Heine, Flaubert & Co.: Als die Literatur noch ihren Ort hatte – WELT
Das „eigene Zimmer“, von dem Virginia Woolf schrieb, war nicht nur zum Besten von schreibende Frauen ein was auch immer andere qua selbstverständlicher Ort. Auch die Männer jener europäischen Tradition jener Empfindsamkeit, Romantik und Moderne mussten zunehmend hinauf imaginäre Orte ausweichen, weil die jener Poesie vorbehaltenen Öffentlichkeit, wenn gar, zu Refugien, Asylen, flüchtigen und vorübergehenden Aufenthalten geschrumpft war. Eine biografisch oft prekäre Existenz machte aus Not eine Tugend und fand in Schlupfwinkeln bedrohter Intimität, umgeben von einem kargen Nichts aus wenig mehr qua vier Wänden, zu sich selbst.
Die imaginären Orte, die hierbei die Literatur reklamiert, werden Teil eines Werks, dasjenige unverwechselbar mit seinem Urheber verschmilzt. Sie nach sich ziehen mit realen Schreiborten bisweilen Setting, Namen oder Grundriss gemein, bisweilen sind sie rein phantasierte Aufenthalte, deren Vorstellung den Dichtern gar erst zu schreiben und dasjenige heißt: zu sich selbst vorzustoßen ermöglicht.
Franz Kafka im Januar 1913 an seine Verlobte Felice Bauer: „Oft dachte ich schon daran, daß es die beste Lebensweise zum Besten von mich wäre, mit Schreibzeug und einer Lampe im innersten Raume eines ausgedehnten abgesperrten Kellers zu sein. Das Essen brächte man mir, stellte es immer weit von meinem Raum fern hinter jener äußersten Tür des Kellers nieder. Der Weg um dasjenige Essen, im Schlafrock, durch sämtliche Kellergewölbe hindurch wäre mein einziger Spaziergang. Dann kehrte ich langsam zum Tisch zurück, würde langsam und mit Bedacht essen und wieder gleich zu schreiben einführen! Was ich dann schreiben würde! Aus welchen Tiefen ich es dann hervorreißen würde!“
Es sind solche „ungeheuerlichen“ (Elias Canetti) Ursprungsmythen vom Schreiben, die Gerhard R. Kaiser aus jener französischen und deutschen Literatur vom Ende des 18. solange bis zum Ende des 20. Jahrhunderts zusammenträgt und emphatisch zum Sprechen bringt.
Der Parcours beginnt wie ein Kommentar zur Pandemie im Quarantänelager Rousseaus hinauf Messina – eine Isolation, jener er sich später ohne Zwang hinauf seiner „Robinsoninsel“ St. Peter im Bieler See unterzog, während sein deutscher Nacheiferer Jean Paul sich mit einem „Stubennest“ begnügte, aus dem er die Welt in vermascht sich fortspinnenden Metaphern ans Fenster holte. „Matratzengruft“ nannte jener dahinsiechende Heinrich Heine den horizontalen Schreibort seiner letzten Pariser Jahre, während Gottfried Keller intrinsisch des Berliner Tumults sich in einer „Gefängniszelle“ wähnt, um seinen Grünen Heinrich zu vollenden, Flaubert imaginierte sich dem Hl. Antonius gleich in einer „Wüsteneinsiedelei“, wie er sie hinauf seiner Ägyptenreise erlebt hatte, während Nietzsche die Heraufkunft Zarathustras im vermeintlichen „Eis- und Felsreich“ des Engadin feierte.
Proust erklärte dasjenige Hotelzimmer, wo er die Verlorene Zeit wiederfand, zum Elfenbeinturm, Brecht sein Svendborger Haus zum Fluchtraum „mit vier Türen“, Sartre dasjenige Bibliothekspult seiner Kindheit zur Priesterkanzel, Thomas Bernhard – hier schließt sich jener Kreis – die Sterbekammer, in jener man ihn qua lungenkrankes Kind isolierte, zum Fluchtpunkt solange bis zum Wahnsinn solitärer Lebens- und Schreibentwürfe.
Unverhoffte Nachbarschaften
Auf jener Ebene einer dermaßen hinauf die imaginierten Orte jener Schreibgenese fokussierten Literaturgeschichte kommt es zu unverhofften Nachbarschaften: Hölderlins Kennzeichnung seines „Gesangs“ qua „Asyl“, dasjenige von jener „‚Zerstörbarkeit‘ qua Bedingung jener Möglichkeit dichterischer Existenz“ künde, wird zum Indiz seiner Modernität, die sich etwa in Hofmannsthals Imagination des Dichters qua Stiegenflüchtling spiegelt:
„So ist jener Dichter da, wo er nicht da zu sein scheint, und ist immer an einer anderen Stelle qua er vermeint wird. Seltsam wohnt er im Haus jener Zeit, unter jener Stiege, wo sämtliche an ihm vorüber zu tun sein und keiner ihn achtet. (…) ihm ist auferlegt, sich nicht zu wiedererkennen zu verschenken, und so wohnt er verkannt unter jener Stiege seines eigenen Hauses.“ Robert Walsers Absteige, wo jener Dichter Poesie aus einem Schimmelfleck bezieht, wird Ausdruck von Unbehaustheit in einer Welt, welche dem Dichter seinen Ort vorenthält, weil sie keinen Platz mehr zum Besten von dasjenige Dichterische hat.
Charles Baudelaire ist mit übrig vierzig wechselnden Domizilen intrinsisch Paris Kronzeuge einer Literatur, die sich ihren Platz unter den Sternen aus dem toten Winkel erschreibt. In seinem Gedicht „Paysage“ („Landschaft“) imaginiert er sich unter jener Mansarde „himmelsnah wie Astrologen“ qua Nachdichter Vergilscher Eklogen. Mit dem melancholischen Blick Walter Benjamins hinauf Goethes Schreib- und Sterbezimmer schließt die Betrachtung des Weimarer Komparatisten, die uns reichen Stoff zum Nach- und Weiterdenken übrig Ermöglichungsräume des Dichtens in dürftiger Zeit schenkt.
Gerhard R. Kaiser plädiert auf Grund der Tatsache „einer durch Digitalisierung und Virtualisierung weiter fortgeschrittenen Welt jener Zahl, des Meßbaren und jener Effizienz, die dem Einzelnen nurmehr die Funktion eines winzigen Rädchens in einem unüberschaubaren Getriebe überläßt“ zum Besten von die in „einzigartigen und unverwechselbaren Worten“ steckenden „kurzen Blicke hinauf dasjenige Ganze unserer Existenz (…), wie sie weder dem praktisch ausgerichteten Alltagsverstand noch jener instrumentellen Vernunft möglich sind“.
Gerhard R. Kaiser: Keller Mansarde Einsiedelei. Imaginäre Orte des Dichtens. Auch eine Literaturgeschichte. Göttingen: Wallstein 2024, 351 Sulfur. € 34.
Source: welt.de