Halle/Burg bei Magdeburg: Erste Konsequenzen nach Geiselnahme in JVA
Zwei Tage nach der Geiselnahme im Gefängnis Burg in Sachsen-Anhalt sind weitere Details über die Tat des Halle-Attentäters bekannt geworden. So soll der erste Justizbeamte, den der Täter in seine Gewalt brachte, um sein Leben gefürchtet und daher den Forderungen des Mannes nachgekommen sein. Das sagte die Gefängnischefin Ulrike Hagemann im Rechtsausschuss des Landtages von Sachsen-Anhalt, der wegen des Vorfalls zu einer Sondersitzung zusammengekommen war.
Demzufolge machte der Rechtsextremist Stephan Balliet am Montagabend beim sogenannten Nachtverschluss dem überrumpelten Wachmann sofort klar, worum es ihm ging: »Wir gehen jetzt raus.« Dabei hielt er dem Beamten laut Hagemann »einen Gegenstand« unter die Nase, »der geeignet war, dem Bediensteten Angst einzujagen«. Nach SPIEGEL-Informationen sprechen Ermittler von einem »waffenähnlichen Gegenstand«, im Laufe der Geiselnahme gab Balliet damit eine Art Warnschuss auf einen Gefängniszaun ab und drohte damit, auf seine Geisel zu schießen.
Dass der Fluchtversuch nach nicht einmal 45 Minuten scheiterte, führt Hagemann vor allem auf das professionelle Verhalten der Mitarbeiter zurück. Die erste Geisel habe umgehend Alarm ausgelöst, der zweite Mann in Balliets Gewalt sei für solche Situationen speziell ausgebildet geworden. Er habe sehr geschickt gehandelt und die Krisensituation »fantastisch gelöst«. Beide Geiseln seien junge Männer: Der eine arbeite seit dem vergangenen Jahr im Gefängnis Burg, der andere seit diesem Sommer.
Bereits gestern hatte Justizministerin Franziska Weidinger beteuert, dass Balliet engmaschig überwacht worden sei . Personalmangel spielte demnach ebenfalls keine Rolle, und laut Hagemann soll es in Balliets Umfeld auch keine Rechtsextremisten unter den Gefangenen gegeben haben, die als mögliche Komplizen infrage kämen.
Wie aber konnte dann einer der gefährlichsten Insassen in Sachsen-Anhalts größtem Gefängnis zwei Geiseln nehmen? Eva von Angern, Vertreterin der Linken im Rechtsausschuss, zeigt sich irritiert über die bisherigen Erklärungen: »Einerseits soll der Gefangene engmaschig bewacht worden sein, andererseits konnte er offenbar heimlich eine Waffe basteln«, sagte sie dem SPIEGEL. »Das passt überhaupt nicht zusammen, diesen Widerspruch müssen die Verantwortlichen auch im Interesse der Opfer des Rechtsterroristen erklären.« Gefängnischefin Hagemann führt ins Feld, dass es Gefangenen immer wieder gelänge, mit »sehr viel Zeit und Fantasie« schlichte Alltagsgegenstände zu manipulieren.
Balliet wird derzeit in einem »besonders gesicherten Haftraum« engmaschig überwacht. Bereits einen Tag nach der Tat soll er befragt worden sein – ob er sich zum Vorfall geäußert hat, ist bislang nicht bekannt. »Wir führen intensive Ermittlungen durch«, sagte ein Sprecher des Landeskriminalamts.
Der Rechtsextremist und Antisemit, der im Oktober 2019 die Synagoge in Halle angegriffen und zwei Menschen ermordet hatte, sitzt in dem Gefängnis bei Magdeburg eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung ab – zuletzt weitgehend isoliert, wie die Behörden Dienstag mitgeteilt hatten.
Der Vorgang hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst, in Sachsen-Anhalt macht vor allem die Opposition im Landtag Druck . »Zum jetzigen Zeitpunkt ist unklar, ob der Rechtsterrorist Unterstützer in der JVA hatte«, sagte die Linkenabgeordnete Henriette Quade. »Er sollte aus Sicherheitsgründen deshalb sofort aus Sachsen-Anhalt in ein anderes Bundesland verlegt werden.« Eine solche sogenannte Sicherheitsverlegung hatte das Justizministerium bereits ins Spiel gebracht: Diese Option werde geprüft, es handele sich dabei um ein Standardverfahren.
Die ersten Konsequenzen gibt es derweil: Das Verfahren in dem Fall hat die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Sachsen-Anhalt an sich gezogen – mit Verweis »auf die Bedeutung der Sache«, wie die Ermittler in Naumburg mitteilten.