„Ich habe gemerkt, dass ich seelisch verarme“, sagt Wagenknecht jenseits ihr Aus wie BSW-Chefin
Das BSW steht künftig unter neuer Leitung. Wenige Stunden nachdem sie ihren Rückzug vom Parteivorsitz verkündet hatte, begründete Wagenknecht diesen Schritt bei „Hotel Matze“. Als Kopf der Grundwertekommission wolle sie fortan inhaltliche, strategische und programmatische Impulse setzen.
Sahra Wagenknecht zieht sich zurück. Weniger als zwei Jahre nach Gründung des BSW hat sie am Montag verkündet, auf eine erneute Kandidatur beim kommenden Parteitag in Magdeburg zu verzichten. Künftig soll neben der bisherigen Co-Vorsitzenden Amira Mohamed Ali der EU-Abgeordnete Fabio De Masi an der Spitze der Partei stehen. Als Ideengeberin „in führender Position“ wolle Wagenknecht dem BSW erhalten bleiben. Eine neue Grundwertekommission solle sich unter ihrem Vorsitz um die strategische und inhaltliche Arbeit sowie „Politik aus einem Guss“ kümmern.
Wie lässt sich ihr Abgang vom Parteivorstand erklären? Und welche Zukunft hat nun das BSW? Ein Überblick.
„Apokalypse & Filterkaffee“: „Natürlich ist sie die Partei“
Bei „Apokalypse & Filterkaffee“ führte Markus Feldenkirchen den Rückzug vornehmlich auf zwei Gründe zurück. In Teilen handele es sich um einen „Lafontaine-Moment“, konstatierte der Journalist mit Blick auf den früheren SPD-Vorsitzenden, der 2014 Sahra Wagenknecht geheiratet hatte. Obgleich dieser die Parteigründung als politisch richtig empfunden habe, habe er als Ehemann die Entscheidung für „richtig bedauerlich“ gehalten. Der Ehe stünden nun „goldene Zeiten“ bevor, prognostizierte der „Spiegel“-Journalist scherzhaft.
Einen weiteren Antrieb hinter Wagenknechts Entscheidung sah Feldenkirchen in der Vorsitzenden-Rolle, die ihr nicht liege. Schon vor der formellen Gründung des BSW hatte sie im November 2023 einen Auftritt in seinem ARD-Format „Konfrontation“, in dem er sie gefragt hatte, ob sie Vorsitzende des kommenden Bündnisses werden wolle. „Nö, das müsse überhaupt nicht sein, das könnte auch die Amira machen“, erinnert sich der Journalist an ihre Reaktion, die zu einem „Aufschrei“ unter ihren Unterstützern geführt habe. In der Konsequent habe sie sich dazu „breitschlagen lassen“, die Position zu übernehmen.
Dabei hatte sie stets auch öffentlich wiederholt bekundet, „dass sie die klassischen Aufgaben einer Vorsitzenden, die eine ganze Partei managt, wirklich nie machen wollte“, betonte Feldenkirchen. Jetzt kehre Wagenknecht wieder zurück in die Position, die sie von Anfang hatte einnehmen wollen – „als Freigeist, als Öffentlichkeitsmonster, als Talkshow-Besucherin“. Und letztlich spiele es ohnehin keine Rolle, wer der Partei vorstehe. „Das ist ja scheißegal, wer statt ihr Vorsitzender ist, natürlich ist sie die Partei“, unterstrich der Podcast-Host.
„Hotel Matze“: „Ich wollte gar nicht Parteivorsitzende werden“
Feldenkirchens Einschätzung bestätigte sich bei „Hotel Matze“, wo Wagenknecht nur wenige Stunden nach ihrer Pressekonferenz eincheckte. „Ich wollte ja ursprünglich gar nicht Parteivorsitzende werden. Ich habe das dann gemacht, weil ich eingesehen habe, in der ersten Phase muss das sein“, gestand sie ein. „Aber ich verstehe mich ja eher als jemand, der inhaltliche, programmatische Impulse gibt, auch strategische.“ Während ihr das Spaß mache, zwinge sie die Position der Vorsitzenden dazu, sich vor allem mit innerparteilichem Management zu beschäftigen.
Geradezu erleichtert schilderte die BSW-Gründerin gegenüber Matze Hielscher, sich nun wieder stärker mit Dingen beschäftigen zu können, die ihr „Freude machen“. Sie wolle sich etwa ihrem „endlos wachsenden Bücherstapel“ aus ungelesenen Werken widmen. „Die liegen auch da, um zu stören. Um mir immer wieder zu sagen: Das geht so nicht, dass du kein Buch mehr liest“, ermahnte sich Wagenknecht selbst. Sie habe zuletzt gemerkt, dass sie „geistig verarme“, was sie wiederum in ihrer Fähigkeit einschränke, Impulse zu geben und öffentlich zu wirken.
Darunter habe die Partei insgesamt gelitten. „Wir sind gestartet und hatten ein riesiges Wählerpotenzial. Und ich bin mir relativ sicher, wir haben unser Profil seitdem ein bisschen verengt“, schätzte sie ein. Das BSW werde als „klare Friedenspartei“ unterstützt, doch die Positionen zur Sozial-, Innen- und Wirtschaftspolitik, zur Digitalisierung sowie zur Meinungsfreiheit seien „irgendwie verkümmert“. „Wenn man den ganzen Tag telefoniert und die Nachrichten gar nicht mehr verfolgt, dann äußert man sich auch nicht mehr zu den Dingen, die passieren“, erklärte sie rückblickend.
Doch eben davon lebe die Politik. „Will man sich damit begnügen, als Publizistin Denkanstöße zu geben?“, habe sie sich schon in ihrer Universitätszeit gefragt. „Das reicht nicht. Ich will ja auch was verändern. Ich bin unzufrieden mit der Gesellschaft. Und die heutige ist noch um vieles problematischer.“ Sie störe sich an der wahnwitzigen Militarisierung, der paternalistischen Haltung hinter dem Bürgergeld und der ideologisch verblendeten Klimapolitik. Die schwarz-rote Regierung sei „so unsäglich“. „Und natürlich würde ich gerne diesem Merz das im Bundestag an den Kopf werfen.“
Dementsprechend wollte Wagenknecht ihren Rückzug von der Parteispitze nicht als politische Frühverrentung verstanden wissen. „Nein, also Frührentnerin bin ich nicht“, sagte sie lachend. Sie habe ihr Statement „sehr bewusst“ mit der Aussage begonnen, sich weiterhin im BSW zu engagieren. „Es ist kein Rückzug“, insistierte die frühere Linke-Politikerin, „sondern es ist eine Umverteilung von Arbeit, damit ich mich auf das konzentrieren kann, was wirklich für das BSW viel wichtiger ist, dass ich wieder inhaltliche, politische Impulse geben kann.“
„Berlin Playbook“: „Das Bündnis ist in einer schweren Krise“
„Die politische Karriere von Sahra Wagenknecht ist quasi beendet“, urteilte dagegen Gordon Repinski im „Berlin Playbook“ von Politico am Montag, als sich der Rückzug der BSW-Gründerin bereits abgezeichnet hatte. Ihrem designierten Nachfolger Fabio De Masi attestierte der Journalist, „eine kleine Entwicklung“ vollzogen zu haben. Einst sei dieser als „scharfer Kontrolleur“ von Bundeskanzler Olaf Scholz im Zuge des Cum-Ex-Skandals aufgefallen, was ihm eine „relativ hohe Anerkennung über die Parteigrenzen“ hinaus eingebracht habe. Danach habe er sich jedoch „ein bisschen radikalisiert“.
Auch „Politico“-Korrespondent Rasmus Buchsteiner blickte skeptisch auf die Personalie. „Strategische Vorstöße habe ich in der letzten Zeit nicht von ihm erlebt“, bemerkte er über den EU-Parlamentarier De Masi, der weder in der Bundespolitik noch in den Talkshows sonderlich präsent sei. Die „zentrale Frage“, vor der das Bündnis nun stünde, laute: „Fundamental-Opposition oder regieren wollen in den Bundesländern?“ In Sachsen habe Wagenknecht eine Regierungsbeteiligung verhindert, in Brandenburg sei ihr das misslungen. Doch ebendiese Koalition mit der SPD wankt zurzeit.
„Dieses Bündnis ist gerade in einer schweren, schweren Krise“, sagte Buchsteiner. Im Streit um zwei Medienstaatsverträge hatte die BSW-Fraktion mehrheitlich angekündigt, die Reform der öffentlich-rechtlichen Anstalten abzulehnen. Robert Crumbach, Gewerkschafter und Vize-Ministerpräsident, hatte sich hingegen an die Seite der SPD und damit „gegen seine eigenen Leute in der Fraktion“ gestellt, wie der Journalist bemerkte. Im 200-Sekunden-Interview räumte besagter BSW-Politiker dann auch ein: „Ich bin mir sicher, dass einige meiner Abgeordneten dem nicht zustimmen werden.“
Auf Repiniskis Frage, ob die Koalition aus SPD und BSW in Gefahr sei, antwortete Crumbach äußerst vage: „Es hat in den letzten Wochen und Monaten einige Dinge gegeben, die in diesem Zusammenhang das Vertrauen ein wenig erschüttert haben. Wir sind dabei, es wiederherzustellen.“ Nur einen Tag später haben vier Mitglieder der Brandenburger BSW-Fraktion ihren Parteiaustritt bekannt gegeben. „Autoritäre Tendenzen prägen zunehmend mehr das innerparteiliche Klima, der Druck auf Abgeordnete wächst“, monierten die ausgetretenen Parlamentarier in einer Erklärung.
Source: welt.de