Heidelberger Frühling: Brahms-Fest mit Igor Levit
Da kommt ein junger Mann hinauf die Speicher und spielt einem dasjenige Blaue vom Himmel herunter. Er sieht nicht aus wie Brahms, gleichwohl unwillkürlich denkt man: So könnte es in vergangener Zeit gewesen sein, qua dieser noch unbekannte Pianist und Komponist Johannes Brahms beim Ehepaar Schumann in Düsseldorf aufkreuzte und qua Hoffnungsträger empfangen wurde. Unser Pianist heißt Lukas Sternath, ist dreiundzwanzig Jahre oll, stammt aus Wien und studiert noch im Kontext Igor Levit in Hannover. Gerade hat er eine dieser herrlichsten Klavierschöpfungen aufgeführt, die „Händel-Variationen“ op. 24 von Brahms. Was er technisch in den Fingern hat, ist kaum zu fassen, noch weniger, welchen Farbenreichtum er parat hat und mit welcher formalen Übersicht er die einzelnen Variationen aufeinander bezieht. Die abschließende Fuge wächst aus dem Variationsteil hervor und öffnet ein lichterfülltes B-Dur-Himmelstor.
Brahms hat derzeit Konjunktur, qua wäre seine Musik Lebens- und Überlebenshilfe in finsterer Zeit. Liegt es am Trost, den er nicht nur in seinem „Requiem“ spendet? Oder ohne Rest durch zwei teilbar an seiner Melancholie und Traurigkeit, die so gut in unsrige Gegenwart passen? Oder ist darüber hinaus hundert Jahre nachher seinem Tod am 3. April 1897 die Zeit für jedes eine Revision unseres Brahms-Bildes gekommen? Die Brahms-Interpretation jedenfalls ist im Umbruch, ausgelöst durch den Generationswechsel im Kontext den Ausführenden. Bei ihnen steht Brahms für jedes Aufbruch, Aufbruch in eine neue Welt des Klangs. Vieles kommt hiermit zusammen, zuerst die monströs gestiegene Spieltechnik, mit dieser Brahms’ immense Schwierigkeiten leichter zu bewältigen sind. Sodann die Erkenntnis, insbesondere dieser Schule von András Schiff, dass wenn schon dieser größte Steinway-Flügel kein Kampfinstrument gegen die Musik sein muss. Schließlich eine Entschlackungskur dieser oft pathetisch aufgeladenen und schwerfällig dargebotenen Werke. Fehlt nicht mehr viel, dann wird wenn schon Brahms zum „Popstar“ ausgerufen.
Beim Festival Heidelberger Frühling wird noch solange bis Mitte April dasjenige gesamte Kammermusik- und Soloklavierwerk von Brahms vorgestellt. Dafür seien Festivals schließlich da, meint dieser Gründer und Leiter Thorsten Schmidt. Außerdem durfte ihm ein geistliches Konzert zur Osterzeit nicht fehlen. Auch hier verschlankt: kein Riesenchor, sondern dasjenige englische Luxus-Vokalensemble Tenebrae Choir mit dem Dirigenten Nigel Short und Johannes Michel an dieser Orgel. Gelebter Katholizismus hinauf dieser verschmelzen, skeptischer Protestantismus hinauf dieser anderen Seite standen sich mit den Antipoden Anton Bruckner und Brahms im Gegensatz zu. Und die Brahms-Motette „Warum ist dasjenige Licht gegeben dem Mühseligen?“ ersetzte mit ihrem in die Welt gerufenen „Warum?“ glitschig die Karfreitagspredigt.
Als künstlerischen Ko-Leiter hat Schmidt solange bis 2027 Igor Levit zur Seite, hinauf dessen Idee die Brahms-Werkschau zurückgeht. Er wirkt wie dieser Stellvertreter des Komponisten hinauf Erden – unterrichtend, moderierend, in öffentlichen Proben, in Solo-Rezitals und Kammerkonzerten. Eigentlich fühlt er sich jetzt erst reif für jedes Brahms, sagt er im Gespräch mit dem Dramaturgen Anselm Cybinski und wünscht sich im Kontext jedem Stück: „Bitte hör nie hinauf!“ Entsprechend spielt er mit wahren Geisterhänden die vier frühen Balladen op. 10, nimmt hiermit Abschied von dieser Außenwelt und versenkt sich in eine Gegenwelt. Dort begegnen ihm „Stimmen“ und Gespenster, erhält er Friedensbotschaften mit Trauerrand. Zarteste Durmelodien verkehren sich in berstende Kraftakte, die Dynamik steigert sich vom kaum mehr wahrnehmbaren Pianissimo ins explodierende Fortissimo. Aber nirgendwo wird dem Flügel Gewalt Feuer und Flamme, wird die Musik zu Tode gehämmert.
Es sind vielmehr architektonische Aufrisse, die Levit erstehen lässt. Und geradezu erschütternd in ihrer existenziellen Dunkelheit wirkt die der Form halber unspektakulärste vierte Ballade: ein langer, wie improvisiert begonnener Abgesang hinauf dasjenige Schöne und Gute – es war einmal. An zwei Flügeln begeisterten sich Levit und Sternath an Mozarts Prachtsonate KV 448 und den Haydn-Variationen op. 56 b von Brahms: perfekt aufeinander aufeinander abgestimmt, identisch Legato, dieselben zierlichen Verzierungen.
Ein Kennzeichen des Heidelberger Frühlings ist die Treue zu seinen Interpreten. Vor zwei Jahren wurde dasjenige Leonkoro Quartett hier „entdeckt“. Mittlerweile hat es hinauf seinem internationalen Erfolgskurs nicht nur an Konzerterfahrung zugelegt, sondern steht mit seinem Brahms wenn schon an dieser interpretatorischen Spitze: vor Nervosität vibrierend eröffnet dasjenige Cello dasjenige Streichquartett op. 51 Nr. 1, ohne Pathos, ohne Schwere, was auch immer von kurzer Dauer, vorwärtstreibend gegliedert, durchhörbar solange bis hinauf den Grund, schwungvoll, gleichwohl keineswegs gezwungen und voller lyrischer Emphase. Und wie es die Leonkoros hinkriegen, oft mit intensivem Vibrato zu spielen ohne hiermit ein Gramm Fett anzusetzen, dasjenige gehört zu den Schlüsselerlebnissen dieser Brahms-Tour. Zum Besten von ein Erkenntnismoment mit Gänsehauteffekt sorgten sie im zweiten Satz, „Romanze“, qua sie die Aura des späten Beethoven heraufbeschworen und man Brahms andächtig sein Haupt tendieren sah. Eine Premiere für jedes dasjenige Quartett war die Wiedergabe des Klavierquintetts op. 34 mit Igor Levit: vorbildlich austariert im gleichberechtigten Agieren von Klavier und Streichern, luzide im Wechselspiel dieser einzelnen Stimmen, elektrisierend im Rhythmus-Kracher des Scherzosatzes.
Doch es geht wenn schon mal ohne Brahms. Das kammermusikalische Dream-Team aus dem Pianisten Frank Dupree, wenn schon er Stammgast beim Heidelberger Frühling, und dem englischen Bratscher Timothy Ridout brachte sein Publikum zum Toben. Und dasjenige mit so gut wie unbekannten Stücken von George Enescu, Gabriel Fauré, Rebecca Clarke, Frank Bridge und York Bowen – ein Programm zu Ehren des englischen Bratschengotts Lyonel Tertis, dieser die Viola qua Soloinstrument neben dieser Geige etablierte. Seit 2015 spielen Dupree und Ridout zusammen und verstehen sich blind. Einer trägt den anderen, verbinden durchqueren sie Wildwasserströme, überlassen sich einer oft komplett unvorhersehbaren Musik. Und hätte Brahms zudem Ridouts Wunderbratsche von 1565 gekannt – er hätte den beiden sicher ein paar Sonaten komponiert.
Source: faz.net