Herbstgutachten: Die Wirtschaft welkt weiter

Die fetten Jahre sind vorbei, Deutschlands Wirtschaft gerät immer weiter ins Trudeln. So könnte die saloppe Überschrift für die Gemeinschaftsprognose lauten, welche die Wirtschaftsforschungsinstitute am Donnerstag in Berlin vorgestellt haben. Die Forscher mussten ihre Voraussagen vom Frühjahr weiter nach unten revidieren.

Sie erwarten jetzt für 2024 das zweite Rezessionsjahr hintereinander. Im laufenden Jahr werde das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht – wie im März berechnet – minimal um 0,1 Prozent wachsen, sondern um den gleichen Wert schrumpfen. Vor einem Jahr waren für 2024 noch 1,3 Prozent vorausgesagt worden. Für 2025 prognostizieren die Fachleute jetzt ein Plus von 0,8 Prozent statt 1,4 Prozent wie im Frühjahr. Im Folgejahr 2026, am Ende des Prognosezeitraums, sei mit 1,3 Prozent zu rechnen.

2023 war das BIP schon einmal geschrumpft, um real 0,3 Prozent. Die deutsche Wirtschaft trete nun schon seit zwei Jahren auf der Stelle, fasste es Geraldine Dany-Knedlik vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin zusammen. Zwar dürfte in den kommenden Quartalen eine langsame Erholung einsetzen, getragen vom privaten Verbrauch. Aber an den Aufwärtstrend aus der Zeit vor der Corona-Pandemie werde Deutschland so schnell nicht wieder anknüpfen. Die langfristigen Wirtschaftsaussichten seien „gedämpft“, so Dany-Knedlik.

Wachstumsinitiative der Ampelregierung ändert nichts

Das liege an der strukturellen Anpassung an die Dekarbonisierung, die Digitalisierung und an den demographischen Wandel sowie am stärkeren internationalen Wettbewerb. Letzteres gelte besonders für China, dem eine unlautere Exportförderung vorgeworfen wird. Die theoretisch mögliche langfristige Expansion der deutschen Wirtschaft ohne konjunkturelle Schwankungen habe seit der Pandemie nach unten korrigiert werden müssen. Dieses Potentialwachstum bei normaler Auslastung der Produktionskapazitäten liege 2024 um fast vier Prozent niedriger, als 2019 prognostiziert.

An der trüben Perspektive ändere auch die im September verabschiedete Wachstumsinitiative der Ampelregierung nichts, stellte Oliver Holtemöller vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) klar. Die 49 Punkte seien kleinteilig. „Die Probleme, die die deutsche Wirtschaft hat, sind aber von sehr grundlegender Natur.“ In den Jahren 2011 bis 2019, zwischen der Finanzkrise und der Pandemie, habe die Wachstumsrate durchschnittlich 1,4 Prozent im Jahr betragen. „Mittlerweile liegen wir bei weniger als der Hälfte“, sagte Holtemöller, „und man muss davon ausgehen, dass sich dieser Prozess fortsetzt.“

Mit geringerem Wachstum abfinden

Für den weitergehenden Niedergang spreche schon allein, dass demografiebedingt mehr ältere Personen den Arbeitsmarkt verließen, als junge hinzukämen. Selbst wenn die Wachstumsinitiative den von der Regierung erwarteten Schub von 0,5 Prozentpunkten erziele – was die Wissenschaftler anzweifeln –, sei das nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Egal, was man politisch macht, kann man nicht erwarten, dass wir zu den höheren Wachstumsraten der Vergangenheit zurückkehren“, so Holtemöller. „Wir müssen uns damit abfinden, dass in den kommenden Jahren das Wirtschaftswachstum sehr viel geringer ausfallen wird.“

Die Ökonomen stellten klar, dass von den 49 Punkten der Regierung nur wenige schon in Kraft seien und zum neuen Jahr Wirkung entfalteten. Außerdem enthalte die Wachstumsinitiative schon früher beschlossene Erleichterungen, die längst in die Prognosen eingeflossen seien, etwa den Ausgleich für die kalte Progression, also die Anpassung der Steuerwerte an die Inflation.

Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel hob positiv hervor, dass der Regierungsvorstoß zumindest „kein kurzatmiges Konjunkturprogramm“ sei. „Unter der Perspektive ist die Bundesregierung da klar auf dem richtigen Weg.“ Allerdings gebe es auch gegenläufige politische Großprojekte, welche die Erholung bremsten, etwa das Rentenpaket zwei. „Das dürfte nicht dazu beitragen, dass Deutschland als Zuwanderungsland für qualifizierte Arbeitskräfte attraktiver wird.“ Das Paket konterkariere geradezu die Einwanderungserleichterungen aus der Wachstumsinitiative.

„Das ist ein einmaliger Effekt“

Hinzu komme, dass politische Beschlüsse wie das Tariftreuegesetz neue Bürokratie schafften, die man eigentlich eindämmen wolle. Ähnliches gelte für die Ausgestaltung der Möglichkeit, Zuwanderung über Zeitarbeit zu erreichen. In gewissem Gegensatz zu Kooths gab Timo Wollmershäuser vom Ifo-Institut in München zu bedenken, dass die meisten Maßnahmen aus der Wachstumsinitiative keine dauerhafte Wirkung nach sich zögen, sondern kurzfristig verpufften. Dazu zählte er die geplante Erhöhung des Arbeitsangebots, etwa durch die Möglichkeit von Rentnern, länger zu arbeiten. „Das ist ein einmaliger Effekt“, so der Volkswirtschaftler, „aber das war’s dann auch.“ Wollmershäuser erwartet, dass das Wirtschaftswachstum Ende des Jahrzehnts nur noch 0,4 Prozent betragen wird.

Das Herbstgutachten der sechs Institute rügt fehlende Verlässlichkeit politischer Entscheidungen, was zur Zurückhaltung beim Investieren und Konsumieren führe und die Sparquote auf Rekordwerte treibe: „Gerade in Zeiten des Strukturwandels ist für die Planungssicherheit der privaten Haushalte und der Unternehmen ein klarer wirtschaftspolitischer Kompass gefragt.“ Explizit genannt wird die Uneinigkeit der Ampel in der Haushaltspolitik.

Nötig sei ein „Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik“ mit weniger Detailregeln und weniger staatlichem Einfluss an den falschen Stellen. Darunter fielen auch Subventionen. So gingen Hilfen für einzelne Konzerne wie VW „zwangsläufig zulasten anderer Unternehmen“. Denn die müssten das nötige Steuergeld aufbringen und könnten nicht von möglicherweise freigesetzten Arbeitskräften profitieren.

Die Deutsche Industrie- und Handelskammer DIHK klagte am Donnerstag: „Zwei Jahre in Folge Rezession, das gab es zuletzt vor mehr als 20 Jahren.“ Die DIHK forderte niedrige Energiepreise und Steuern, die Abschaffung des Soli, schnellere Genehmigungen und Bürokratieabbau.