Herta Müller: „J’accuse!“
„Ich kann mir eine Welt ohne Israel nicht vorstellen„, stand vor ein paar Wochen in großen roten Buchstaben in der sonst immer sehr schwarz-weißen FAZ. Es war die Überschrift einer Rede der deutschen Nobelpreisträgerin Herta Müller, die später wahrscheinlich als das „J’accuse“ unserer Zeit gelten wird. Denn so, wie sich während des kollektiven Anti-Dreyfus-Irrsinns Ende des 19. Jahrhunderts der nichtjüdische Schriftsteller Émile Zola mit einem einzigen Text vor die Juden Frankreichs und ganz Europas gestellt hatte, baute sich nun inmitten einer weltumspannenden antijüdischen Pro-Hamas-Raserei die kleine, zierliche Schriftstellerin und Nazi-Enkelin mit ein paar eindeutigen Sätzen vor Leuten wie mir auf. Nicht nötig, danke, aber trotzdem ganz angenehm. Ihre Rede hielt sie ausgerechnet bei einer jüdischen Konferenz in Stockholm und regte sehr viele auf. Das war klar, das hoffte sie vermutlich sogar. Unter ihnen war leider auch einer der begabtesten deutschen Autoren, ein hochgebildeter Slum-Sohn, den ich zu Hause am Zionskirchplatz immer nur unseren Céline nenne. Ein paar Monate nachdem unser Céline das Foto des schwarzen Berliner Politikers und Antisemitenhassers Joe Chialo mit der rassistischen Zeile „Der letzte alte weiße Mann“ ins Internet gejagt hatte, vertraute er bei einer Facebook-Plauderei einem anderen Müller-Verächter an, das Gehirn der Schriftstellerin sei in Rente und sie „in paar Jahren eh tot“. Dem Gegner den Tod zu wünschen, scheint seit dem 7. Oktober bei Nichtjuden eine Art ansteckender Krankheit zu sein.