HHLA: Historische Entscheidung zu Händen Hamburger Hafen

Die Hamburger Hafenarbeiter machen mit ihrem Protest selbst Touristen aufmerksam. „Unser Hafen ist nicht euer Casino“, lautet der plakativste Kampfspruch: Hier geht es um das große Geld und das persönliche Schicksal hart arbeitender Männer. Das große Geld kommt von der „Mafia Shipping Company“, wie sie MSC auf ihren Plakaten charakterisieren. Tatsächlich steht das Kürzel für „Mediterranean Shipping Company“, die in Genf ansässige größte Reederei der Welt, deren Eigentümerfamilie Aponte italienische Wurzeln hat. MSC ist also der Feind aus Sicht der Beschäftigten, und die Stadt Hamburg lässt sich mit diesem ungeliebten Partner ein, will zulassen, dass die Reederei knapp die Hälfte der Anteile an der Hafengesellschaft HHLA AG erhält. Am nächsten Mittwochnachmittag wird die Hamburger Bürgerschaft das Geschäft in zweiter Lesung wohl absegnen.

Aus Sicht des Hamburger Senats ist dann ein Meisterstück vollbracht, das dem Hamburger Hafen bessere Zukunftsaussichten verschafft, ohne dass damit der eigene Haushalt belastet würde. Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) stellt gar eine Stärkung Hamburgs als internationale Wirtschaftsmetropole in Aussicht. Die Gegner sprechen dagegen von einem historischen Fehler und davon, dass der Hafen „nach 800 Jahren an MSC ausgeliefert“ werde.

Paukenschlag für die HHLA

Es war ein Paukenschlag, als Bürgermeister, Finanzsenator und Wirtschaftssenatorin das Geschäft publik machten, in einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz vor ziemlich genau einem Jahr. Nichts hatte zuvor darauf hingedeutet, dass die Wirtschaftssenatorin durch halb Europa gereist war, um mit potentiellen Partnern über die Zukunft des Hamburger Hafens zu verhandeln. Das Geschäft mit MSC betrifft allerdings nicht den ganzen Hafen im Sinne von Grund und Boden und Kaimauern.

Das so emotional besetzte Geschäft betrifft die börsennotierte HHLA AG, die in Hamburg drei von vier Containerterminals betreibt. Bisher hält die Stadt knapp 70 Prozent der Aktien. Künftig will sie den Anteil reduzieren und MSC die Möglichkeit eröffnen, bis zu 49,9 Prozent an der HHLA zu übernehmen. MSC machte ein Übernahmeangebot, das sehr deutlich über dem lange schon dahindümpelnden HHLA-Aktienkurs lag. Gemessen daran wird die HHLA AG mit 1,2 Milliarden Euro bemessen.

Viel zu wenig, urteilen viele Politiker und Unternehmer aus dem Hafenumfeld. Ein Schnäppchen, könnte man zumindest denken, wenn man beispielsweise die HHLA-Vorstandschefin Angela Titzrath über ihr Unternehmen sprechen hört: Allein in den vergangenen fünf Jahren seien 1,1 Milliarden Euro investiert worden, weitere 1,7 Milliarden Euro seien in den nächsten Jahren schon geplant, völlig unabhängig vom MSC-Einstieg.

Als wahre Perle gilt vor allem die zur HHLA gehörende Bahngesellschaft Metrans. Mit 130 Lokomotiven und 3700 Spezialwaggons bedient die HHLA-Tochtergesellschaft ein Netz, das sich über halb Europa spannt. Über diese „Hinterlandanbindung“ könne man mehr als 80 Prozent der bei HHLA anlandenden Container auf der Schiene weitertransportieren, sagt Titzrath. Mit so einem Pfund kann man wuchern, wenn der CO2-Fußabdruck von Transporten wirtschaftlich immer bedeutender wird. Schon Metrans allein könnte 2 Milliarden Euro wert sein, rechnen manche vor. Die Stadt habe sich über den Tisch ziehen lassen.

Im Juristendeutsch hört sich das komplizierter an. Aber genau dieser Gedanke steckt hinter einer Beschwerde von Götz Wiese bei der EU-Kommission. Der hafenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft will prüfen lassen, ob die Stadt Hamburg mit dem MSC-Vertrag gegen Beihilferecht verstoße, sprich: ob EU-Bürger durch den für MSC günstigen Deal einen Nachteil erleiden.

Den Einwand des Juristen Wiese beobachtet man in der Wirtschaftsbehörde gelassen. Dort ist man sich sicher, dass alles Rechnen unnötig ist. Maßgeblich für die Bewertung der HHLA sei allein das Wertpapierübernahmegesetz, wonach der Verkauf sich am Börsenkurs orientieren müsse. Sollte die Wirtschaftsbehörde sich täuschen und Wiese sowie weitere Beschwerdeführer bei der EU-Kommission recht bekommen, wäre der Vertrag zwischen der Stadt Hamburg und MSC nichtig und müsste entsprechend rückabgewickelt werden.

Auf eine Entscheidung in dieser Sache muss aber nicht gewartet werden. Bis zur Unterschrift unter dem Vertragswerk fehlt außer dem Votum der Bürgerschaft noch die kartellrechtliche Freigabe durch die EU sowie die Ukraine, wo die HHLA mit einem Terminal in Odessa präsent ist. Große Einwände werden in dieser Hinsicht nicht erwartet.

Fakt ist, dass die Stadt mit MSC einen mächtigen Partner gewonnen hat. Allein in den Jahren 2021 und 2022 hat MSC einen Gewinn von 76 Milliarden Euro erzielt, wie das bisher ziemlich verschlossene Familienunternehmen der italienischen Zeitung „Il Messaggero“ verriet. Das Geld hat MSC in die Expansion gesteckt, hat Schiffe gekauft sowie Terminbeteiligungen rund um den Globus. Auch im Hafen Rotterdam, der den Hamburgern seit vielen Jahren vorauseilt, ist MSC aktiv. Zusammen mit dem Hafenkonzern Hutchison Ports will MSC dort ein Terminal mit fünf Tiefseeliegeplätzen realisieren, wo zwischen 6 und 7 Millionen Standardcontainer (in der Fachsprache TEU genannt) umgeschlagen werden können.

Andere Reeder ziehen sich zurück

Zum Vergleich: Die HHLA kam insgesamt zuletzt nur noch auf 5,9 Millionen TEU Umschlagvolumen. Den Abwärtstrend im Containerumschlag könnte die Reederei MSC stoppen, denn die neue HHLA-Großaktionärin hat zugesagt, bis zum Jahr 2031 eine Million TEU Umschlagmenge zur HHLA zu bringen. Allerdings könnte das zulasten des HHLA-Konkurrenten Eurogate gehen, halten Kritiker dagegen.

Zudem zeigt sich, dass andere Reeder Umschlagmenge aus dem Hamburger Hafen abziehen. So tun sich der HHLA-Großkunde Hapag-Lloyd und die dänische Maersk ab dem nächsten Jahr in einer neuen Allianz zusammen, die für Hamburg eher nachteilig sein dürfte. Als Protest gegen die künftig dominante Position ihres Konkurrenten MSC wollen sie das nicht verstanden wissen. Gleichwohl fällt auf, dass auch Maersk und Hapag-Lloyd als potentielle Partner für die HHLA angefragt waren, aber nicht zum Zug kamen, weil sie die Mehrheit an der Hafengesellschaft haben wollten. Im Vertrag mit MSC dagegen hat die Stadt festgelegt, dass sie dauerhaft selbst die HHLA-Mehrheit behalten will.

MSC-Vorstandschef Soren Toft verkauft sich unterdessen als Freund und Helfer. „MSC unterhält viele erfolgreiche Beteiligungen, und unsere Schiffe laufen noch viel mehr Häfen weltweit an. Wir haben also viel Erfahrung mit IT-Prozessen oder mit der Automatisierung von Terminals. Das kann der HHLA auch helfen“, sagte Toft im Interview mit der F.A.Z. „Der gesamte Hafen wird profitieren. Wir werden unseren Teil dazu beitragen.“ Die garantiere Umschlagmenge gehört dazu, auch eine Deutschlandzentrale für 400 Beschäftigte in der Hafencity. Außerdem hat sich MSC verpflichtet, das Eigenkapital zu stärken, wobei die Angaben dazu schwammig sind. Von „bis zu 450 Millionen“ zusätzlichem Eigenkapital ist die Rede. Es könnte also auch weniger sein. Und der Zeitrahmen ist bis 2029 gespannt.

Was die von Toft angesprochene Automatisierung der Terminals angeht, hat die HHLA durchaus selbst Kompetenz: Mit dem Terminal Altenwerder war Hamburg in dieser Hinsicht Weltspitze, als es 2002 eröffnet wurde. Zwei Jahre später wurde beschlossen, auch das Containerterminal Burchardkai zu automatisieren, zwei Jahrzehnte später ist das noch immer nicht geschafft.

Man sei nun auf der Zielgeraden, sagte dieser Tage die HHLA-Vorstandschefin Angela Titzrath stolz, als sie einer Gruppe von Journalisten ein neues Testfeld für AGV genannte autonom fahrende Containertransporter zeigte. Der AGV-Einsatz soll die Produktivität erheblich verbessern, unter anderem weil damit sechs Container übereinander stapeln können statt nur zwei oder drei – ein wichtiger Faktor im Stadthafen, wo Lagerfläche knapp ist. Doch über Details will Titzrath gar nicht so viel sagen. Sie muss die kampfeslustigen Hafenarbeiter fürchten, die nicht so ohne Weiteres auf andere Arbeitsplätze versetzt werden wollen. Im Kampf um einen „Sozialtarifvertrag“ hat die Gewerkschaft Verdi für diesen Freitag schon zum Warnstreik aufgerufen.

Mit MSC als Großaktionärin dürfte aus Sicht der Hafenarbeiter alles noch viel schlimmer kommen – denn es gibt viele Hinweise darauf, dass Mitbestimmung in dem italienisch-schweizerischen Familienkonzern wenig geschätzt wird. Auch die Zusage, dass fünf Jahre auf Entlassungen verzichtet werde, reicht den politisch und gewerkschaftlich gut vernetzten HHLA-Beschäftigten nicht.

Stoppen werden sie mit ihrem Protest die Entscheidung der Bürgerschaft aber nicht, selbst wenn durchaus auch in den Regierungsfraktionen einige Kritik an dem Vorhaben aufgekommen ist. Da auf die rot-grüne Regierungskoalition 86 der 123 Sitze entfallen und eine einfache Mehrheit genügt, käme alles andere als eine Zustimmung einem politischen Erdbeben gleich.