Hilfspaket der Bundesregierung: Im Doppel-Wumms steckt viel, nur keine Ehrlichkeit

Die Politik müsse klar sagen, dass es nicht möglich sein wird, die wirtschaftlichen
Folgen des Ukraine-Krieges dauerhaft für alle auszugleichen, schreibt
der Ökonom und ehemalige Generalsekretär des Deutschen Caritasverbands, Georg Cremer, in seinem Gastbetrag über das 200-Milliarden-Euro Entlastungspaket der Bundesregierung.

Dies
sei ein Doppel-Wumms, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Ankündigung des bis zu
200 Milliarden Euro schweren Abwehrschirms gegen steigende Energiepreise. Er soll,
laut Scholz, „dazu beitragen, dass jetzt schnell, zügig und für alle schnell
feststellbar die Preise sinken für Energie, sodass sich niemand Sorgen machen
muss, wenn er an den Herbst und den Winter denkt“. Der Doppel-Wumms sei ein
Signal an Putin, der Energie als Waffe einsetze.  

Dass
zumindest Menschen mit niedrigen Einkommen drastisch steigende Energie- und
Lebensmittelpreise nicht schultern können, sollte Konsens sein. Bei den
Empfängern von Hartz IV und der Grundsicherung im Alter müssen das Jobcenter
oder das Sozialamt steigende Heizkosten übernehmen. Aber steigende Strom- und
Lebensmittelpreise müssen aus dem knapp bemessenen Regelsatz bezahlt werden.
Immerhin sollen mit Einführung des Bürgergelds zum Januar 2023 die Regelsätze
steigen. Das dürfte nach heutiger Lage die Inflation ausgleichen, mehr aber
auch nicht.

Höhere
Sozialleistungen werden die vielen alten Menschen nicht erreichen, die verdeckt
arm sind, weil sie ihre Ansprüche auf ergänzende Grundsicherung im Alter aus
Scham oder Unwissenheit oder der irrigen Annahme, ihre Kinder würden vom
Sozialamt zur Kasse gebeten, nicht wahrnehmen. In der jetzigen Situation würde es also helfen, die verdeckte Armut zu bekämpfen und die bereits heute bestehenden
Zusagen des Sozialstaats zu erfüllen.

Bei
hohen Inflationsraten müssen auch jene in den Blick genommen werden, die kaum mehr haben als
Transferleistungsbezieher oder die zum unteren Rand der Mitte gehören. Die von
der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Wohngeldreform ist dafür ein geeigneter
Ansatz, wenn zugleich über diese Leistung breit informiert wird, um die neuen
Berechtigten wirklich zu erreichen. Familien im unteren Einkommenssegment können
auch mit der im Koalitionsvertrag vereinbarten einkommensabhängigen Kindergrundsicherung
zielgenau unterstützt werden. 

Eine harte Sanktionspolitik braucht die Unterstützung der Mehrheit

Der
nun angekündigte Doppel-Wumms richtet sich ausdrücklich an alle, ob sie nun
aufgrund steigender Energiepreise in Not geraten, sie durch Einsparungen an
anderer Stelle kompensieren können oder sie ohne jede Einschränkung locker
wegstecken. Dass die Regierung diesen breiten Ansatz wählt, dürfte wesentlich
damit zu tun haben, dass sie den politischen Freiraum erhalten will, gegenüber
Russland keine Kompromissbereitschaft zu zeigen, bei der die Interessen der
Ukraine nach Selbstbestimmung hinten anstehen. Eine harte Sanktionspolitik, die
immer auch denjenigen schädigt, der sie verfolgt, ist in demokratischen Ländern
langfristig nur durchzuhalten, wenn sie die Unterstützung der Mehrheit findet.

Dass
diese Zustimmung brüchig werden kann, zeigt eine jüngste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach. Gestellt
wurde die Frage: „Sollte man Russland gegenüber hart bleiben, auch wenn das
bedeutet, dass die Preise in Deutschland weiter steigen und wir uns
einschränken müssen, oder finden Sie, bevor die Preise bei uns noch weiter
steigen und wir uns einschränken müssen, muss man mit Russland verhandeln und
unter Umständen auch Zugeständnisse machen?“ 40 Prozent sind bereit,
wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen, 36 Prozent vertreten die
Gegenposition. Es zeigt sich also diesbezüglich eher eine Spaltung der
Bevölkerung als ein Konsens. Solche Werte können zudem rasch ins Rutschen kommen, wenn die wirtschaftlichen Folgen der Sanktionspolitik spürbar werden. 

Besorgniserregend sind auch
die derzeit sehr geringen Zustimmungswerte zur Politik der Bundesregierung.
Misstrauen gegenüber Vertrauen überwiegt in allen politischen Lagern. Ich
interpretiere dies nicht als Ausdruck einer Detailkritik an der einen oder anderen
Maßnahme der Bundesregierung, sondern eher als Folge stark überzogener
Erwartungen: Es sei die Verpflichtung der Regierung, die Bevölkerung vor allen
Kriegsfolgen zu schützen – und es stünde in ihrer Macht, dies zu leisten, wenn
sie denn nur besser arbeiten würde. Der Publizist Claudius Seidl sprach im März
in Bezug auf den Angriff auf die Ukraine davon, es gebe nach Jahrzehnten von
Frieden und Prosperität die Überzeugung in Deutschland, man habe „ganz egal,
was sonst so in der Welt geschieht, ein unveräußerliches Recht aufs
Unbehelligtsein“.

Eingriffe in die Preisbildung sind ein Instrument für Notzeiten

Der Abwehrschirm wird diese
Erwartung nicht erfüllen können. Er muss nämlich zugleich die Anreize für
Unternehmen und Haushalte erhalten, Energie zu sparen, wie die Wirtschaftsweise
Veronika Grimm betont. Sie ist Vorsitzende der Kommission, die in äußerst
kurzer Frist Vorschläge zur Umsetzung erarbeiten soll. Man muss dankbar sein,
dass die Bundesregierung mit der Einsetzung der Kommission Demut vor der
Komplexität der Regulierungsaufgabe zeigt, denn schwierige Fragen sind zu
entscheiden: Wie hoch ist der Basisverbrauch, der der Gaspreisbremse
unterliegt, also mit öffentlichen Mitteln subventioniert wird? Und zu welchem
Preis? Wie werden die Größe der Haushalte und die spezifische Situation der
Unternehmen berücksichtigt?  

Wird der Basisverbrauch
niedrig angesetzt, wird ein lautes „Viel zu wenig“ erschallen und die Politik
trägt trotz hoher Kosten wenig zur Zufriedenheit der Bürger bei. Ist er aber
recht hoch, könnten viele verleitet sein, folgende Kalkulation aufzumachen: Da
der Mehrverbrauch über dem Basisverbrauch, für den ich den hohen Marktpreis
entrichten muss, nicht allzu hoch ist, kann ich mir die gestiegenen
Energiekosten insgesamt leisten; ich kann also so leben wie bisher, ich muss
nicht die Heizung herunterdrehen oder kürzer duschen. Dann aber steigt die
Gefahr einer akuten Gasmangellage, bei der alle verlieren.

Eingriffe in die
Preisbildung sind ein Instrument für Notzeiten. Es muss befristet sein. So
steht es auch im Beschluss der Bundesregierung. Aber da die Energiepreise
dauerhaft höher sein werden als vor der jetzigen Krise, wird es große Konflikte
geben, wenn die Subventionen zurückgefahren werden.

Die Politik muss den Mut
finden, klar zu sagen, dass es nicht möglich sein wird, die wirtschaftlichen
Folgen des Ukraine-Krieges dauerhaft für alle auszugleichen. Denn sonst könnten
Bürgerinnen und Bürger sich in einem Deal mit der Politik wähnen, der hochriskant
ist: Zeigt ihr ruhig mal Solidarität mit der Ukraine, solange wir nicht allzu
viel davon merken. Wenn euch das aber nicht gelingt, dann müssen Kompromisse
mit Russland her. Dann könnte doch noch passieren, dass Putins Rechnung aufgeht
und „Energie als Waffe“ funktioniert.