Hunter Schafer: Der Hals-über-Kopf-Star

Wie fühlt es sich an, innerhalb kürzester Zeit als Model, It-Girl und Teenieserienstar und dann auch
noch als Darstellerin bei Oscarpreisträgern Karriere zu machen? Fragt man
Hunter Schafer, sagt die 25-Jährige schlicht:
„I’m winging it.“ Also in etwa: Ich improvisiere und ziehe es einfach
durch.

Dinge zu nehmen, wie sie kommen,
ist eine wichtige Fähigkeit, wenn man schon als junger Mensch in der
Öffentlichkeit steht – und zum Beispiel mit wenig Schlaf einen
Interviewmarathon meistern muss. Im Februar feierte der künstlerisch
verspielte Horrorfilm Cuckoo, der nun im Kino zu sehen ist, Premiere bei
der Berlinale
. Tags darauf konnte man Hunter Schafer im Konferenzraum
eines Berliner Hotels treffen. Die Premierenparty sei lang gewesen, verrät sie
zu Beginn des Gesprächs, die Nacht entsprechend kurz. Anzumerken ist ihr das
nicht. Schafer ist eine lebhaft erzählende Person und versteckt sich an diesem
Nachmittag nicht etwa in einem Kater-Outfit, sondern könnte gleich den Laufsteg
einer Modenschau betreten: Sie trägt kniehohe Lederstiefel und einen langen
weißen Trenchcoat – halb Berghain, halb Jil Sander.

Einer großen Öffentlichkeit
bekannt wurde Schafer 2019 mit der Ausstrahlung der ersten Staffel von Euphoria.
Die HBO-Serie war ein viel besprochenes
Popkultur- und vor allem Jugendphänomen
. Schon vor ihrer Schauspielkarriere hatte Schafer für
alle bekannten Luxushäuser gemodelt, derzeit ist sie als Werbegesicht für
Thierry Muglers Parfum Angel in Innenstädten auf der ganzen Welt zu sehen. Im
Kino ist sie in diesem Jahr gleich mit drei völlig unterschiedlichen
Produktionen vertreten – dem wüsten Episodenfilm Kinds of Kindness des
Oscarpreisträgers Yorgos Lanthimos, dem hoch budgetierten Blockbuster Die
Tribute von Panem – The Ballad of Songbirds and Snakes
und eben Cuckoo des Leipziger Regisseurs Tilman Singer. Schafer spielt darin die 17-jährige
Gretchen, die nach dem Tod der Mutter widerwillig mit der neuen Familie ihres
Vaters von den USA in die bayerischen Alpen zieht. Dort ist sie nicht nur damit
beschäftigt, in ungewohnter Umgebung Anschluss zu suchen, sondern bald auch mit
einer Horrorkreatur, die sich vom titelgebenden Kuckuck parasitäres Verhalten
abgeguckt hat.

Cuckoo war Schafers erstes Filmengagement – sie sicherte
sich die Rolle direkt nach der ersten Staffel von Euphoria. „Ich hatte
Angst“, sagt sie im Interview über diesen Moment. „Ich hatte ja noch nie in
einem Film und auch noch nie eine Hauptrolle gespielt. Als ich mich einfach
Hals über Kopf hineingeworfen habe, ist die Angst aber verschwunden.“ Die
Hals-über-Kopf-Methode zieht sich durch ihre junge Karriere.

Als Kind wollte Hunter Schafer
Comiczeichnerin werden, schuf eine Figur namens Art Boy, die mit einem
riesigen Bleistift ihre eigene gezeichnete Realität verändern konnte, wie sie
2022 US-Late-Night-Host Jimmy Kimmel erzählte. Noch heute postet sie ab und zu
Zeichnungen bei Instagram. „Ich habe den Eskapismus geliebt, den ich in
Comicwelten finden konnte“, sagt sie im Gespräch. Auch
das Interesse an Mode begann früh: Als Teenagerin plante Schafer, Modedesign zu
studieren und dann nonbinäre Kleidung zu entwerfen, die sich nicht in die
Männer- oder Frauenabteilung einsortieren lässt. Anlässlich ihres Einzugs ins Die-Tribute-von-Panem-Universum postete sie Ende 2023 ein Jugendfoto auf Instagram. Darauf ist sie als 13-Jährige in einem von
der Filmreihe inspirierten Halloweenkostüm zu sehen, das aber ebenso an die
genderqueeren Outfits von Glamrockern wie David Bowie und Marc Bolan denken
lässt.

Das frühe
Interesse an Kunst und Mode war auch Mittel, sich mit Gender
auseinanderzusetzen. Schafer wuchs in Raleigh auf, der Hauptstadt des
ländlichen US-Bundesstaates North Carolina. In der Middleschool, also zwischen
der sechsten und achten Klasse, fand Schafer schwer Anschluss. In der neunten
Klasse hatte sie ihr Coming-out. Vorher habe sie eine Person in sich getragen,
die nicht nach außen konnte, sagte sie in einem aktuellen Porträt der GQ. Das Zeichnen und damit zusammenhängend das Designen
von Outfits für die Figuren seien ihre Art
gewesen, sich auszudrücken.