunigte Energiewende, andere halten dagegen.
Vertrauen, dass die Regierung durch eine entschlossene Wendepolitik die Standortbedingungen schnell verbessern kann, scheint in den Antworten nur verhalten durch. Jan Schnellenbach von der Technischen Universität Cottbus vermutet, dass Deutschland alle zwei bis drei Jahrzehnte durch eine Phase des „pathologischen Lernens“ gehen müsse, um sich zu reformieren.
„Mich erinnert die deutsche Wirtschaftspolitik aktuell an die Fußballnationalmannschaft nach 2014“, schreibt Justus Haucap von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. „Man fühlt sich als Weltmeister und erkennt nicht, dass andere einen längst überholt haben. Erst wenn man dann wirklich permanent verliert und ausscheidet, kommt es zu gewissen Änderungen . . .“