„Heiligenbilder und Heuschrecken“ von Layla Martínez: Die Wut welcher Enkelin

Layla Martinez’ Erstlingswerk Heiligenbilder und Heuschrecken hat als literarische Sensation in Spanien bereits in den ersten zwei Monaten nach Veröffentlichung 15 Auflagen verkauft, nähert sich dort mittlerweile der 50. Auflage und wird nun in Lateinamerika und in weiteren Ländern Europas herausgebracht.

Die Novelle fesselt zunächst mit den Zutaten einer klassischen Geistergeschichte. Ein verwunschenes Haus einem verlassenen südspanischen Dorf in La Mancha hängt voller verstaubter Schlingpflanzen und Bildchen blutender Heiliger. Der Schrank im Schlafzimmer knarzt und rumpelt und fordert Frischfleisch. Die zwei Bewohnerinnen, eine namenlose Großmutter und ihre Enkelin, erzählen die Geschichte abwechslend mit der zischenden Wut zweier Märchenhexen. Wie in den Gothic Novels, den frühen Schauerromanen des viktorianischen Englands, stößt der Leser auf wenigen Seiten auf eine Vielzahl klassischer Horrorelemente wie das verschwundene Kind, die tote Mutter, die an die Haustür klopft, den bösen Blick oder den eingemauerten Bösewicht.

Trotzdem entfaltet das Buch seine Wirkung in erster Linie durch die Geschichte der zentralen Bauernfamilie, die im Kampf ums Überleben ihre Werte mit Füßen tritt. Sie dient seit Generationen einer wohlhabenden Familie in einer gleichzeitig parasitären und selbstzerstörerischen Verbindung, während das Landhaus niemanden fortlässt, auch nicht die junge Erzählerin, die, statt in Madrid zu studieren, im alten Gemäuer immer kränker wird.

Spanien leidet bis heute am intergenerationellen Trauma des Bürgerkriegs, der zwischen 1936 und 1939 die tiefe Spaltung zwischen Republikanern und Faschisten in einen verbitterten Kampf verwandelte, der Familien auseinanderriss und ein bis heute tiefes Schweigen über das Land und seine Gräueltaten senkte, inbesondere in ländlichen Regionen. Das Haus, das Martínez beschreibt, wimmelt von den Seelen ganzer Familien, die in dem Dorf aus ihren Häusern gezerrt und vom Felsen gestürzt wurden, weil der Vater nicht an die Front gehen wollte oder für die falsche Seite kämpfte. Es tummeln sich die Geister der Kinder, die weggegeben wurden, weil die Familie zu arm war, um alle satt zu bekommen, und jener Frauen, die zur Prostitution gezwungen wurden, weil das die sicherste Einkommensquelle bot.

Der Holzwurm wütet weiter

Heiligenbilder und Heuschrecken ist auch ein dezidiert feministischer Roman. Frauen sind im Umfeld fortlaufender Gewalt und sozialer Ungerechtigkeit besonders gefährdet. Die vier Generationen von Frauen, die die Erzählung umfasst, werden ausgebeutet, vernachlässigt, lächerlich gemacht und stigmatisiert, sie sinnen auf Vergeltung. Der Rachefeldzug, den Großmutter und Enkelin verfolgen, steht in der Tradition des Archetyps der „Bösen Frau“, symbolisiert aber gleichzeitig, dass sich der Dominanz von Männern und Klasse nur mit radikalem Kontra Einhalt gebieten lässt.

Die Gothic Novel eignet sich schon seit jeher für feministische Untertöne. Daphne du Mauriers Rebecca aus dem Jahr 1938, die Romane der Brontë-Geschwister oder Shirley Jacksons Spuk in Hill House (1959)handeln von weiblichem Fluch, Furcht und Auflehnung in ihren Heimen als Gegenentwurf zum damals gängigen Image der Frau als „unterwürfiger Engel“ des Hauses. In Lateinamerika, wo der Schauerroman lieber als „magischer Realismus“ betitelt wird, damit es seriöser klingt, verabeiten zeitgenössische Autorinnen wie die Argentinierin Samanta Schweblin oder die Ecuadorianerin Mónica Ojeda Feminizide soziale Ungleichheit und Klimawandel in literarischen Fieberträumen und Mystik.

Layla Martínez schreibt in langen Sätzen ohne Kommas, weil das Gesagte keine Pausen erlaubt. Die Geister sind in Eile, und der Holzwurm (spanischer Orginaltitel des Romans ist Carcoma), der bereits die Vorfahren verspeist hat, wütet weiter. Die Übersetzung von Christiane Quandt, die bereits mit Andrea Abreus So forsch, so furchtlos (der Freitag 41/2022) einen sprachgewaltigen Roman über das Erwachsenwerden zweier Mädchen auf Teneriffa erfolgreich ins Deutsche übertragen hat, transportiert die rastlose Energie des Originals auf überzeugende Weise.

Heiligenbilder und Heuschrecken Layla Martínez Christiane Quandt (Übers.), Eichborn 2024, 159 S., 22 €